„Die Dummheit und Rohheit auf dem Land“ oder „die Ober-Trotteln von Mistelbach“

Die Zeitung „Hans Jörgel (von Gumpoldskirchen)“ – besser bekannt als „Jörgel Briefe“, war eine Wochenzeitschrift, die unter leicht variierendem Titel zwischen 1832 und 1913 in Wien erschien. Der Redaktion zugetragene lokale Begebenheiten und Ereignisse wurden in humoristisch-satirischer Weise aufbereitet und in Dialektform aus Sicht des fiktiven „Hans Jörgl aus Gumpoldskirchen“ nacherzählt. Folgende Geschichte über Mistelbach aus dem Jahr 1870 soll hier im Originaltext wiedergegeben wird:

„Wie groß die Dummheit und Roheit auf dem Land is, geht aus folgendem Vorfall hervor. Vor ungefähr 14 Tagen war in Mistelbach Jahrmarkt. Zufällig hat eine Wienerin an diesem Tag in Mistelbach zu thun gehabt, und diese war gekleidet, wie in Wien Tausende gekleidet sein, sie trug nämlich ein schwarzes Seidenkleid, eine grüne Tunik und eine türkische Jacke nebst einem Federhut. Die Trotteln von Mistelbach, die aber nie was andres gesehen haben müssen, als die Gugeln (Anm.: Kopftücher) der Bauernmenscher, sein über diesen Anzug so in Aufregung kommen, daß sie schaarenweis unter Geschrei und Gelächter hinter ihr nachgelossen sein, sogar die Wirthin, wo sie eingekehrt is, sammt ihren Kucheltrampeln. Die arme Frau hat sich in ein Gewölb und endlich in ein Kaffeehaus (Anm.: vermutlich Kaffeehaus Jechtl in der Oberhoferstraße) flüchten müssen, wo sich doch ein paar Gescheidte gefunden haben, um die verfolgte Wienerin gegen die Dummheit dieser Mistelbacher Trotteln in Schutz zu nehmen, die ich nach diesem Vorgang zu Ober-Trotteln von ganz Nieder-Österreich ernenn‘;
‘s is höchste Zeit, daß die Eisenbahn in diese Gegend kommt, damit sie diesen Erdäpfel-Hottentotten ein paar Waggons voll Hirn zuführt.“

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, im März 1870, war der Eisenbahnbau Wien-Mistelbach-Brünn bereits weit fortgeschritten und die neue Bahnstrecke konnte noch im selben Jahr eröffnet werden. Allerdings gelang es nicht herauszufinden, ob und wenn ja wieviele Waggonladungen Hirn seither in Mistelbach angekommen sind…

Einige Wochen später berichtet „Hans Jörgl“ dann, dass sich aufgrund seines Artikels sehr viele Mistelbacher gekränkt gefühlt hätten und er sah sich genötigt klarzustellen, dass seine harsche Kritik und die Bezeichnung „Obertrotteln“ selbstverständlich nur jenen Mistelbachern und Mistelbacherinnen galt, die sich gegenüber der Frau aus Wien, die allerdings eine gebürtige Mistelbacherin gewesen sein soll, so roh und unkorrekt verhalten hätten.

Quellen:
Hans Jörgel von Gumpoldskirchen, 26. März 1870, S. 10 (ONB: ANNO)
Hans Jörgel von Gumpoldskirchen, 23. April 1870, S. 8 (ONB: ANNO)

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