Gemeindevertretung Lanzendorf (1850-1966)

Dieser Beitrag ist der Versuch der Rekonstruktion der Gemeindevertretungen unter Berücksichtigung der Wahlperioden und Einbeziehung der überlieferten Ergebnisse der Gemeindewahlen während der Zeit der Existenz der selbstständigen Gemeinde Lanzendorf im Zeitraum 1850 bis 1966. Zwecks Begriffserläuterung bzw. Darstellung der Entwicklung der gewählten Organe der Gemeindevertretung im Laufe der Zeit und des damit verbundenen Wahlrechts wird ein gesonderter Beitrag auf diesem Blog erscheinen.

1850-18611
Bürgermeister: Josef Kothmayer, Halblehner
Gemeinderäte: F. Faber, Halbblehner; Georg Panzer, Schuhmacher
weiters gehörten dem Gemeindeausschuss an: F. Klingisch, Viertellehner; F. Kothmayer, Dreiviertellehner; F. Kothmayer sen., Ganzlehner; Jacob Kothmayer, Halblehner; Jacob Kothmayer sen., Ganzlehner; L. Matz, Viertellehner; G. Schiller, Viertellehner; M. Sedelmeier, Viertellehner; F. Strobl, Dreiviertellehner;
Der Gemeindeausschuss bestand aus 12 Mitgliedern.

1861-18642
Bürgermeister: Josef Kothmayer, Landwirt
1. Gemeinderat: Georg Panzer, Schuhmacher
2. Gemeinderat: Jakob Kothmayer, Landwirt
weiters gehörten dem Gemeindeausschuss an: Josef Bauer, Landwirt; Andreas Gspan, Fassbinder; Georg Kainz, Landwirt; Franz Kothmayer, Landwirt; Josef Kothmayer, Landwirt; Franz Newald, Landwirt; Lorenz Richter, Landwirt; Paul Schön, Landwirt; Josef Strobl, Landwirt;
Der Gemeindeausschuss bestand aus 12 Mitgliedern.

1864-18673
Bürgermeister: Georg Panzer, Schuhmacher
1. Gemeinderat: Franz Binder, Müller
2. Gemeinderat: Paul Schön, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern (4 aus dem 1. und 4 aus dem 2. Wahlkörper)

1867-18704
Bürgermeister: Georg Panzer, Schuhmacher
1. Gemeinderat: Joseph Bauer, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Michael Rieth, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1870-18735
Bürgermeister: Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Joseph Bauer, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Franz Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1873-18766
Bürgermeister: Franz Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Michael Rieth, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Lambert Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1876-18797
Bürgermeister: Leopold Stacher, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Michael Rieth, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Franz Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1879-18828
Bürgermeister: Leopold Stacher, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Franz Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Johann Sieber, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1882-18859
Bürgermeister: Michael Rieth, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Leopold Stacher, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Johann Sieber, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 8 Mitgliedern.

1885-188810
Bürgermeister: Lambert Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Lorenz Schön, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Josef Faber, Wirtschaftsbesitzer
Von den insgesamt 8 Mitgliedern des Gemeindeausschusses ist außer den obengenannten Personen lediglich der Wirtschaftsbesitzer Franz Schön überliefert.

1888-189211
Bürgermeister: Lambert Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Franz Klingisch, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Johann Sieber, Wirtschaftsbesitzer
weiters gehörten dem Gemeindeausschuss an: Jakob Tatzer, Wirtschaftsbesitzer; Josef Schweinwerther, Wirtschaftsbesitzer; Franz Kainz, Wirtschaftsbesitzer; Franz Förster, Wirtschaftsbesitzer; Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer; Leopold Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
Entgegen der Angabe im niederösterreichischen Amtskalender dürften dem Gemeindeausschuss jedenfalls bereits ab 1888 9 statt 8 Mitglieder angehört haben.

Als Ersatzmänner wurden gewählt: Mathias Sieber, Wirtschaftsbesitzer; Paul Kusselbauer, Wirtschaftsbesitzer; Josef Schöffböck, Hausbesitzer

1892-189612
Bürgermeister: Lambert Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Johann Koch, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Ernest Nekam, Wirtschaftsbesitzer
weiters gehörten dem Gemeindeausschuss an: Leopold Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer Nr. 70; Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer; Josef Faber, Wirtschaftsbesitzer; Paul Kußelbauer, Wirtschaftsbesitzer; Jakob Tatzer, Wirtschaftsbesitzer Nr. 75; Franz Kainz, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 9 Mitgliedern (siehe Anmerkung zur Periode 1888-1892).

Als Ersatzmänner wurden gewählt: Josef Tatzer, Wirtschaftsbesitzer Nr. 67; Mathias Sieber, Wirtschaftsbesitzer; Johann Schiller, Wirtschaftsbesitzer

1896-190013
Bürgermeister: Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Josef Faber, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Franz Klingisch, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss scheint bereits seit 1888 und nicht erst wie im Niederösterreichischen Amtskalender angegeben ab 1898 aus insgesamt 9 Mitgliedern bestanden zu haben.

Es besteht die Hoffnung, dass sich die weiteren dem Gemeindeausschuss angehörenden Personen für diese Periode bei einem demnächst stattfindenden Besuch in der nö. Landesbibliothek noch klären lassen können.

1900-190614
Bürgermeister: Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Josef Faber, Wirtschaftsbesitzer
2. Gemeinderat: Franz Klingisch, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 9 Mitgliedern.

1906-191315
Bürgermeister: Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Johann Parsch, Schuhmachermeister
2. Gemeinderat: Michael Schiller, Wirtschaftsbesitzer
3. Gemeinderat: Florian Pretz, Wirtschaftsbesitzer
Der Gemeindeausschuss bestand aus 12 Mitgliedern.

1913-191916
Die Gemeindeausschusswahl fand am 26. Jänner 1913 statt und es wurden in drei Wahlkörpern jeweils vier Kandidaten gewählt. Nach der konstituierenden Sitzung setzte sich der Gemeindeausschuss wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Franz Schön, Wirtschaftsbesitzer
1. Gemeinderat: Johann Parsch, Schuhmachermeister
2. Gemeinderat: Michael Schiller, Wirtschaftsbesitzer
3. Gemeinderat: Florian Pretz, Wirtschaftsbesitzer
weiters gehörten dem Gemeindeausschuss als Gemeindebeiräte an: Johann Koch, Hermann Körbel, Leopold Kothmayer, Josef Meißl, Leopold Schiller, Martin Schiller, Matthias Schön, Leopold Stacher
Der Gemeindeausschuss bestand aus 12 Mitgliedern.

Bei der Wahl 1913 dürften erstmals auch sozialdemokratische Kandidaten (zumindest scheinen einige davon später als Mandatare dieser Partei auf) angetreten sein. Da im Gegensatz zu den Reichsratswahlen, wo seit 1907 das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht galt, auf Gemeindeebene bis zum Untergang der Monarchie das die ärmeren Bevölkerungsschichten ausschließende bzw. benachteiligende Kurienwahlrecht herrschte, war dieses Antreten nicht erfolgreich.

1919-192417
Das Ergebnis der Gemeinderatswahl 1919 ist leider nicht überliefert. Da sich in Lanzendorf erst 1922 eine sozialdemokratische Lokalorganisation gründete18, war diese Partei bei den ersten Gemeinderatswahlen 1919 jedenfalls nicht angetreten.

Bürgermeister: Peter Kraus, Müllermeister
Vizebürgermeister: Leopold Kothmayer, Wirtschaftsbesitzer
Von den weiteren zehn Mitgliedern des Gemeinderates sind lediglich die nachfolgend genannten Herren bekannt: Hermann Körbel, Eduard Kothmayer, Martin Schiller, Leopold Stacher, August Tatzer
Der Gemeinderat bestand aus 12 Mitgliedern.

Im Juni 1924 legte Bürgermeister Kraus sein Amt aufgrund von Arbeitsüberlastung nieder, er gehörte jedoch weiterhin dem Gemeinderat an.19 Als sein Nachfolger wurde der bisherige Vizebürgermeister Leopold Kothmayer gewählt, der dieses Amt bis zur turnusgemäßen Neuwahl des Gemeinderats im November des selben Jahres ausübte.20

1924-192921
Die Gemeinderatswahl am 30. November 1924 brachte nachfolgendes Ergebnis:
Wirtschaftspartei: 9 Mandate; Sozialdemokraten: 67 Stimmen und 3 Mandate22

Vielerorts schlossen sich Christlich-Soziale und Großdeutsche unter dem Listennamen „Wirtschaftspartei“ zusammen, um geschlossen gegen die Sozialdemokraten aufzutreten. Denn obwohl in Lanzendorf eigentlich kein Wahlsieg der Sozialdemokraten zu erwarten war, einte die Sorge/Angst vor einem roten Bürgermeister ihre politischen Gegner.

Die konstituierende Sitzung fand am 26. Dezember 1924 statt und brachte folgendes Ergebnis:
Bürgermeister:
Josef Elbling (Wirtschaftspartei)
Vizebürgermeister: Jakob Tatzer (Wirtschaftspartei)
geschäftsführende Gemeinderäte: Johann Schweinwerther (Wirtschaftspartei), Anton Vielnascher (Sozialdemokratische Partei)
Gemeinderäte: Josef Achatz (Sozialdemokratische Partei), Johann Fallnbigl (Wirtschaftspartei), Leopold Klinisch (Wirtschaftspartei), Franz Koch (Wirtschaftspartei), Paul Kuselbauer (Wirtschaftspartei), Paul Lind (Sozialdemokratische Partei), Josef Pausch (Wirtschaftspartei), Josef Schöfbeck (Wirtschaftspartei)
Der Gemeinderat bestand aus 12 Mitgliedern.

1929-193423
Die Gemeinderatswahl vom 10. November 1929 brachte nachfolgendes Ergebnis:
zu vergebende Mandate: 13; Wahlberechtigte: 307; abgegebene gültige Stimmen: 263, diese verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

Wirtschaftspartei Sozialdemokraten Landbund und Großdeutsche Volkspartei
Stimmen Mandate Stimmen Mandate Stimmen Mandate
172 (65,4%) 9 67 (25,5%) 3 24 (9,1%) 1

Unter dem Namen „Landbund und Großdeutsche Volkspartei“ kandidierten in Lanzendorf die Anhänger bzw. Vertreter der Heimwehr. Seitens der Sozialdemokraten wurde kritisiert, dass die „Hahnenschwanzler“ versuchten gesinnungslose Wähler mit Wein, Wurst und Speck „zu kaufen“.24 Nachdem sie jedoch nur ein Mandat erzielen konnten, scheint diese Strategie nicht allzu erfolgreich gewesen zu sein, und das Ergebnis blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Nachdem das bei dieser Wahl neu hinzugekommene 13. Mandat an den Landbund ging, ergab sich für Wirtschaftspartei und Sozialdemokraten mandatsmäßig keine Veränderung gegenüber der Wahl im Jahr 1924.25

Bürgermeister: Josef Elbling (Wirtschaftspartei)
Vizebürgermeister: Johann Schweinwerther (Wirtschaftspartei)
geschäftsführende Gemeinderäte: Franz Koch (Wirtschaftspartei); Josef Achatz (Sozialdemokratische Partei)
Von den weiteren neun Mitgliedern des damaligen Gemeinderates sind lediglich Paul Lind und Josef Kopp (beide: Sozialdemokratische Partei) überliefert.

1934-193826
Bürgermeister: Josef Elbling
Bürgermeisterstellvertreter: Johann Schweinwerther
Über die weitere Zusammensetzung des Gemeindetages liegen keine Informationen vor.

1938-1945
Bürgermeister Elbling führte nach dem sogenannten „Anschluss“ und der Auflösung des Gemeindetags durch Beschluss der von den Nationalsozialisten eingesetzten Landesregierung zunächst als Gemeindeverwalter weiterhin die Amtsgeschäfte,27 bevor er Anfang des Jahres 1939 neuerlich zum Bürgermeister ernannt wurde.
Die Gemeindevertretung setzte sich ab diesem Zeitpunkt wie folgt zusammen28:
Bürgermeister: Josef Elbling, Landwirt, Nr. 126
Beigeordnete: Josef Schwediauer, Obermüller, Nr. 17 (auch Bürgermeisterstellvertreter)29; Franz Stubenvoll, Landwirt, Nr. 42

Elbling war der einzige Bürgermeister der einst selbstständigen Gemeinden der späteren Großgemeinde Mistelbach, der in den 1920er Jahren demokratisch gewählt wurde und auch während der gesamten Dauer der NS-Herrschaft im Amt blieb.

1945-1950
Unmittelbar nach Einmarsch der sowjetischen Truppen wurden Josef Schön und Leopold Klinisch (beide später ÖVP) von der Besatzungsmacht als Bürgermeister-Doppelspitze eingesetzt.30

Von 1946 bis 1948 scheinen dann folgende Personen an der Spitze der Gemeinde auf31:
Bürgermeister: Rudolf Kothmayer, Landwirt (ÖVP)
Vizebürgermeister: Josef Kothmayer (KPÖ)
Gemeinderäte: Paul Lind (KPÖ); Die weiteren Gemeinderäte sind nicht überliefert, lediglich die Mandatsverteilung ist bekannt: ÖVP 5 Mandate, SPÖ 4 Mandate, KPÖ 2 Mandate32 – somit gehörten dem Gemeinderat 11 Personen an.

Die SPÖ war bei den nach dem Krieg abgehaltenen Nationalrats- und Landtagswahlen in Lanzendorf als stimmenstärkste Partei hervorgegangen und da sich an diesen Wahlergebnissen grundsätzlich auch die Zusammensetzung des provisorischen Gemeinderates orientierte, stellten die Sozialdemokraten – wie für die stimmenstärkste Partei üblich – den Anspruch auf das Amt des Bürgermeisters. Diese relative Mehrheit spiegelte sich in der Mandatsverteilung, die auf einer Vereinbarung der drei Ortsparteien und damit auch der Zustimmung der SPÖ beruhte, allerdings nicht wider (siehe oben) und ein ungewöhnliches Zwecksbündnis zwischen ÖVP und KPÖ im Lanzendorfer Gemeinderat verwehrte der SPÖ nicht nur das Amt des Bürgermeisters, sondern auch jenes des Vizebürgermeisters. Dies sorgte naturgemäß für großen Unmut auf Seiten der SPÖ-Mandatare. Aus diesem Grund und aus Protest gegen die Amtsführung von Bürgermeister Kothmayer legten Anfang September 1948 die Mitglieder der SPÖ-Fraktion im Gemeinderat ihre Mandate nieder und somit war die Landesregierung gezwungen den Gemeinderat wegen Handlungsunfähigkeit aufzulösen.33 Bürgermeister Kothmayer war somit abgesetzt und seitens der Landesregierung wurde Alois Schmerold (SPÖ) als Gemeindeverwalter eingesetzt, der die Gemeindegeschäfte bis zur Neukonstituierung des Gemeinderates führen sollte.34 Aufgrund des Widerstands der anderen beiden Fraktionen, die mehreren Einladungen zu einer konstituierenden Sitzung nicht Folge leisteten, verzögerte sich die Neubildung des Gemeinderats über einige Wochen.

Schließlich konnte am 30. Jänner 1949 letztlich doch die konstituierende Sitzung abgehalten werden und der neue provisorische Gemeinderat bestand aus 8 SPÖ-Mandataren, 5 ÖVP-Mandataren sowie 2 KPÖ-Mandataren. Dieser Gemeinderat, in dem die SPÖ über eine absolute Mehrheit verfügte setzte sich personell wie folgt zusammen35:
Bürgermeister: Alois Ulz (SPÖ)
Vizebürgermeister: Josef Baronbeck (SPÖ)
Geschäftsführende Gemeinderäte: Alois Schmerold (SPÖ), Josef Kummerer (SPÖ), Franz Newald (SPÖ)
Gemeinderäte: Leopold Klinisch (ÖVP), Josef Kothmayer (KPÖ), Rudolf Kothmayer (ÖVP), Paul Lind (KPÖ), Anton Rath (SPÖ), Martin Schiller (ÖVP), Josef Schön (ÖVP), Josef Schwarz (SPÖ), Karl Stacher (ÖVP), Josef Vielnascher (SPÖ)

Die Vertreter der KPÖ und ÖVP waren zwar bei dieser konstituierenden Sitzung anwesend, verzichteten allerdings auf Wahlvorschläge für die ihnen zustehenden Mitglieder im Gemeindevorstand, und brachten so ihren Unwillen zur Beteiligung an der Gemeindearbeit unter SPÖ-Führung zum Ausdruck, sodass ausschließlich SPÖ-Mandatare gewählt wurden. Die ÖVP- und KPÖ-Vertreter erklärten in der darauffolgenden Gemeinderatssitzung jegliche Mitarbeit im Gemeinderat auszusetzen bis ein Mitte Februar 1949 in der sozialdemokratischen Regionalzeitung „Volksbote“ erschienener Artikel widerrufen würde. Dies dürfte geschehen sein oder man verständigte sich anderweitig, denn ab März beteiligten sich wieder alle Parteien aktiv an der Gemeindearbeit bis im Jahr darauf der Gemeinderat erstmals wieder durch die Bevölkerung gewählt wurde.

1950-195536
Gemeinderatswahl 7. Mai 1950 37
zu vergebende Mandate: 13; Wahlberechtigt: 336; abgegebene Stimmen: 319 (Wahlbeteiligung: 94,5%); ungültig: 18, gültig: 301, letztere verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

SPÖ ÖVP Linksblock (KPÖ)
Stimmen Mandate Stimmen Mandate Stimmen Mandate
157 (52,1%) 7 114 (37,9%) 5 30 (10%) 1

Nach der konstituierenden Sitzung vom 23. Mai 1950 setzte sich der Gemeinderat wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Alois Ulz (SPÖ)
Vizebürgermeister: Josef Baronbeck (SPÖ)
Geschäftsführende Gemeinderäte: Alois Schmerold (SPÖ), Alfred Schöller (ÖVP), Josef Schön (ÖVP)
Gemeinderäte: Franz Bauer (ÖVP), Karl Körbl (ÖVP), Josef Kothmayer (KPÖ), Josef Kummerer (SPÖ), Franz Newald (SPÖ), Johann Paar (SPÖ), Josef Schwarz (SPÖ), Karl Stacher (ÖVP)

Im August 1951 legte Bürgermeister Alois Ulz sein Amt sowie das Gemeinderatsmandat aus gesundheitlichen Gründen zurück und zu seinem Nachfolger wählte der Lanzendorfer Gemeinderat am 25. August 1951 Josef Baronbeck bzw. zum Vizebürgermeister Johann Paar.38 Durch das Ausscheiden von Alois Ulz rückte Hermann Tatzer für die SPÖ in den Gemeinderat nach.

Am 18. Februar 1953 wird Bürgermeister Josef Baronbeck auf Anordnung der Sowjet-Kommandantur verhaftet, weil er sich weigerte auf Gemeindekosten einen Anschlagkasten für das KP-Propagandablatt und offizielle Organ der sowjetischen Besatzungsmacht  „Österreichische Zeitung“ zu errichten. Der gesamte Lanzendorfer Gemeinderat begab sich daraufhin nach Mistelbach, um Protest gegen diesen Willkürakt der Besatzungsmacht einzulegen. Nach Inverventionen durch Landes- und Bundesbehörden bzw. deren Repräsentanten wird Bürgermeister Baronbeck, dessen Verhaftung in Zeiten des beginnenden Kalten Kriegs sogar als Randnotiz in einigen US-Zeitungen ihren Nachhall fand, bereits am Tag darauf wieder freigelassen.39

Mit 12. Dezember 1953 zog sich Alois Schmerold aus dem Gemeindevorstand zurück, verblieb allerdings weiter im Gemeinderat. In der Funktion als geschäftsführender Gemeinderat folgte ihm Josef Schwarz nach.

Mit 14. Februar 1954 schied Josef Kothmayer aus dem Gemeinderat aus, ihm folgt Otto Vogler als Mandatar der KPÖ nach.

1955-196040
Gemeinderatswahl 24. April 195541
zu vergebende Mandate: 13; Wahlberechtigt: 340; abgegebene Stimmen: 308 (Wahlbeteiligung: 90,6%); ungültig: 11, gültig: 297, letztere verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

ÖVP SPÖ Volksopposition (KPÖ)
Stimmen Mandate Stimmen Mandate Stimmen Mandate
152 (51,2%) 8 136 (45,8%) 7 9 (3%)

Unter Führung von Alfred Schöller gelang es der ÖVP bei der Wahl 1955 die Mandatsmehrheit zu erringen und nach sieben Jahren das Bürgermeisteramt zurückzuerobern.

Bürgermeister: Alfred Schöller (ÖVP)
Vizebürgermeister: Karl Körbl (ÖVP)
Gemeinderäte: Maria Achatz (SPÖ), Josef Elbling  jun. (ÖVP), Leopold Ellend (ÖVP), Josef Huber (SPÖ), Franz Newald (SPÖ), Johann Paar (SPÖ), Walter Pukl (ÖVP), Martin Schiller (ÖVP), Josef Schwarz (SPÖ), Johann Sieber (SPÖ), Karl Stacher (ÖVP), Franz Stubenvoll (ÖVP), Hermann Tatzer (SPÖ)

Die SPÖ-Mandatarin Maria Achatz ist neben der ebenfalls im Jahr 1955 in Ebendorf in den Gemeinderat gewählten Frieda Pichler (KPÖ/Volksopposition), die erste Frau die auf dem Gebiet der späteren Großgemeinde Mistelbach in den Gemeinderat gewählt wurde und dies 15 Jahre (!) bevor eine Frau erstmals in den Mistelbacher Gemeinderat einzog. Nachdem Pichler vorzeitig aus dem Gemeinderat ausschied, ist Achatz jedenfalls die einzige Frau, die eine volle Amtszeit hindurch einem Gemeinderat der ehemals selbstständigen Katastralgemeinden angehörte.

1960-1965
Gemeinderatswahl 10. April 196042
zu vergebende Mandate: 15; Wahlberechtigt: 336; abgegebene Stimmen: 324 (Wahlbeteiligung: 96,4%) ; ungültig: 6, gültig: 318, letztere verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

SPÖ ÖVP
Stimmen Mandate Stimmen Mandate
159 (50%) 8 159 (50%) 7

Aufgrund des Stimmengleichstands wurde zunächst mittels Los das für die Mehrheit im Gemeinderat entscheidende 8. Mandat der SPÖ zugesprochen. Die ÖVP rief jedoch in weiterer Folge die Bezirkswahlbehörde an und ersuchte um Prüfung der als ungültig gewerteten Stimmen und schließlich wurden zunächst als ungültig gewertete Stimmen für die ÖVP letztendlich doch als gültig gewertet, womit das 8. Mandat der ÖVP zufiel.

Die gemäß dem richtiggestellten Wahlergebnis vom 10. April 1960 gewählten Mandatare waren:
ÖVP: Alfred Schöller, Karl Körbl, Walter Pukl, Josef Elbling jun., Johann Schön, Leopold Ellend, Josef Wiesinger, Leopold Strobl,
SPÖ: Josef Baronbeck, Josef Schwarz, Johann Bauer, Hermann Tatzer, Franz Schön, Josef Huber, Johann Weinerek

Die SPÖ Gemeinderäte blieben der konstituierenden Gemeinderatssitzung im Juni 1960 fern, bei der Alfred Schöller von den anwesenden ÖVP-Vertretern zum Bürgermeister gewählt wurde. Durch ihr Fernbleiben verhinderten die gewählten SPÖ-Mandatare eine ordnungsgemäße Konstituierung und erzwangen damit indirekt die Auflösung des Gemeinderates durch die Landesregierung. Daher wurde im Sommer 1960 Dr. Kaufmann von der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach als Regierungskommissär mit der Führung der Gemeindeverwaltung betraut und eine Neuwahl zu Beginn des Jahres 1961 anberaumt.

Innerhalb der ÖVP kam es zu Differenzen und Altbürgermeister Rudolf Kothmayer trat bei der Neuwahl mit einer eigenen Liste an. Wie das Wahlergebnis zeigt hatte dieses Antreten mangels Wählerzuspruchs nur wenig Auswirkungen und das taktische Kalkül der SPÖ, die diese Neuwahl in der Hoffnung auf eine Mehrheitsverschiebung angestrebt hatte, erfüllte sich in keinster Weise, sondern hatte tatsächlich das Gegenteil zur Folge. Der Wahlkampf zwischen ÖVP und SPÖ wurde mit großer Härte geführt und hatte sogar ein juristisches Nachspiel.

Gemeinderatswahl 15. Jänner 196143
abgegebene gültige Stimmen: 331, diese verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

ÖVP SPÖ Liste Kothmayer („Freie Bauernpartei“)
Stimmen Mandate Stimmen Mandate Stimmen Mandate
192 (58%) 9 129 (39%) 6 10 (3%)

Nach der konstituierenden Sitzung vom 2. Februar 1961 setzte sich der Gemeinderat wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Alfred Schöller (ÖVP)
Vizebürgermeister: Karl Körbl (ÖVP)
Geschäftsführende Gemeinderäte: Walter Pukl (ÖVP), Franz Friedl (ÖVP), Josef Baronbeck (SPÖ), Josef Schwarz (SPÖ)
Gemeinderäte: Johann Bauer (SPÖ), Josef Elbling jun. (ÖVP), Leopold Ellend (ÖVP), Josef Huber (SPÖ), Franz Schön (SPÖ), Johann Schön (ÖVP), Leopold Strobl (ÖVP), Hermann Tatzer (SPÖ), Josef Wiesinger (ÖVP)

Josef Baronbeck schied mit 21. Juli 1961 aus dem Gemeindevorstand aus und statt ihm wurde Franz Schön am 3. August 1961 als geschäftsführender Gemeinderat der SPÖ gewählt. Baronbeck blieb weiterhin im Gemeinderat. In derselben Sitzung kam es zu einem weiteren Wechsel innerhalb der SPÖ-Fraktion: Johann Weinerek folgte auf Johann Bauer, der sein Mandat niedergelegt hatte.

Nach dem Ableben von Vizebürgermeister Karl Körbl wurde in der Sitzung vom 11. November 1964  Josef Elbling zum Vizebürgermeister gewählt. Auf das freigewordene Mandat rückte Friedrich Tanzler als Vertreter für die Volkspartei nach.

1965-196644
Gemeinderatswahl 196545
zu vergebende Mandate: 13; Wahlberechtigt: 335; abgegebene Stimmen: 311 (Wahlbeteiligung: 92,8%); ungültig: 10, gültig: 301, letztere verteilten sich auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt:

ÖVP SPÖ
Stimmen Mandate Stimmen Mandate
195 (64,8%) 9 106 (35,2%) 4

Nach der konstituierenden Sitzung vom 21. April 1965 setzte sich der Gemeinderat wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Alfred Schöller (ÖVP)
Vizebürgermeister: Josef Elbling (ÖVP)
Geschäftsführende Gemeinderäte: Josef Wiesinger (ÖVP), Josef Schwarz (SPÖ)
Gemeinderäte: Leopold Ellend (ÖVP), Josef Kober (ÖVP), Johann Rath (ÖVP), Franz Schön (SPÖ), Johann Schön (ÖVP), Leopold Strobl (ÖVP), Hermann Tatzer (SPÖ), Josef Trestler (ÖVP), Johann Weinerek (SPÖ)

In der Sitzung vom 18. Dezember 1965 verzichtet Josef Schwarz (SPÖ) auf seine Funktion als geschäftsführender Gemeinderat, ihm folgte Franz Schön. Schwarz gehörte jedoch weiterhin dem Gemeinderat an.

Nach dem Ableben von Vizebürgermeister Elbling wurde in der Sitzung vom 19. September 1966 Josef Trestler zum neuen Vizebürgermeister gewählt. Auf das freigewordene Mandat rückte für die ÖVP Josef Strobl in den Gemeinderat nach.


Der letzte Gemeinderat von Lanzendorf Ende des Jahres 1966 aus „Lanzendorf – einst und heute, eine kleine Ortschronik“ (1996)
(Foto: © Franz K. Obendorfer – Verwendung mit freundlicher Genehmigung von Franz Obendorfer)

Die letzte Sitzung des Lanzendorfer Gemeinderates fand am 28. Dezember 1966 statt. Bereits im November wurde aufgrund der bevorstehenden Eingemeindung eine Neuwahl des Mistelbacher Gemeinderates unter Einbeziehung der Bevölkerung von Lanzendorf und Ebendorf abgehalten, sodass als Lanzendorf mit 1. Jänner 1967 Teil der Gemeinde Mistelbach wurde, auch der neu zusammengesetzte Mistelbacher Gemeinderat seine Arbeit aufnehmen konnte.

 

Übersicht über die Bürgermeister der Gemeinde Lanzendorf

Eine erste Auflistung veröffentlichte Prof. Hans Spreitzer in einem Beitrag zur Geschichte Lanzendorfs 1970 in der Reihe Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart46. Diese wurde später auch in die 1996 erschienene Publikation von Altbürgermeister Schöller übernommen. Allerdings ist diese Liste unvollständig bzw. bezüglich der Zeitpunkte der Amtswechsel ungenau.47

Amtszeit Bürgermeister
1850-1863 Josef Kothmayer
1863-1870 Georg Panzer
1870-1873 Franz Schön
1873-1876 Franz Kothmayer
1876-1882 Leopold Stacher
1882-1885 Michael Rieth
1885-1896 Lambert Kothmayer
1896-1919
Franz Schön jun. (*1855, †1951)
1919-1924 Peter Kraus (*1883, †1942), (Wirtschaftspartei?)
1924 Leopold Kothmayer, Wirtschaftspartei
1924-1945 Josef Elbling (*1873, †1957), Wirtschaftspartei
1945-1946 Josef Schön & Leopold Klinisch (*1888, †1966)
1946-1948 Rudolf Kothmayer, ÖVP
1948-1949 Alois Schmerold, SPÖ (als Gemeindeverwalter seitens der nö. Landesregierung eingesetzt)
1949-1951 Alois Ulz, SPÖ
1951-1955
Josef Baronbeck (*1906, †1970), SPÖ
1955-1960
Alfred Schöller (*1921, †2000), ÖVP
1960-1961 Dr. Kaufmann (als Regierungskommissär (=Gemeindeverwalter) seitens der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach eingesetzt)
1961-1966
Alfred Schöller (*1921, †2000), ÖVP

 

Bildnachweis:
-) letzter Lanzendorfer Gemeinderat 1966: Schöller, Alfred & Jolanda/ Schön, Johann: Lanzendorf – einst und heute, eine kleine Ortschronik (1996), Teil II, S. 20; Foto: Franz K. Obendorfer – Verwendung mit freundlicher Genehmigung von Franz Obendorfer (Sohn)
-) Foto Bgm. Johann Schön: Scan nach einem von Philipp Hödl zur Verfügung gestellten Original
-) Portraitfoto Bgm. Alfred Schöller: zur Verfügung gestellt von Dr. Alfred Schöller (Sohn)

Quellen (und Anmerkungen):

Zu dem als Quelle sehr wichtigen Amtskalender ist anzumerken, dass dieser immer bereits im Oktober/November des Vorjahres in Druck gelegt wurde – ein wesentliches Faktum bei der Verwendung dieser Quelle zwecks Rekonstruktion der Amtszeit der Gemeindevertreter.

-) Gemeinderatsprotokolle der Gemeinde Lanzendorf im Archiv der Stadtgemeinde Mistelbach für den Zeitraum 1949-1966

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Älteste bildliche Darstellungen von Mistelbach

Georg Matthäus Vischers Darstellung 1670

Die älteste bildliche Darstellung von Mistelbach findet sich auf der vom Topografen und Kartografen Georg Matthäus Vischer 1670 geschaffenen Karte mit dem Titel „Archiducatus Austriae Inferioris Accuratissima Geographica Descriptio“. Diese Karte und die etwas später veröffentlichten Kupferstiche von bedeutenden Orten und Schlössern (zB Ebendorf und Paasdorf) wurden bereits im Beitrag Mistelbach und seine Katastralgemeinden in Vischers Niederösterreich Karte u. Topographie behandelt. Nachdem von Mistelbach leider kein Detail-Kupferstich vorliegt, soll nachfolgend die Darstellung Mistelbachs auf Vischers Karte einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden.

So wird Mistelbach auf Vischers Karte dargestellt. Der durchbrochene weiße Kreis zeigt laut Legende an, dass es sich um einen „Markt“, also einen Ort mit Marktrecht handelt. Unterhalb Mistelbachs verläuft die Zaya.
Mit den tatsächlichen Gegebenheiten ist diese Darstellung nicht in Einklang zu bringen.

Es muss festgestellt werden, dass diese Darstellung Mistelbachs in Bezug auf die Anordnung der Gebäude, insbesondere unter Berücksichtigung des Elements der Perspektive, keinerlei Sinn ergibt. Außer Zweifel steht, dass es sich hier um eine vereinfachte Gesamtansicht des Ortes handelt, und nicht wie an anderer Stelle fälschlicherweise gemutmaßt wurde, um eine Darstellung der alten Mistelbacher Burg1, die zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr existierte.

Eine Bemerkung von Univ.-Prof. Dr. Herbert Mitscha-Märheim löst das Rätsel um die merkwürdige, unstimmige Darstellung: in der Beschreibung des Schlosses Ebendorf in seinem 1971 erschienenen Buch „Eine kleine Geschichte von Ebendorf bei Mistelbach“ merkt er an, dass Ebendorf – auf der Karte durch das Schloss dargestellt – spiegelverkehrt abgebildet worden ist.2 Und tatsächlich: vergleicht man die Detailansicht vom Schloss mit der Darstellung auf der Karte fällt diese Unstimmigkeit auf. Während bei Paasdorf die Darstellungen übereinstimmen, wurde wie unten stehender Bildausschnitt zeigt auch die Ortsansicht von Mistelbach offensichtlich spiegelverkehrt gestochen bzw. in weiterer Folge gedruckt. Derartige Fehler kamen im Druckereigewerbe einst öfters vor, musste doch jeder Text und jedes Bild zunächst spiegelverkehrt gesetzt bzw. gestochen werden, um dann in richtiger Anordnung auf dem gedruckten Blatt zu landen.

Spiegelt man den Ausschnitt aus der Karte ergibt sich naturgemäß ein völlig anderes und im konkreten Fall stimmiges Bild, das eine Ansicht aus (süd)westlicher Richtung zeigt.

Von rechts nach links: der spitze Turm außerhalb der Befestigung – die Spitalskirche (1); in der Bildmitte die Pfarrkirche (2) ohne Turmhelm und ohne Darstellung der Lage auf dem Kirchenberg; beim Turm mit Turmhelm handelt es sich um den alten Rathausturm (3) am Hauptplatz.

Der Kirchturm war über Jahrhunderte hinweg im Vergleich zu heute recht niedrig und verfügte lange Zeit über keinen oder nur einen sehr kleinen pyramidenförmigen Turmhelm. Frühere Versuche einen Turmhelm zu errichten wurden zum Teil durch Blitzschläge zunichtgemacht.3 Auch Ende des 17. Jahrhunderts als Vischer Niederösterreich bereiste zeigte sich der Turm ohne Abschluss. Eine Abbildung des Kirchturms (ohne Helm) findet sich übrigens auch noch Anfang des 19. Jahrhunderts in Schweickhardts Topographie. Abgesehen von der Ost-West-Ausrichtung ist die Kirche auch durch ein am Dachgiebel des Kirchenschiffs angebrachtes kleines Kreuz erkennbar, das bis heute existiert. Das große Haus links neben dem Rathausturm, das man bei der falschen Originaldarstellung auf der Karte für das allerdings erst rund 30 Jahre später fertiggestellte Kolleg halten könnte, dürfte wohl kein reales Vorbild haben, und einfach der Illustration gedient haben. Seine Lage entspräche übrigens in etwa jener des Barockschlössls, doch wurde auch dieses erst in den 1730er Jahren an einem zuvor leeren Platz errichtet. In der gespiegelten Form stimmt die Abbildung mit der rund 40 Jahre später angefertigten Ansicht von Werner (siehe weiter unten) klar überein, weshalb bezüglich der spiegelverkehrten Darstellung auf der Karte kein Zweifel besteht.

 

Friedrich Bernhard Werners Darstellung 1711

Der aus Niederschlesien stammende Friedrich Bernhard Werner (1690-1776) zählt zu den produktivsten Zeichnern topographischer Ansichten des 18. Jahrhunderts, von dem über 3000 Ansichten überliefert sind. Er war viele Jahre auf Wanderschaft und bereiste weite Teile Europas. Seine ersten Reisejahre führten ihn von seiner Heimat Schlesien über Sachsen und Franken nach Bayern und schließlich durch Süd- und Osttirol, Kärnten, Salzburg, Oberösterreich auch nach Niederösterreich.4 Von Krems reiste Werner nach Hollabrunn und kam über Poysdorf schließlich am 16. Februar 1711 nach Mistelbach, wo er folgendes in seinem Reisetagebuch vermerkte: „Müstelbach der schönste Marckt in unter östereich ist viel schöner, auch grösser als sonsten ein gemaines Städtl, ein schöner undt wohl erbauter Platz“.5 Wie aus diesem Eintrag zu schließen ist, dürfte Mistelbach einen sehr positiven Eindruck auf ihn gemacht haben, und nachdem Werner schon weit gereist war (auch in Unterösterreich = Niederösterreich), sind seine Worte ein umso schöneres Lob für den damals kleinen Markt. Nach seinem Aufenthalt in Mistelbach setzte er seine Reise südwärts Richtung Wiener Neustadt fort. In den Jahren 1708/09 bis 1715 entstand das sogenannte „Linzer Reisebuch“ – so benannt weil es sich das Original seit Jahren im Besitz des Oberösterreichischen Landesarchivs befindet –  mit 418 Ansichten bzw. Skizzen. Es handelt sich dabei nicht um das Originalskizzenbuch, das er bei seiner Reise dabei hatte, sondern Werner hat seine Skizzen und Notizen offenbar später in dieses Buch übertragen.6 Darin befindet sich auch die nachfolgende Ansicht Mistelbachs:

Die Darstellung Mistelbachs auf einer aus dem Jahre 1711 stammenden Federskizze von Friedrich Bernhard Werner, mit folgender Bildbeschreibung: „N: 1 die Pfarrkirchen welche die Michaeler bedienen, 2 ihr Kloster oder Collegio, 3 Platz Thurm, 4 Hospital“7

Auf dieser Ansicht aus südwestlicher Richtung findet sich unter 1. die Pfarrkirche, deren Höhenlage im Verhältnis zum davor abgebildeten Kollegsgebäude („Kloster“ – Nr. 2) recht akurat dargestellt wurde, allerdings ohne, dass der Grund für diesen Höhenunterschied – nämlich der Kirchenberg zu erkennen wäre. Bei der Bezeichnung  „Michaeler“ handelt es sich um ein Missverständnis, denn Inhaber der Mistelbacher Pfarre war seit 1661 der Barnabiten-Orden, und die erste Pfarre die dieser Orden in Österreich übernommen hatte war die Hofpfarrkirche St. Michael (Michaelerkirche) in Wien. Werner krönte den Turm der Mistelbacher Pfarrkirche übrigens durch seine Standard-Turmspitze, die mit Sicherheit nicht dem damaligen Erscheinungsbild des Turms entsprach. Bei 3. handelt es sich um den alten Rathausturm der samt dem alten Rathausgebäude 1875 abgebrochen wurde. Besonders interessant ist die Darstellung des außerhalb der Befestigung gelegenen Spitalsviertels („Hospital“ – Nr. 4) mit der alten Spitalskirche im Zentrum. Beim Mistelbacher Spital handelt es sich um eine im 14. Jahrhundert durch die Herren von Mistelbach gestiftete Sozialeinrichtung, die von den Liechtensteinern weitergeführt wurde und bis ins 20. Jahrhundert existierte. Möglicherweise ist links von der von 1904 abgebrochenen und später etwas versetzt neu erbauten Spitalskirche (Elisabethkirche) am Rande der Ortsumfriedung („Stadtmauer“) sogar das „Wiedentor“ (auch unteres Markttor genannt) erkennbar.

Bildnachweise:
-) Vischers Niederösterreich-Karte auf der Webseite der Niederösterreichischen Landesbibliothek
-) Werner-Skizze: Kopie im Göstl-Archiv bzw. Stadt-Museumsarchiv

Quellen:

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Mistelbacher Notgeld

In Österreich-Ungarn war die Krone seit 1892 das gesetzliche Zahlungsmittel und eine Krone setzte sich aus 100 Heller zusammen. In Folge der Auflösung der Monarchie blieb die Kronenwährung nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen Nachfolgestaaten zunächst weiter in Verwendung. In der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg herrschte ein großer Mangel an Kleingeld, der mehrere Ursachen hatte:
-) während des Krieges waren alle verfügbaren Metalle in der Rüstungsindustrie verwendet worden, weshalb während des Krieges kein neues Kleingeld (Hellermünzen) geprägt wurde. Nachdem jedoch gerade beim Kleingeld ein hoher Verschleiß bzw. Verlust auftritt, lag grundsätzlich eine Unterversorgung mit Hartgeld vor.
-) in der bald nach Kriegsende einsetzenden Inflation überstieg der Materialwert der Münzen bald ihren Nominalwert, was ebenso dafür sorgte, dass diese kaum mehr in Umlauf waren
-) Wie oben bereits erwähnt blieb die Kronenwährung zunächst Zahlungsmittel in allen Nachfolgestaaten der Monarchie. Die Banknoten wurden durch Abstempeln markiert, sodass diese nur mehr in den jeweiligen Ländern Gültigkeit hatten. Bei den Münzen, war eine entsprechende Markierung nicht so einfach möglich, sodass diese zunächst weiterhin in verschiedenen Ländern Gültigkeit hatten. Nachdem sich der Wert der landesspezfischen Kronenwährungen schon bald sehr unterschiedlich entwickelte, führte dies natürlich dazu, dass das Kleingeld teils in andere Länder abfloss, etwa in jene in denen es einen höhere Kaufkraft aufwies.

Um den Kleingeldmangel, der insbesondere den Handel vor ernstzunehmende Probleme stellte zu bekämpfen, kamen einige Landeshauptstädte 1919 auf die Idee „Kassenscheine“ im Werte von 10- und 20-Heller herauszugeben, die gegen Kronen ein- und auch wieder retourgetauscht werden konnten.1 Die Idee breitete sich bald auch im Rest Österreichs aus, doch zeitigte sie nicht den gewünschten Erfolg. Denn die Ausgabe des Notgelds rief Sammler auf den Plan, die dieses ähnlich den Briefmarken mit Begeisterung sammelten und ob der begrenzten Stückzahlen und der Regionalität eine Wertsteigerung erwarteten. Somit wurde auch das Ersatzgeld dem Wirtschaftskreislauf entzogen, doch wurde seitens der Gemeinden bald erkannt, dass sich durch die Ausgabe von am besten möglichst künstlerisch gestalteten Scheinen Geld für die Gemeindekasse lukrieren lässt.2 Hunderte Gemeinden gaben in der Folge Notgeldscheine heraus und verkauften diese mit Aufschlag an die Sammler, und durch die zeitlich begrenzte Gültigkeit mussten die Scheine in aller Regel nicht wieder retourgetauscht werden. Aufgrund ihres geringen Nominalwertes hätten diese mit der zu Beginn der 1920er Jahre einsetzenden Hyperinflation jedoch ohnedies ihren Wert verloren. Das Ersatzgeld war ein sehr gutes Geschäft, und sobald eine Gemeinde Notgeld ausgab und darüber in den Zeitungen berichtet wurde, gingen zahlreiche Bestellungen von Sammlern bzw. Zwischenhändlern im Gemeindeamt ein. Es kam sogar soweit, dass viele Zeitungen sich weigerten im Nachrichtenteil darüber zu berichten, wenn Gemeinden Notgeld einführten, sofern sie nicht eine Vergütung dafür erhielten.3 Diese Sammelmanie und das Geld das dabei im Spiel war öffnete natürlich Tür und Tor für Betrügereien aller Arten und die Landesregierungen bzw. der Fiskus sah sich gezwungen diesem Gelddrucken der Gemeinden einen Riegel vorzuschieben. Ein Nachteil des Gemeinde-Notgelds war natürlich, dass mit diesem abseits von Sammlergeschäften, nicht gemeindeübergreifend gehandelt werden konnte. Zum Teil gab es daher auch Notgeld, das von den Bundesländern herausgegeben wurde, und teils parallel zum Gemeinde-Notgeld in Umlauf war bzw. dieses ersetzte.

Auf dem Höhepunkt des Notgeld-Hypes sprang auch die Stadt Mistelbach auf diesen Trend auf, und gab im Frühsommer 1920 ihr Notgeld in Form von Scheinen zu 10-, 20- und 50-Heller heraus, deren Gültigkeit bereits mit Ablauf des Jahres 1920 endete. Die am 12. Juni 1920 erstmalig ausgegebenen4 Notgeldscheine wurden vom akademischen Maler Josef Zlatuschka aus Wien gestaltet und wurden von der gleichfalls in Wien ansässigen Druckerei Waldheim-Eberle & Co. hergestellt. Schon in der Berichterstattung des Mistelbacher Bote über die Herausgabe des Ersatzgeldes wird explizit deren künstlerisch gelungene Gestaltung gerühmt und erwähnt, dass die Scheine von Sammlern bereits heiß begehrt würden.5 Es darf daher angenommen werden, dass damit hauptsächlich Sammler angesprochen werden sollten und die Scheine im Wirtschaftsleben der Stadt kaum eine Rolle spielten.6 Die Mistelbacher Notgeldscheine erschienen in drei augenscheinlich zeitgleich herausgegebenen Serien (A, B und C), die abgesehen vom jeweiligen Serien-Buchstaben und einer unterschiedlichen Farbgebung (A: violett, B: orange, C: grün) exakt gleich ausgestaltet sind. Die Notgeldscheine wurden in großer Auflage gedruckt und mehr als hundert Jahre nach ihrer Ausgabe existieren noch zahlreiche Exemplare davon, sodass sie selbst unter Sammlern keinen großen Wert aufweisen.

Nachfolgend Abbildungen eines vollständigen Satzes der Notgeldscheine der Serie A:

Der 10-Heller-Schein zeigt ein bekanntes Motiv: den Blick auf die Pfarrkirche durch die Kirchengasse. Auch die Unterschriften von Bürgermeister Josef Dunkl jun. und Vizebürgermeister Johann Kocholl findet sich auf der Vorderseite jedes Scheins

Die Rückseite aller Notgeldscheine zeigt einen Blick über die Stadt aus westlicher Richtung

 

Der 20-Heller-Schein zeigt die Pestsäule („Totenleuchte“) an ihrem damaligen Standort auf dem Kirchenberg („Franz Josefs-Höhe“), während sie sich nun seit dem Jahre 1985 auf dem Europaplatz vor der Polytechnischen Schule befindet

Außerdem findet sich auf der Rückseite der Scheine das Wappen der Stadt Mistelbach. Allerdings in einer etwas eigenwilligen Interpretation: die Mistelpflanze scheint etwas überdimensioniert und der Ast aus dem die Mistel wächst fehlt in der Darstellung

 

Der 50-Heller-Schein zeigt die Mariensäule an ihrem alten Standort vor dem Notspital im Kreuzungsbereich Neustiftgasse/Hochgasse/Kellergasse. In den 1950er Jahren wurde die Mariensäule an ihren heutigen Standort am Marienplatz versetzt, und stattdessen die sogenannte Adventsäule aufgestellt

Weiters finden sich auf der Rückseite aller Scheine zwei für die Geschichte der Stadt wichtige Ereignisse vermerkt: die Erbauung der Spitalskirche St. Elisabeth durch die Herren von Mistelbach, die allerdings nicht wie man damals annahm 1016, sondern erst 1316 erfolgte, sowie die Stadterhebung durch Kaiser Franz Joseph I im Jahre 1874

Um die unterschiedliche Farbgebung zu veranschaulichen, sind nachfolgend als Beispiel auch die 10-Heller-Scheine der Serien B und C abgebildet.

 

Bildnachweis:
-) Notgeldscheine aus der Sammlung von Thomas Kruspel

Quellen:

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Kolpingstraße

Adolph Kolping wurde 1813 in Kerpen bei Köln geboren und aus einfachen Verhältnissen stammend erlernte er zunächst den Beruf des Schuhmachers. Erst später ermöglichten ihm Gönner ein Studium und damit eine Laufbahn als Geistlicher. Aufgrund seiner eigenen Biografie wusste er um die furchtbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in denen die einfachen Handwerker und die Arbeiter in den ab Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Fabriken leben mussten. Nach Abschluss ihrer Ausbildung gingen die Gesellen damals für längere Zeit auf Wanderschaft, die einen festen Bestandteil des Werdegangs eines Handwerkers bildete, und auch Kolping machte diese Erfahrung. Fernab von Familie und Freunden in der Fremde hatten es die jungen Handwerker besonders schwer leistbare und adequate Unterkunft sowie sozialen Anschluss zu finden. Nach seiner Priesterweihe 1845 kam Kolping als Kaplan nach Elberfeld (heute ein Ortsteil von Wuppertal) und hier wurde er im von einem seiner Priesterkollegen kurz zuvor gegründeten Gesellenverein aktiv. Er erkannte, dass ein solcher Verein den jungen Männern Unterkunft und Gemeinschaft bieten konnte und als er einige Jahre später nach Köln berufen wurde, gründete er dort seinen ersten „Katholischen Gesellenverein“, und es gelang ihm kurze Zeit später dank zahlreicher Spenden ein sogenanntes Gesellenhospiz zu eröffnen. Dieses Haus sollte nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern darüber hinaus familiären und geistlichen Rückhalt bieten. Er setzte sich mit großem Erfolg für die Gründung von Gesellenvereinen im deutschen Sprachraum ein und die Idee verbreitete sich rasch und hatte hunderte Vereinsgründungen zur Folge. Das Ziel jungen Menschen außerhalb ihres Elternhauses eine Art Ersatzfamilie zu bieten und ihre Entwicklung zu fördern, war und ist bis heute eine Hauptaufgabe der Kolpingbewegung und dies äußert sich auch in der Bezeichnung Kolpingsfamilie – so heißen die Gemeinschaften aus hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern vor Ort – und dem früher üblichen Namen Kolpingsöhne für die dort lebenden Handwerksburschen. Passend dazu wurde Kolping als „Gesellenvater“ bekannt und gilt als einer jener katholischen Geistlichen, die sich früh mit der „sozialen Frage“ auseinandersetzten. Kolpings Idee wirkt weit über seinen frühen Tod im Jahre 1865 hinaus bis heute und die von ihm begründete Bewegung – auch Kolpingwerk genannt – ist mittlerweile in einer Vielzahl von Bereichen im Sozialwesen aktiv und zählt zu den größten christlichen Sozialverbänden.

1894 wurde auch in Mistelbach ein katholischer Gesellenverein nach dem Vorbilde Kolpings gegründet1, dessen zeitweiliger Präses („geistlicher Begleiter“) der Barnabitenpater Don Clemens Czacha war2. Die Gründung des Gesellenvereins ist wohl auch als Reaktion auf die wenige Wochen zuvor erfolgte Gründung eines sozialdemokratischen Arbeitervereins in Mistelbach zu verstehen. Der Gesellenverein dürfte jedoch bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wieder erloschen sein3, und aufgrund dieser Kurzlebigkeit hatte er auch kein eigenes Heim. Der von einem Laien initiierte Versuch einer Neugründung im Jahr 1920 misslang4, sodass das Kolpingwerk in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Mistelbach nicht mehr in Erscheinung trat.

1954 sollte sich schließlich Gelegenheit für einen Neustart ergeben, als der damalige Bürgermeister Franz Bayer seinen ehemaligen Schulkollegen aus dem Hollabrunner Knabenseminar und damaligen Zentralpräses des Kolpingwerks Josef Gegenbauer traf und mit ihm die Möglichkeit der Errichtung eines Kolpinghauses für Lehrlinge und Gesellen in Mistelbach besprach. Der die Pfarre Mistelbach innehabende Salvatorianerorden stellte den Baugrund zu Verfügung und es bildete sich ein Kreis von alten Kolpingsöhnen, unter der Führung des Mistelbacher Sattlermeister Georg Göstl sen. – Vater des späteren Stadtrates Georg Göstl – der bereits 1920 erfolglos versucht hatte die Gründung eines Gesellenvereins zu initiieren. Diese Gemeinschaft bildete die Basis für die Kolpingsfamilie Mistelbach und das Amt des Präses, also des geistlichen Leiters, übernahm der damalige Kaplan und spätere Stadtpfarrer Pater Volkmar Kraus. Bereits am 8. September 1955 konnte die feierliche Grundsteinlegung erfolgen5, doch stand das Projekt zwischenzeitlich aus finanziellen Gründen immer wieder kurz vor dem Scheitern, und Pater Volkmar bat in seinen Gebeten um die Fürbitte des Gründers der Salvatorianer, Franziskus Maria vom Kreuze Jordan, der in seiner Jugend selbst Kolpingsohn gewesen war. Schon das Datum für die Grundsteinlegung wurde aus Dankbarkeit auf den Todestag des Ordensgründers gelegt und das Haus erhielt schließlich auch den Namen „Kolpinghaus Pater Jordan“.6 Der Grund auf dem das Kolpinghaus errichtet wurde befand sich seit Jahrhunderten im Besitz der Mistelbacher Pfarre, und die Barnabiten, die die Pfarre vor den Savlatorianern innehatten, betrieben hier einstmals eine Lehmgrube samt Ziegelofen. Das Gebäude wurde am oberen Ende dieses weitläufigen Areals errichtet, dass schon seit einigen Jahren den kirchennahen Jugendvereinen (Pfadfinder, Basketballer der UKJ, etc.) als Sport- und Spielplatz diente.

Die Segnung des Grundsteins durch Prälat Jakob Fried am 8. September 1955

Der Rohbau konnte bereits vor dem Winter 1955/56 fertiggestellt werden

Zur Veranschaulichung was unter einem Kolpinghaus zu verstehen ist bzw. wie das Kolpingwerk seine Einrichtungen selbst sah, nachstehend eine aus den 1950er Jahren stammende Beschreibung aus dem Kolpingsblatt, dem Organ des österreichischen Kolpingwerks:
„Was ist ein Kolpinghaus?
Es ist kein Internat – dort herrscht das Schema.
Es ist keine Kaserne – dort herrscht das Kommando.
Es ist keine Erziehungsanstalt – dort ist jeder Zögling ein pyschologisch interessanter Fall.
Es ist keine Stätte – wo man nur schläft.
Es ist kein Hotel – wo man nur zahlt.
Das Kolpinghaus ist das Vaterhaus in der Fremde

Zunächst schritten die Bauarbeiten rasch voran und schon im Herbst 1955 konnte der Rohbau fertiggestellt werden, allerdings gab es dann Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Baustahl und Dachziegeln, die zu erheblichen Verzögerungen führten. Außerdem war das Vorhaben zu Baubeginn keineswegs ausfinanziert und so konnte der Baufortschritt nur nach Maßgabe der vorhandenen finanziellen Mittel erfolgen. Schließlich konnten sämtliche Arbeiten im Frühjahr 1957 abgeschlossen werden und die Eröffnung und Einweihung des „Kolpinghauses Pater Jordan“ erfolgte am 1. Mai 1957 durch Erzbischof Dr. Franz König und im Beisein von Bundeskanzler Julius Raab – einem großen Förderer des Kolpingwerks. Das Kolpinghaus umfasste folgende Einrichtungen: 7 Vier-Bett-Zimmer und 4 Drei-Bett-Zimmer im Obergeschoß sowie einen Gemeinschaftswaschraum; im Erdgeschoß: Gemeinschaftsräume, das Büro des Präses und die Wohnung des Heimleiters. Im (Halb-)Kellergeschoß: Küche, Speisesaal, Waschküche und sonstige Wirtschaftsräume. Außerdem war im Keller ein Raum für die Pfadfinder untergebracht, der über einen gesonderten Eingang verfügte. Darüber hinaus verfügte das Kolpinghaus über einen Balkon, einen Garten samt Terrasse und bot Raum zu sportlicher Betätigung auf dem direkt daneben befindlichen Spiel- und Sportplatz der Pfarre („alter Pfadfinderplatz“).7 Das Gebäude wurde nach Plänen von Dr. Viktor Kraft, der auch durch zahlreiche andere von ihm entworfene Bauwerke bis heute das Stadtbild prägt, durch Baumeister Ing. Geyer erbaut.

Etwa 1957: Die treibende Kraft hinter der Errichtung des Kolpinghauses: der spätere Stadtpfarrer P. Volkmar Kraus gemeinsam mit Polier Karl Burisch auf der Baustelle

 

Das Kolpinghaus (Ostseite, sportplatzseitig) in der Pater Helde-Straße Nr. 10 im Jahr seiner Fertigstellung 1957

Zunächst stand das Kolpinghaus hier noch allein auf weiter Flur, doch kurz nach seiner Fertigstellung begann in der Umgebung reger Siedlungsbau (zuerst „KOSMOS“-Siedlung und weitere folgten) und im Zuge der hierfür notwendigen Parzellierung und Errichtung von Straßen erhielt das Kolpinghaus die Adresse Pater Helde-Straße Nr. 10. Somit erinnert nicht nur der Name des Hauses an den Gründer des Salvatorianerordens, sondern auch in der Adresse findet sich der Name eines weiteren Salvatorianers und zwar des in Mistelbach von russischen Soldaten getöteten P. Titus Helde. In erster Linie diente das Kolpinghaus zur Unterbringung von Lehrlingen aus der Umgebung, während sie die Gewerbeschule (Vorläufer der Berufsschule) in Mistelbach besuchten, bzw. bot es auch jenen auswärtigen Lehrlingen und Gesellen Unterkunft, die in Mistelbach ihre Lehre absolvierten bzw. arbeiteten. Erst Anfang 1966 sollte ein eigenes Internat für die Schüler der Berufsschule unweit des Kolpinghauses errichtet werden und dies brachte mit sich, dass statt Lehrlingen und Gesellen vermehrt Schüler hier Quartier fanden. Schließlich war es Mistelbach nach jahrelangem Ringen gelungen mit der 1963 erfolgten Eröffnung des musisch-pädagogischen Realgymnasiums (heute BORG) endlich Standort einer höheren Schule zu werden und dies war erst der Beginn der Entwicklung Mistelbachs zur Schulstadt. Den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragend öffnete sich das Kolpingwerk, dessen Angebote sich bis in die 1960er Jahre ausschließlich an junge Burschen und Männer richtete, nun auch für Mädchen und Frauen und überhaupt erweiterte sich der Wirkungskreis des Kolpingwerks in den folgenden Jahrzehnten auch in andere Bereiche im Sozialwesen.

Eine neue Rolle erhielt das Kolpinghaus 1970 als mit dem Schuljahr 1970/71 in Mistelbach die Bundesbildungsanstalt für Kindergärtnerinnen mit zwei Jahrgängen in ihr erstes Schuljahr startete und es erstmals auch Schülerinnen als Quartier offen stand. Das Bundesschulzentrum wurde erst Jahre später 1978 geschaffen und bis dahin war die neue Schule im Gebäude der ehemaligen Badeanstalt im Stadtpark untergebracht. Dieses Gebäude, dass zuvor bereits von der Volksschule aufgrund der herrschenden Raumnot als eines von mehreren Ausweichquartieren genutzt wurde (der Volksschulneubau in der Bahnzeile wurde erst 1971 eröffnet) hatte den Namen „Parkschule“. Nachdem das Kolpingheim schon zuvor einige Volksschulklassen beheimatete8 wurden in weiterer Folge auch Klassen der Kindergärtnerinnenschule hier untergebracht und darüber hinaus, sollte es als Internat für die Schülerinnen dieser Anstalt, die aus dem gesamten östlichen Weinviertel kamen, dienen.9

1978: Eröffnung eines zweiten Kolpinghauses als Mädchen-Familienwohnheim in der Pater Helde-Straße Nr. 17

Zusätzlich zu den oben bereits erwähnten Schulen wurde in Mistelbach 1976 auch eine Handelsakademie und -schule eröffnet und der Bedarf an Internatsplätzen, insbesondere für Mädchen stieg. Diesem Umstand Rechnung tragend wurde 1976 mit dem Bau eines Mädchen-Familienwohnheims des Kolpingwerks nahe dem Bundesschulzentrum und unweit des ersten Kolpinghauses an der Adresse Pater Helde-Straße Nr. 17 begonnen. Die Weihe im Rahmen der Eröffnung dieser zweiten Kolpingeinrichtung in Mistelbach nahm Erzbischof Koadjutor Dr. Franz Jachym am 9. Juni 1978 im Beisein zahlreicher Vertreter aus Politik sowie aus dem Bildungsministerium vor. Altbürgermeister Franz Bayer, der Initiator des ersten Kolpinghauses in Mistelbach, erhielt im Rahmen der Eröffnungsfeier das goldene Ehrenzeichen des Kolpingwerks Niederösterreich. Das Mädchen-Familienwohnheim bot Platz für 80 Mädchen, die in Gruppen zu je 20 mit einer Heimleiterin gemeinsam lebten. Ziel dieser Aufteilung in kleine Gruppen und der zahlreich vorhandenen Gemeinschaftseinrichtungen war es nicht nur ein Wohnheim, sondern ein „Familienheim“ zu bieten.10 Das Gebäude wurde nach den Plänen von Prof. Kajaba durch die Baufirma Menzel ausgeführt.11 Nachdem diese Einrichtung anfänglich ausschließlich Mädchen aufnahm, steht das nunmehrige „Kolpinghaus für SchülerInnen Mistelbach“ bereits seit eigenen Jahren beiden Geschlechtern offen.

Nachdem die Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen ab 1976 im neuen Bundesschulzentrum untergebracht war und das neue Mädchen-Familienwohnheim bereits seit Ostern 1978 bezugsfertig war, zog mit Beginn des Schuljahres 1978/79 die neun Jahre zuvor als selbstständige Schule gegründete und aufgrund der herrschenden Raumnot bisher auf mehrere Standorte verteilte Allgemeine Sonderschule Mistelbach mit sieben Klassen in das zweckmäßig umgebaute Kolpinghaus in der Pater Helde-Straße Nr. 10 ein.12 Nach Fertigstellung der umfassenden Umbauten an den Schulgebäuden in der Thomas Freund-Gasse im Jahre 1990 übersiedelte die Sonderschule in das neue Pflichtschulzentrum. Die Räumlichkeiten im ersten Kolpinghaus übernahm mit dem „VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche“, ein privater, gemeinnütziger Verein, der dort ein Ambulatorium für Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen einrichtete und betrieb. 25 Jahre war das VKKJ-Ambulatorium hier ansässig ehe diese Einrichtung 2017 in ein neu erbautes Gebäude in der Andreas Schreiber-Straße übersiedelte. Seither werden die Räumlichkeiten wieder von Kolping genutzt und zwar im Rahmen des „fit4job“-Projekts, dass jungen Menschen mit sonderpädagogischen Förderbedarf beim Berufseinstieg helfen soll.

Die Westseite des Kolpinghauses im Jahre 1979 als darin die Allgemeine Sonderschule Mistelbach untergebracht war

Nach zweijähriger Bauzeit konnte am 14. April 2000 schließlich die dritte Kolpingeinrichtung – ein Wohnhaus samt Werkstätte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen – im Beisein der Landeshauptmannstellvertreterin Liese Prokop feierlich eröffnet werden. Auch diese dritte Einrichtung befindet sich in der Pater Helde-Straße und zwar unter Hausnummer 21. Als Patin dieser Einrichtung fungierte Frau Hannelore Freibauer, die Gattin des vormaligen Mistelbacher Bürgermeisters und damaligen Präsidenten des niederösterreichischen Landtags Mag. Edmund Freibauer. Die Einrichtung bot ab ihrer Eröffnung 50 Personen einen geschützten Arbeitsplatz und drei Wohngemeinschaften für je 10 Personen sowie zwei Schwerstbehindertengruppen für je 6 Personen.13 Darüber hinaus bietet Kolping Österreich von Gewalt bedrohten Frauen seit 1991 auch in Mistelbach in Form eines Frauenhauses einen Ort der Zuflucht an.

Die im Jahr 2000 eröffnete, jüngste Kolpingeinrichtung in Mistelbach: Wohnhaus und Werkstätte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Darüber hinaus bietet Kolping von häuslicher Gewalt bedrohten Frauen und Kindern seit 1991 auch in Mistelbach in Form eines Frauenhauses einen Ort der Zuflucht. 2015 wurde ein neues Siedlungsgebiet beim Elisabethweg aufgeschlossen, das unmittelbar an die jüngste der drei Kolpingeinrichtungen angrenzte. Daher beschloss der Mistelbacher Gemeinderat in der Sitzung vom 1. Juli 2015 eine dort neu geschaffene Straße zum Gedenken an den Begründer dieser Sozialorganisation Kolpingstraße zu benennen.

Wo befindet sich die Kolpingstraße?

 

Bildnachweis:
-) P. Volkmar Kraus auf der Baustelle des Kolpinghauses: Stadt-Museumsarchiv
-) Bilder Grundsteinlegung, Rohbau und Kolpinghaus im Jahre 1957: Österreichisches Kolpingsblatt, Nr. 5/6 (Mai/Juni) 1957, S. 4-5
-) Foto Kolpinghaus 1979: Göstl-Archiv
-) Bild Mädchen-Familienwohnheim: Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 206 – Juli 1978, Bildbogen
-) Kolping Wohnheim und Werkstätte: Thomas Kruspel, 2023

Quellen:

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Raue Sitten am Lanzendorfer Kirtag

Schon seit einigen Jahren gibt es in Mistelbach keinen Kirtag mehr und an dessen Stelle ist nunmehr das Stadtfest getreten in das die Tradition des „Ladumtragens“, das alle zwei Jahre im Zuge des Hauerkirtags stattfand, integriert wurde. Schon viele Jahrzehnte zuvor endete die Kirtagstradition in Lanzendorf und in der Großgemeinde Mistelbach wird einzig in Hörersdorf die Tradition des Kirtags und zwar in der überlieferten Form des Burschenkirtags noch hochgehalten. Das Wort „Kirtag“ ist eine mundartliche Verkürzung des Wortes „Kirchtag“, also des Kirchweihfests, dass jährlich rund um den Tag der Weihe der Ortskirche abehalten wurde. Der Kirtag war das größte Fest im Jahresverlauf und es wurde Sonntag und Montag ausgelassen gefeiert, wobei die Feierlichkeiten zumeist am darauffolgenden Sonntag mit einem „Nachkirtag“ ausklangen. Weniger vom religiösen Hintergrund des Fests bzw. vom Geist der christlichen Nächstenliebe geprägt war hingegen die früher weit verbreitete „Tradition“ exzessiver Raufereien bei Kirtagen. Der Ausspruch „Ausghalt’n die Paasdorfer tanzen“ ist jedenfalls schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt und verweist darauf, dass die Paasdorfer auch beim Besuch auswärtiger Kirtage auf eigens nur für sie gespielte Tänze bestanden und diesen Anspruch gegebenenfalls auch handfest durchzusetzen wussten. Schon in einem Bericht im „Bote aus Mistelbach“ über eine Schlägerei im Rahmen einer Tanzveranstaltung im Jahre 1898 meinte der Berichterstatter unter Bezug auf das obenstehende geflügelte Wort, dass es wohl besser „Ausghalt’n die Paasdorfer raufen“ heißen sollte, da die Paasdorfer passionierte Raufbolde seien, bei denen solche Auseinandersetzung selten ohne schwere Verletzungen bzw. eine Messerstecherei ausgehen würde.1 Das Tanzen war bei den spärlichen Festtagen im Jahr, die Anlass dazu boten, eine der wenigen gesellschaftlich institutionalisierten und akzeptierten Annäherungsmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern und dies erklärt auch, weshalb den Burschen das Vorrecht auf bestimmte Tänze derart wichtig war. Der Besuch der Kirtage der umliegenden Orte war damals üblich und zwischen der männlichen Jugend aus der Umgebung und den ortsansässigen Burschen kam es häufig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Doch auch innerhalb größerer Orte kam es zu handfesten Konflikten zwischen der männlichen Jugend verschiedener Ortsteile, schließlich gab es früher auch in manchen der heutigen Katastralgemeinden zwei Gasthäuser, die eigene Kirtagsveranstaltungen feierten und bei denen die Jugend dieses Ortsteils natürlich das Heimrecht für sich beanspruchte. Diese „Kirtagstradition“ sollte nicht bloß als harmlose Rauferei unter erheblichem Alkoholeinfluss abgetan werden, dazu arteten diese Konflikt allzu oft zu Massenschlägereien mit schweren Verletzungen und bedeutendem Sachschaden aus. Von den Behörden und der Gendarmerie wurden die „Raufereien“ in der Regel jedoch geduldet. Dies änderte sich erst 1938 mit dem „Anschluss“ als deutsche Zucht und Ordnung auch in der nunmehrigen Ostmark Einzug hielten. Wenig später wurden die jungen Männer reihenweise an die Front geschickt, und damit hatten sich die Kirtagsraufereien ohnedies erübrigt. Natürlich gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Raufereien bei Kirtagsfesten, aber die „Tradition“ der Kirtagsrauferei wie sie vor dem Krieg gepflogen wurde und die daraus entstandenen Gewaltexzesse gab es in der Form glücklicherweise nicht mehr.

Im Jahre 1958 findet sich ein Artikel in der Mistelbacher-Laaer Zeitung, der über den schwachen Besuch des Lanzendorfer Kirtags und den im Vergleich zu früherer Zeit verhaltenen Bierkonsum in diesem Jahr klagte. 1958 wurde der Kirtag, der natürlich im Gemeindewirtshaus (1969 von der Fam. Schuster gekauft) stattfand, offenbar erstmalig von der Lanzendorfer Feuerwehr organisiert. Damit endete die Tradition des Burschenkirtags, bei der die Burschen eines Jahrgangs sich gemeinsam um die Organisation des Kirtags kümmerten, was durchaus mit einer finanziellen Vorschussleistung bzw. einem gewissen Risiko verbunden war. Dazu waren die Lanzendorfer Burschen 1958 augenscheinlich nicht mehr bereit bzw. dazu nicht in der Lage, weshalb die Feuerwehr diese Aufgabe übernahm. Der ungenannte Autor des Artikels in der Mistelbacher-Laaer Zeitung blickt nach diesem mäßig verlaufenen Kirtag, wehmütig zurück und berichtet über ein zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 80 Jahre zurückliegendes Ereignis2:

„Kommen die Kirtage mit der Zeit ab? Manche glauben es. Das, was es einmal war, wird es sicher nicht mehr. Auch Lanzendorf blickt auf eine große Vergangenheit zurück, wenn auch nicht immer alles in Ordnung war. Gerauft wurde nämlich dort ziemlich häufig und nicht einmal wurde dem jeweiligen Wirt die Einrichtung demoliert. Ganz arg scheint es 1876 (oder 1879) gewesen zu sein. Nach der mündlichen Überlieferung brach nach dem “Dreintanzen” in einem Extratanz eine Keilerei los, die immer größeren Umfang annahm. Während sich ein Teil im “Stellungskrieg” mit Flaschen und Gläsern beschoß, bildete sich auf der Tanzbühne ein unentwirrbarer Klumpen von Gegnern. Die Exekutive foderte die Mistelbacher Feuerwehr an, deren Strahl wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirkte und die schließlich abziehen musste, um nicht ebenfalls “gedroschen” zu werden. (Die heutige Mistelbacher Feuerwehr, die zu den besten des Landes gehört, wurde auf eine solche Verwendung hin noch nicht beurteilt.) Hierauf wurde eine Kompagnie Infanterie eingesetzt, die von Manövern in der Nähe Mistelbachs abkommandiert, im Eilmarsch herankam. Auch die Soldaten waren erfolglos. Die Rauferei, die etliche Verletzte und einen Toten im Gefolge hatte, wurde schließlich doch beendet und zwar durch die “Weiber”. Dem Vernehmen nach sind die Lanzendorfer Frauen korporativ ausgerückt, haben ihre Männer einzeln herausgefischt und “hamblatt’”.“

Bei der inhaltlichen Bewertung von Geschichten, die mündlich über einen längeren Zeitraum überliefert wurden, ist grundsätzlich Vorsicht angebracht. In größeren, überregionalen Zeitungen fand die beschriebene Gegebenheit jedenfalls keinen Niederschlag und erst 1881 erschien das erste Lokalblatt für Mistelbach (siehe Historische Mistelbacher Lokalzeitungen). Die Prüfung der Authentizität kann sich daher nur auf bestimmte nachprüfbare Fakten beschränken. Traditionell dürfte der Lanzendorfer Kirtag etwa in der ersten Augusthälfte stattgefunden haben3, und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kirtag (oder zumindest der Nachkirtag) auch zur Zeit des geschilderten Ereignisses etwa Mitte August stattfand. Tatsächlich fanden Ende August bzw. Anfang September 1876 große Manöver im Raum Nikolsburg statt, deren Aufmarschgebiet sich bis in unsere Gegend bzw. bis ins Marchfeld zog. Rund 50.000 Soldaten verschiedenster Waffengattungen übten großräumige Gefechte zwischen zwei Armeekorps, und sogar der Kaiser inspizierte die Manöver in der Gegend zwischen Zistersdorf und Schrick. Zeitweilig war die Führung des südlichen Armeekorps in Wilfersdorf bzw. Poysdorf untergebracht und in Mistelbach befand sich das Hauptdepot für die Verpflegung dieses Korps. Darüber hinaus waren Versorgungseinheiten auch in Wilfersdorf, Poysdorf und Staatz stationiert.4 Da für dieses große Manöver zweifellos einige Vorbereitungsarbeiten zu leisten waren und auch die Anreise dieser großen Anzahl an Truppeneinheiten bestimmt einige Tage in Anspruch nahm, ist jedenfalls anzunehmen, dass bereits Mitte August – und damit zum Zeitpunkt an dem für gewöhnlich der Lanzendorfer Kirtag gefeiert wurde – Truppenteile in Mistelbach und Umgebung anwesend waren. In einem anderen Punkt gibt es allerdings eine Unstimmigkeit, denn die Freiwillige Feuerwehr Mistelbach wurde erst 1879 gegründet und in diesem Jahr fanden keine Manöver in der Umgebung statt. Natürlich gab es auch schon vor der Gründung der Feuerwehr Feuerlöschrequisisten, darunter auch eine Spritze, die von der Gemeinde in einem Zeughaus gelagert wurden und im Brandfall waren alle Einwohner verpflichtet bei der Brandbekämpfung mitzuhelfen. In Lanzendorf gründete sich übrigens erst 1925 eine eigene Freiwillige Feuerwehr. Eine Recherche im Sterbebuch der Pfarre Mistelbach (zu der auch Lanzendorf gehört) brachte für das Jahr 1876 (bzw. 1879) keinen Beleg für einen gewaltsamen Tod im fraglichen Zeitraum. Möglicherweise stammte das Opfer aus einem anderen Ort und/oder erlag erst später seinen Verletzungen.

Wie nicht anders zu erwarten, lässt sich knapp 150 Jahre später durch Prüfung einzelner Fakten heute nicht mehr feststellen, ob sich die Geschichte tatsächlich wie geschildert ereignet hat oder ob sie im Laufe der Jahre „ausgeschmückt“ wurde. Teils klingt die Geschichte, dass weder der Einsatz von Feuerwehr und Militär die Lanzendorfer zur Räson zu bringen vermag, sondern nur die Furcht vor ihren Frauen, doch sehr anekdotenhaft.

Abschließend ein paar Fotos etwa aus dem Jahr 1951 als es in Lanzendorf noch einen von den Burschen der Ortschaft organisierten Kirtag gab:

Die Kirtagsburschen ziehen mit Musikbegleitung durch den Ort (1. Kirtagsbursch v. r.: Walter Kruspel). Im Hintergrund die an der Lanzendorfer Hauptstraße gelegene alte Kapelle Mariahilf.

Mehrmals wurde beim Zug durch den Ort Halt gemacht um den Honoratioren des Ortes Reverenz zu erweisen und natürlich für Tanz …

… und zwecks Stärkung mit einem Glas Wein (der mittlere der drei Burschen Walter Kruspel)

Bildnachweis:
zVg von Marianne Kruspel

Quellen:

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Barnabitenstraße

Nach einem rund drei Jahrzehnte währenden Rechtsstreit konnte der Barnabitenorden, die ihm von Kaiser Ferdinand II. geschenkte, zuvor landesfürstliche, Pfarre Mistelbach schließlich 1661 in Besitz nehmen.1 Bis 1923 und damit mehr als 260 Jahre hindurch waren die Barnabiten Inhaber der Pfarre und bleibendes Zeugnis ihrer Präsenz in Mistelbach ist das Ende des 17. Jahrhunderts erbaute Kollegsgebäude („Kloster“) am Fuße des Kirchenbergs. Ein gesonderter Blogbeitrag wird sich näher mit dem Wirken des Barnabitenordens in Mistelbach befassen. Vor der Errichtung des repräsentativen Kollegs befand sich an dieser Stelle, belegtermaßen seit Ende des 15. Jahrhunderts, der Pfarrhof und vor diesem einst ein weitläufiger Platz, der sich weit über den heutigen Marienplatz hinaus auch auf das rechtsseitige Mistelufer erstreckte.2

Laut Prof. Spreitzer umfasste dieser rechteckige Platz den Bereich zwischen der linken Häuserzeile der Wiedenstraße und der rechten Häuserzeile der Barnabitenstraße, beziehungsweise zwischen (altem) Pfarrhof und Oserstraße, die die Grenze zum angrenzenden Spitalskomplex bildete. Dieser Platz war das Zentrum der Pfarrholdengemeinde – der zweiten Gemeinde, die damals neben dem liechtensteinischen Markt (=das Areal um den Hauptplatz) existierte – und selbiger dürfte im Zuge einer umfassenden Neuordnung des Ortsgebiets Anfang des 14. Jahrhunderts, also gemeinsam mit der Anlage des Spitalsviertels und des neuen Marktplatzes (=Hauptplatz) geschaffen worden sein. Für das 16. Jahrhundert ist jedenfalls die Bebauung des Areals zwischen Barnabitenstraße und Wiedenstraße mit einigen Häusern (Wiedenstraße Nr. 4, 6, 8, 10, 12, 14) bereits belegt, und diese Häuser wiesen aufgrund ihrer Lage zwei Hausnummern auf: an der Vorderseite eine gerade Nummer in der Wiedenstraße und „hintaus“ ungerade Nummern in der Barnabitenstraße.3

Die also im 16. Jahrhundert in ihrer heutigem Verlauf entstandene Barnabitenstraße führte vom Spitalsviertel (rund um den Kreuzungsbereich Mitschastraße/Oserstraße) zum 1700 fertiggestellten Barnabitenkolleg und stellte (unter Einbeziehung der Oserstraße) eine Verbindung zwischen den als „langer Zagel“ (Mitschastraße) und „kurzer Zagel“ (Liechtensteinstraße) bezeichneten Straßen her. Doch endet diese Straße nicht an der Kreuzung mit der Liechtensteinstraße, sondern sie führt rechts am Kloster vorbei bis an den Fuß des Kirchenbergs, wo sie vor einem alten, zur Kirche führenden, Fußsteig endet.

Die obere Barnabitenstraße etwa zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Fuße des Kirchenbergs aus aufgenommen. In der Bildmitte ist im Hintergrund das Johannes-Benefizium erkennbar.

Wie aus alten Plänen und Skizzen im Archiv des Barnabitenordens hervorgeht bestand an jener Stelle an der die Barnabitenstraße die Mistel kreuzt jedenfalls bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine fahrbare Brücke, während die Wiedenstraße lediglich einen Steg bzw. eine Furt aufwies. Die Barnabitenstraße war und ist bis heute Teil der Ost-West-Verkehrsachse durch die Stadt und damit eine wichtige Durchzugsstraße. Die Tatsache, dass der Verkehr (inkl. der Post) Richtung Wien bis ins 19. Jahrhundert über Wilfersdorf und weiter via der „Kaiserstraße“ genannten Brünnerstraße verlief, unterstreicht die große Bedeutung der Barnabitenstraße bzw. der Liechtensteinstraße. Schon seit vielen Jahren wird die Barnabitenstraße als Einbahn Richtung stadtauswärts geführt und sie teilt sich somit die Last des Durchzugsverkehrs mit der teils als Einbahn in die andere Richtung geführten Wiedenstraße.

Die Brücke der Barnabitenstraße während der Arbeiten zur Mistel-Regulierung im Jahre 1912 – im Hintergrund Wohnhaus und Lederfabrik der Familie Strasser in der Liechtensteinstraße

Die untere Barnabitenstraße samt Brücke über die Mistel im Bereich des heutigen Marienplatzes im Jahre 1948. Aufgenommen aus der Perspektive eines der höheren Stockwerke des Klosters.

Wahrscheinlich schon seit langer Zeit, jedenfalls aber bereits im Jahre 1881 war der Name „Barnabitengasse“ für diese Straße gebräuchlich4, und somit wurde im Zuge der Einführung offizieller Straßennamen mit Beschluss des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) vom 13. April 1898 dieser Straße schließlich offiziell der Name Barnabitenstraße gegeben.5 Auch der heutige Marienplatz hieß übrigens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Barnabitenplatz, ehe er durch Gemeinderatsbeschluss vom 20. Dezember 1954 umbenannt wurde.

Wo befindet sich die Barnabitenstraße?

 

Bildnachweis:
-) sämtliche Fotos: Göstl-Archiv

Quellen:

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Bezirks-Katholikentage in Mistelbach

Mitte des 19. Jahrhunderts fand der erste Katholikentag als Protestkundgebung gegen die Unterdrückung der Katholiken in einigen proestantisch dominierten deutschen Staaten statt. Diese fortan turnusmäßig und stets an wechselnden Orten abgehaltene Zusammenkunft entwickelte sich zur öffentlichen Bekenntnisfeier, war Ausdruck von Volksfrömmigkeit und Festtag des katholischen Verbands- und Vereinswesens sowie eine Machtdemonstration der katholischen Kirche. Nach den anfangs gesamtdeutschen Katholikentagen fand, nach Verwirklichung des kleindeutschen Nationalstaats, ab dem Jahre 1877 nunmehr ein eigenständiger Österreichischer Katholikentag statt. Im kleineren Rahmen, also auf Bezirksebene, sind derartige Kundgebungen erstmalig Ende des 19. Jahrhunderts belegt und auch in der Erzdiözese Wien befasste man sich schon im Jahre 1913 mit der Idee der Abhaltung von Bezirks-Katholikentagen. Die große materielle Not in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verhinderte die Abhaltung eines regulären Katholikentags, wie er zuletzt 1913 stattgefunden hatte, und daher besann man sich in der Erzdiözese Wien (und natürlich auch in anderen Diözesen) wieder auf die Idee diese Feste im kleineren Rahmen, also auf Diözesan- bzw. Bezirksebene, abzuhalten. 1920 fand erstmalig ein Diözesan-Katholikentag in Wien statt und auch die ersten Bezirks-Katholikentage wurden in Teilen der Hauptstadt bzw. in der Provinz abgehalten. Im Mai 1920 fand in unserer Gegend der erste Bezirks-Katholikentag in Poysdorf statt, der eine Teilnehmerzahl von etwa 6.000 Personen aufwies.1 Für das Jahr 1922 wurde neuerlich ein Diözesan-Katholikentag in Wien und Bezirks-Katholikentage in allen Gebieten der Diözese geplant und erstmals war auch die Abhaltung eines Katholikentages in Mistelbach vorgesehen.2 Die Katholikentage hatten aber ob der in der ersten Republik engen Verbindung zwischen Kirche und den Vertretern der christlich-sozialen Partei stets auch politischen Charakter und sind daher zweifellos als politische Machtdemonstrationen anzusehen bzw. wurden als Plattform für (partei)politische Reden genutzt. Man wehrte sich zwar gegen den Vorwurf, die Katholikentage seien Wählerversammlungen (=Wahlkampfveranstaltungen im damaligen Sprachgebrauch), der politische Aspekt dieser Kundgebungen wurde jedoch von den damaligen Spitzenvertretern von Kirche und christlich-sozialer Partei, etwa dem damaligen Kanzler und Priester Dr. Ignaz Seipel, selbstbewusst gar nicht erst bestritten.3

Bezirks-Katholikentag 19224

Am 29. Juni 1922, zum Festtag Peter und Paul, fand der erste Katholikentag in Mistelbach statt zu deren Teilnahme die Gläubigen aus den Gerichtsbezirken Mistelbach, Laa a.d. Thaya, Poysdorf, Zistersdorf, Matzen, Wolkersdorf und Korneuburg aufgerufen waren. 30.000 Personen sollen bei der Festveranstaltung am Hauptplatz anwesend gewesen sein, eine Anzahl, die die Erwartungen der Organisatoren deutlich übertraf, und in der Berichterstattung des „Mistelbacher Bote“ wurde vermutet, dass wohl noch nie zuvor so viele Menschen in Mistelbach versammelt waren. Um den Transport der zahlreichen Teilnehmer zu bewerkstelligen wurden Sonderzüge auf den Lokalbahnstrecken eingerichtet bzw. verstärkte Züge auf der Staatsbahnstrecke geführt. Bereits am Vortag begannen die Festlichkeiten mit einem Begrüßungsabend der beim Katholikentag zahlreich vertretenen Mitglieder  der katholischen Studentenverbindungen des Cartellverbands (CV) unter Leitung des Hörersdorfer Pfarrers Viktor Klinger. Ursprünglich war als Zelebrant Kanzler Dr. Seipel vorgesehen, der jedoch verhindert war und deshalb wurde die Messe vom Mistelbacher Barnabiten-Propst und Stadtpfarrer Don Ludwig Schneck gehalten und der bereits erwähnte Pfarrer Klinger hielt die Festpredigt. Nach der Festmesse vor der Dreifaltigkeitssäule auf dem Hauptplatz folgten die Versammlungen der verschiedenen Teilnehmergruppen (Männer, Frauen, Burschen, Mädchen sowie christliche Arbeiterorganisation) in den großen Gasthöfen der Stadt, die meist von einem Geistlichen und einem christlich-sozialen Politiker geführt wurden. Die Versammlungen zielten auf eine Festigung und Ausbau der Standesorganisationen ab und unter anderem wurden Entschließungen zur Gründung weiterer katholischer Vereine und Organisationen (zB Volksbund, katholisch-deutsche Burschenvereine bzw. Gründung eines Gauverbands der Burschenvereine) gefasst. Am Nachmittag sammelten sich diese Gruppen dann an unterschiedlichen Plätzen der Stadt von wo sie zum Hauptplatz bewegten, um sich dort zu einem gemeinsamen Festzug zu vereinen.  Dieser imposante Festzug, der sich aus mehreren Musikkapellen, rund 30 Fahnen und 20.000 Personen zusammengesetzt haben soll, holte Kardinal Dr. Friedrich Gustav Piffl vom Bahnhof ab und geleitete ihn anschließend zum Hauptplatz wo die Festversammlung stattfand. Nach Begrüßungsworten von Loosdorfer Gutsherrn Piatti, dem Präsident des Katholikentages, folgten hauptsächlich politische Reden christlich-sozialer Politiker und Bundesminister Schmitz übermittelte die Grüße des leider verhinderten Kanzlers Seipel. Den Höhepunkte bildete selbstverständlich die Ansprache des Kardinals, die ebenfalls mehr politischen als religiösen Inhalt aufwies, und der von ihm zu Abschluss erteilte Segen. Nach dem Ende der Festveranstaltung auf dem Hauptplatz wurde der Oberhirte noch zum Kolleg begleitet, wo die zahlreichen Teilnehmer unter Ovationen an dem auf der Balustrade stehenden Kardinal vorüberzogen. Danach stattete Kardinal Piffl seinem „persönlichen Freund“ Bürgermeister Josef Dunkl einen Besuch ab, bei dem er mehrfach seine große Zufriedenheit über den gelungenen Verlauf dieser Festveranstaltung kundtat. Mit dem Abendzug kehrte Dr. Piffl schließlich wieder nach Wien zurück. Den offiziellen Abschluss des Festprogramms bildete ein von den katholischen Studentenverbindungen des CV im Saale des Gasthauses Putz (heute: Schillingwirt) veranstalteter Kommers, der aus allen Bevölkerungskreisen zahlreich besucht wurde.

Teilnehmerkarte für den Bezirks-Katholikentag in Mistelbach im Jahre 1922

Vom Bezirks-Katholikentag 1922 waren bisher keine fotografischen Aufnahmen bekannt. Im Nachlass des Heimatforscher Georg Göstl, dem sogenannten Göstl-Archiv, findet sich allerdings nachstehende Fotografie zu der es nur rudimentäre Angaben gibt (Zeitpunkt Anfang 1920er Jahre) und die frappant an die weiter unten folgenden Fotos vom Katholikentag 1929 erinnert. Ein Abgleich mit den Fotos aus dem Jahr 1929 brachte jedoch die Erkenntnis, dass es sich definitiv nicht um ein Foto aus diesem Jahr handelt. Tatsächlich ist dies gut an den Bäumen im Bildhintergrund zu erkennen, die auf den Fotos aus dem Jahre 1929 noch kahl sind (bei kühler Witterung Anfang Mai durchaus möglich) im Gegensatz zu den bereits in vollem Blätterkleid stehenden Bäume auf den Aufnahmen dieser Aufnahme und wie für Ende Juni auch nicht anders zu erwarten.

Eine Aufnahme des Mistelbacher Fotografen Josef Plaschil jun. vom Katholikentag 1922 und das einzige überlieferte Foto dieses Ereignisses

 

Bezirks-Katholikentag 19295

Der zweite Bezirks-Katholikentag in Mistelbach fand am 5. Mai 1929 statt und dieser war als besondere Huldigung für Papst Pius XI. gestaltet, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Priesterjubiläum feierte. Dieses Mal waren zur Teilnahme sämtliche Gemeinden des Verwaltungsbezirks Mistelbach, sowie die Pfarre der Dekanate Altlichtenwarth, Pyrawarth, Wilfersdorf und Zistersdorf eingeladen, da für diese Mistelbach teils leichter erreichbar war, als deren Bezirkshauptstadt Gänserndorf, wo vier Tage später ein Katholikentag stattfand.6 Erneut wurden Sonderzüge eingerichtet und auch das Programm entsprach exakt jenem des sieben Jahre zuvor abgehaltenen Katholikentags. Die Festmesse wurde diesmal von Prälat Dr. Franz Hlawati in Vertretung von Kardinal Piffl zelebriert und die Festpredigt hielt Stadtpfarrer P. Rhabanus Neumeier. Danach folgten die üblichen Versammlungen der Teilnehmergruppen („Standesversammlungen“ – Mädchen, Frauen, Burschen, Männer, Arbeiter) in den großen Gasthöfen der Stadt, bei denen Referenten über die Aufgaben und Pflichten der jeweiligen Stände sprachen. Bei der Versammlung der Burschen im Gasthof Filippinetti sollen 700 Teilnehmer vor Ort gewesen sein, bei jener der Männer über dreihundert. Nachmittags formierte sich der Festzug nach Ständen getrennt in den Straßen um die Elisabethkirche und zog in nachfolgender Marschordnung durch die Stadt und schließlich zum Hauptplatz: Musik, Feuerwehr, Veteranenvereine, Zunftfahnen, Burschenvereine, Mädchenvereine, Lehrervereine, Studentenschaft, Präsidium und Ehrengäste, Frauenvereine, Männervereine. Vereinsmäßig nicht organisierte Personen schlossen sich den jeweiligen Standeszügen an. Zur Festversammlung auf dem Hauptplatz, die wie der gesamte Katholikentag ein „Bekenntnis zur Treue und Anhänglichkeit zur Kirche“ sein sollte, versammelten sich laut Zeitungsberichten mehr als 10.000 Menschen. Nach den Begrüßungsworten lokaler Honoratioren folgten politische Ansprachen christlich-sozialer Politiker, Worte anlässlich des 50-jährigen Priesterjubiläums des Papstes und der Aufruf von Prälat Hlawati gemäß dem Wunsch des Heiligen Vaters in der Katholischen Aktion mitzuarbeiten. Am späten Nachmittag fand schließlich wieder ein Festkommers der katholisch-deutschen Studentenschaft des Cartellverbands im großen Saal des Gasthof „Zur goldenen Krone“ statt. Wie bereits 1922 hatten die Vertreter katholischer Studentenverbindungen in großer Anzahl an diesem Katholikentag teilgenommen haben und Unterrichtsminister Dr. Czermak und andere anwesende christlich-soziale Mandatare, von denen einige katholischen Studentenverbindungen angehörten, nahmen an dieser Abschlussveranstaltung teil.

Seitens des Präsidiums des Katholikentages, angeführt von dessen Präsidenten Bezirksschulinspektor Regierungsrat Schramm, wurde nach dem erfolgreichen Abschluss der Feierlichkeiten via der apostolischen Nuntiatur ein Glückwunsch-Telegramm an den Heiligen Vater gerichtet, auf das schließlich nachfolgende Antwort übermittelt wurde:
Seine Heiligkeit, erfreut über die ehrerbietigen Glückwünsche und die Huldigung der zum Katholikentag in Mistelbach versammelten Tausenden von Gläubigen, spendet denselben von Herzen seinen Apostolischen Segen zu ausdauernder Arbeite für die große katholische Sache.
Card. Gasparri“7

 

Einzug zur Festmesse: Dieses Foto zeigt vermutlich den Einzug der Vereine (hier Mädchenbund), die sich am Morgen vor dem Kolleg versammelt hatten und korporativ zur Festmesse am Hauptplatz einzogen

 

Einzug zur Festmesse: Geistliche Schwestern ziehen hier gerade von der Barnabitenstraße in die Oserstraße und dann weiter Richtung Hauptplatz zur Festmesse. Das Foto wurde aus einem Fenster des Gasthauses Filippinetti (heute: Schillingwirt) aufgenommen.

 

Festmesse: Dieses Bild zeigt den damaligen Stadtpfarrer P. Rhabanus Neumeier, der die Festpredigt hielt

 

Festmesse: Wie auf diesem Bild ersichtlich ist, nahmen zahlreiche Vertreter von Studentenverbindungen des Cartellverbands (CV) in Form von Chargierten in der studentischen Festtracht am Katholikentag teil. In der Bildmitte ist Prälat Dr. Franz Hlawati zu sehen, der die Messe zelebrierte. Als Superior des Ordens der Barmherzigen Schwestern, dürfte er ein sogenannter infulierter Prälat gewesen sein, also ein Prälat dem durch päpstliche Erlaubnis das Tragen der bischöflicher Insignien – hier die Mitra – erlaubt war.

 

Auch die Feuerwehr nahm mit ihrer erst zwei Jahre zuvor angeschafften Motor-Spritze, einem Austro-Fiat, (siehe Bildmitte) am Katholikentag teil. Die Feuerwehrmänner übernahmen gemeinsam mit den Mitgliedern des Veteranenvereins auch den Ordnerdienst bei diesem Fest (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Einzug zur Festmesse oder Festzug: Unter den vielen Vereinen und Organisationen die am Fest teilnahmen waren auch die Pfadfinder vertreten, die hier in der Hafnerstraße Richtung Hauptplatz marschieren. Woher diese Pfadfindergruppe stammte ist jedoch unklar, denn in Mistelbach wurden die Pfadfinder erst 1930 gegründet und auch in Laa a.d. Thaya traten die Pfadfinder erst im Herbst des Jahres 1929 erstmals öffentlich auf. (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Festmesse?: Auf dieser Amateuraufnahme ist erkennbar, dass die Menschenmenge auf dem Hauptplatz nicht so dicht war, wie sie teilweise auf den professionellen Aufnahmen (bewusst?) dargestellt wird (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Auszug nach der Messe?: Den Festzug begleiteten auch mehrere Musikkapellen, unter anderem die Stadtkapelle Mistelbach, die zuvor auch die Festmesse musikalisch umrahmte.

 

Vermutlich eine Aufnahme von der nachmittäglichen Festversammlung auf dem Hauptplatz

Bezirks-Katholikentag 19518

Der dritte und bislang letzte Bezirks-Katholikentag in Mistelbach fand am Sonntag, 10. Juni 1951 unter dem Motto: “Christus gestern, Christus heute, Christus morgen, Christus in Ewigkeit” statt. Zur Teilnahme waren die Gläubigen der Dekanate Ernstbrunn, Gaubtisch, Laa a.d. Thaya, Pirawarth, Pillichsdorf, Staatz und Wilfersdorf aufgerufen.  Ein Teil des Verwaltungsbezirks fehlte diesmal und zwar hielten die Dekanate Poysdorf und Altlichtenwarth ihren Katholikentag drei Wochen später in Poysdorf ab.9 Seitens der sowjetischen Besatzungsmacht wurde diese Veranstaltung mit Argusaugen beobachtet, da man kirchlichen Großveranstaltungen grundsätzlich kritisch gegenüberstand und hinter diesen gegen die Besatzer gerichtete Demonstrationen vermutete.10 Am Morgen des Festtages standen dichte Wolken über Mistelbach und ob die Veranstaltung wie geplant auf dem Hauptplatz abgehalten werden könnte war mehr als ungewiss. Doch die Massen strömten dennoch herbei und wurden belohnt – die Sonne vertrieb die Regenwolken. Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym war von Landwirtschaftsminister Josef Kraus, Bezirkshauptmann Dr. Karl Mattes und dem Präsidenten des Katholikentages, Bürgermeister Franz Bayer empfangen und zum abermals vor der Dreifaltigkeitssäule aufgebauten Altar geleitet worden. Dr. Jachym zelebrierte die Messe und Pater Volkmar übernahm die Funktion des Vorbeters und -sängers am Mikrofon, während die musikalische Begleitung durch die Stadtkapelle besorgt wurde. Im Zuge der Messe erfolgte auch die vom Mistelbacher Zweigverein des ÖAMTC organisierte St. Christophorus Fahrzeugweihe, bei der mehr als 300 Fahrzeuge vom Roller über Motorräder und PKW, bis LKW, schwere Traktoren und Sonderfahrzeuge von Dr. Jachym gesegnet wurden.11 Danach fanden wieder die üblichen Standesversammlungen in den Gasthöfen bzw. im Saal des Internats der landwirtschaftlichen Fachschule statt, und diese waren derart gut besucht, dass die vorgesehenen Säle zu klein waren und die Versammlungen kurzerhand ins Freie verlegt werden mussten. Nachmittags um 14 Uhr erfolgte die Aufstellung zum Festzug in der „Straße des 12. Februar 1934“ (damaliger Name der Franz Josef-Straße) vor der Gewerbeschule. Nach dem kurzen Festzug der via Bahnstraße und Hafnerstraße direkt zum Hauptplatz führte, folgte dort der als „Bekenntnisfeier“ bezeichnete Festakt. Im Gegensatz zu den Katholikentagen der Zwischenkriegszeit folgten keine Ansprachen von Politikern, sondern lediglich von Geistlichen und Funktionären katholischer Verbände und mit den Schlussworten und dem sakramentalen Segen von Erzbischof-Koadjutor Jachym fand der Festakt seinen Abschluss. Das gute Wetter hielt genau für die Dauer der Veranstaltung an, denn knapp eine Viertelstunde nach Schluss der Feier ging ein Regenguss nieder. Die mit deutlich über 10.000 Personen angegebene Anzahl von Teilnehmern bei der Festkundgebung am Nachmittag scheint in Anbetracht der Tatsache, dass die vom Roten Kreuz für die Veranstaltung eingerichtete Rettungsstelle den ganzen Tag über 250 Mal Hilfe leisten musste – von leichteren bis zu schwereren Fällen (Überhitzungen und Herzanfälle) – durchaus plausibel.12

 

Dr. Jachym vor dem Kolleg mit der zum Katholikentag versammelten Geistlichkeit

 

Der festlich geschmückte Hauptplatz mit den zur Weihe bereits bereitstehenden Kraftfahrzeugen

Eine Aufnahme vom Rathausturm zeigt die zur Festmesse versammelten Menschenmassen und die am Südende des Hauptplatzes für die St. Christophorus-Weihe bereitgestellten Kraftfahrzeugen

 

Erzbischof-Koadjutor Jachym bei der Fahrzeugweihe

 

Vereinzelt existieren auch Farbfotos von diesem Festtag, wie dieses dass den Altar vor der Dreifaltigkeitssäule zeigt

 

Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym segnet die Teilnehmer des Katholikentags bei seinem Auszug, möglicherweise nach Ende der Bekenntnisfeier

 

Sammlung zum Festzug in der „Straße des 12. Februar 1934“ (Franz Josef-Straße) im Bereich vor der Gewerbeschule (heute Polytechnische Schule)

Das letzte Foto stammt ebenfalls aus dem Göstl-Archiv und ist lediglich mit „1948 unklar“ beschriftet. Göstl dürfte einen Zusammenhang mit der 1948 abgehaltenen Gewerbeausstellung vermutet haben. Tatsächlich lassen sich aber im Vergleich zu den anderen Fotos vom Katholikentag 1951 viele der Fahnen wiedererkennen und bei genauerer Betrachtung sind auch die weißen Festabzeichen erkennbar. Nachdem auch der abgebildete Ort auch mit dem Treffpunkt für die Sammlung zum Festzug übereinstimmt, dürfte es sich wohl um ein Foto des Katholikentages 1951 handeln.

Bildnachweise:
Fotos: Göstl-Archiv (Katholikentag 1922, Katholikentag 1951), zVg von Frau Kalser (Amateuraufnahmen der Familie Schödl vom Katholikentag 1929), zVg von Herrn Dr. Stoiber (Profiaufnahmen vom Katholikentag 1929),  zVg von Herrn RegRat Englisch (Festzug zum Hauptplatz Katholikentag 1929 – Barnabitenstraße, „Frohnerkreuzung“ und Festversammlung 1929), Stadt-Museumsarchiv (Teilnehmerkarte Katholikentag 1922)

Quellen:

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Meeß-Häuser – Liechtensteinstraße 8 und 10 & Oserstraße 15, 17, 19, 21 und 23

Als Meeß-Häuser (umgangssprachlich zumeist fälschlicherweise „Mess-Häuser“ genannt) sind älteren Mistelbachern die Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10 bekannt. Diese Häuser wurden 1908 (Nr. 10)1 bzw. 1909 (Nr. 8)2 vom Bautechniker Otto Meeß (*1861, †?) errichtet. Meeß, dessen Beruf gelegentlich auch als Architekt angegeben wurde, stammte ursprünglich aus Karlsruhe, war jedoch jedenfalls seit dem Jahr 1890 in Wien ansässig.3 Er wohnte in Hernals4 und heiratete dort 1892 Henriette Saulik (*1866, †1956), die Tochter eines Bürstenmachers.5 In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts scheint Meeß als Bauherr einiger Bauprojekte in Wien-Ottakring auf6, und 1905 war er bereits im Besitz von drei Häusern in Ottakring bzw. eines Hauses in Währing.7 Doch dürfte er sich bei diesen Projekten finanziell übernommen haben, denn im Mai 1905 wurde ein langwieriges Konkursverfahren über sein Vermögen vor dem Wiener Landesgericht eröffnet, dass schließlich zwei Jahre später mangels Vermögens eingestellt werden musste.8

Dieser wirtschaftliche Rückschlag, der natürlich auch den Verlust seiner Immobilien bedeutete, zwang ihn offenbar seine selbständige bzw. freiberufliche Tätigkeit gegen ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis zu tauschen und ab März 1908 tritt er als Geschäftsführer der neueröffneten Mistelbacher Filiale des Hernalser Zimmereibetriebs Johann Horak hierorts erstmalig in Erscheinung.9 Gemeinsam mit seiner Gattin war er nach Mistelbach übersiedelt und hier wohnhaft, obwohl sie bis etwa 1913 weiterhin auch einen Wohnsitz in Wien unterhielten.10 Doch offenbar konnte und wollte er sich, trotz des erlittenen Rückschlags, nicht ganz aus dem Immobiliengeschäfts zurückziehen, denn bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Mistelbach taucht der Name Meeß bereits in Zusammenhang mit dem Bau der eingangs erwähnten Wohnhäuser in der Liechtensteinstraße auf. Allerdings scheint nicht Otto Meeß, sondern stets dessen Gattin Henriette als Grund- bzw. Hausbesitzerin bei diversen Eingaben an die Gemeinde auf.11 Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass die rechtliche Konstruktion das Eigentum seiner Gattin zu überlassen, durch seinen vorherigen Konkurs bedingt ist. Nachem das Konkursverfahren mangels Vermögens eingestellt wurde, wäre es im Falle, dass Meeß wieder zu Vermögen gekommen wäre, zu einem Wiederaufleben der (Rest)Forderungen seiner Gläubiger gekommen. Die Nennung von Frau Meeß in Zusammenhang mit den Mistelbacher Immobilienprojekten dürfte schließlich zur vereinzelt geäußerten Annahme geführt haben, Frau Meeß sei Architektin bzw. Planerin dieser Bauten gewesen.12 Dem war jedoch nicht so, sie dürfte aus oben genannten Gründen vielmehr als „Strohfrau“ für die Bauprojekte ihres Gatten agiert haben. Dafür spricht schließlich auch die Tatsache, dass trotzdem die Häuser formell im Eigentum von Henriette Meeß standen, bei späteren Verkaufsanzeigen stets Otto Meeß als Kontaktperson angeführt wurde.13

Rechts im Bild die beiden zweistöckigen Meeß-Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10. Nachdem die neben Nr. 8 in die Liechtensteinstraße einmündende Karl Fitzka-Gasse auf dem Foto noch in keinster Weise zu erkennen ist, dürfte die Aufnahme aus der Zeit zwischen 1909-1912 stammen.

Das Haus Liechtensteinstraße Nr. 8 umfasste 15 Wohnungen mit Gas- und Wasseranschlüssen am Gang14 und das unmittelbar zuvor errichtete Haus Nr. 10 dürfte wohl ähnlich ausgestattet gewesen sein. Noch vor Fertigstellung seiner beiden Wohnbauten in der Liechtensteinstraße, wagte sich Meeß bereits an das nächste Bauprojekt und zwar die Errichtung von Wohnhäusern in der Oserstraße. Auch diese Häuser sollten später als „Meeß-Häuser“ bezeichnet werden, allerdings hielt sich diese Bezeichnung nicht so lange im kollektiven Gedächtnis, wie etwa bei jenen in der Liechtensteinstraße. Die Gründe an der linken Seite der Oserstraße zwischen Schulgasse (heute: Thomas Freund-Gasse) und Gartengasse gehörten damals Bürgermeister Thomas Freund, der sie 1909 als Baugründe aufschließen ließ und anschließend an Meeß verkauft haben dürfte.15 Die ersten beiden Häuser Oserstraße Nr. 15 und 17 waren jedenfalls bereits im Oktober 1910 fertiggestellt worden16 und diesen sollten in den Jahren 1911 und 1912 noch drei weitere Häuser (Nr. 19, 21, 23) folgen.17

Die in den Jahren 1910-1912 erbauten Meeß-Häuser in der Oserstraße, kurz nach ihrer Errichtung …

… und in ihrem heutigen Erscheinungsbild

Im Dachgesims des in der Mitte dieser Häuserreihe gelegenen Hauses Nr. 19 findet sich das Jahr der Erbauung (Anno 1911) sowie der Name der Besitzerin in Form eines Steinreliefs verewigt. Die Bezeichnung als „Henrietten-Heim“ ist allerdings nicht als Name einer (sozialen) Einrichtung oder ähnlichem zu missinterpretieren, sondern es war um die Jahrhundertwende durchaus üblich prachtvollen Bauten bzw. Villen Frauennamen (die Namen ihrer Besitzerin oder Bewohnerin) in Verbindung mit den Begriffen Heim, Haus oder Villa zu geben. Ein anderes Mistelbacher Beispiel dafür ist das wenige Jahre zuvor erbaute Haus an der Adresse in der Hugo Riedl-Straße Nr. 11 auf dem einst „Villa Therese“ zu lesen war (siehe Abbildung im Beitrag zur Hugo Riedl-Straße).

Das Dachgesims des Hauses Oserstraße Nr. 19 nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Hauses und sein Name leitete sich von jenem der einstigen Besitzerin Henriette Meeß ab

Ein 1911 von Otto Meeß gestelltes Ersuchen um Konzessionersteilung betreffend das Gewerbe der Realitätenvermittlung im politischen Bezirk Mistelbach wurde seitens des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) in Ermangelung eines Bedarfs für die Stadt Mistelbach negativ beurteilt.18 Im selben Jahr versuchte Meeß „ein stockhohes Eck- und Mittelhaus in der Oserstraße“ (vermutlich Nr. 15 und 17) zu verkaufen und hatte über einen längeren Zeitraum im Mistelbacher Bote bzw. zeitweilig auch in überregionalen Zeitungen Verkaufsanzeigen inseriert.19 Im Häuserverzeichnis in Fitzkas Ergänzungsband, dass den Hausbestand aus dem Jahr 1912 wiedergibt, scheint als Besitzerin der Häuser Oserstraße Nr. 15 und Liechtensteinstraße Nr. 8 bereits eine Frau Louise Markl auf, weshalb der Verkauf der Häuser im Jahre 1911 erfolgt sein dürfte.20 1912 scheint Henriette Meeß noch als Besitzerin der Häuser Liechtensteintraße 10 und Oserstraße 17, 19, 21 und 23 auf.21 Doch schon im Oktober 1912 kam es auf Betreiben der Mistelbacher Sparkasse zur gerichtlichen Versteigerung der Häuser Oserstraße 15, 19, 21 und 2322 und im Jahre 1915 schließlich auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 1723. Interessant, dass es auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 15 (korrekte heutige Hausnummer), dass sich ja wie bereits geschildert nicht mehr im Besitz der Familie Meeß befand. Augenscheinlich hatte sich Otto Meeß erneut verkalkuliert und konnte die bei der städtischen Sparkasse aufgenommenen Schulden zur Realisierung dieses Immobilienprojekts nicht mehr bedienen. Somit scheint der Familie Meeß lediglich ihr erstes Wohnhaus Liechtensteinstraße Nr. 10 verblieben zu sein – zumindest finden sich keine gegenteiligen Hinweise.

Nachdem die Immobilienprojekte offenbar nicht wie geplant verlaufen waren und ihm kein Leben als Privatier, der von den Verkaufserlösen bzw. Mieteinnahmen seiner Häuser lebt, ermöglichten, musste Otto Meeß seinen Unterhalt wieder mit Erwerbsarbeit bestreiten und daher scheint er ab Anfang der 1920er Jahre als Ziegeleiverwalter (offenbar bei der Mistelbacher Ziegelwerksgesellschaft) auf.24 Ein Bericht über das Jubiläum der goldenen Hochzeit des Ehepaares Meeß im Jahre 1942 ist die letzte öffentliche Erwähnung der beiden.25 Nachdem Henriette Meeß 1956 in Mistelbach verstarb, ist davon auszugehen, dass auch ihr Gatte, dessen Todesjahr nicht bekannt ist, ebenfalls bis zu seinem Tode in Mistelbach lebte. Durch die Erbauung dieser prachtvollen Wohnhäuser prägt das Ehepaar Meeß bis heute das  Erscheinungsbild der Liechtensteinstraße sowie der Oserstraße und durch die umgangssprachliche Benennung nach deren Erbauer hat sich der Name Meeß mehr als hundert Jahre im Sprachgebrauch der Bevölkerung erhalten.

Bildnachweise:
-) alte Ansichtskarten (Oserstraße und Liechtensteinstraße): Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Foto Dachgesims „Henrietten-Heim“: Thomas Kruspel, 2015
-) Häuser Oserstraße: Thomas Kruspel, 2023

Quellen:

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Der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904

Wohl aufgrund der bevorstehenden Weihe der neuerbauten Eibesthaler Pfarrkirche erschien im Sommer 1951 im “Mistelbacher Bote” eine mehrteilige Artikelreihe unter dem Titel “Aus der Geschichte des Ortes Eibesthal”. Leider wird der Verfasser dieser gut aufbereiteten Beitragsreihe nicht angeführt. In der 3. Fortsetzung (Mistelbacher Bote, Nr. 28/1951 (14. Juli 1951), S. 2 (ONB: ANNO)) dieser Artikelserie wird der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904 ausführlich beschrieben und die anschauliche Darstellung der damaligen Geschehnisse soll an dieser Stelle wiedergegeben werden:

„Eine schwere Katastrophe brach am 29. März 1904 über den Ort Eibesthal herein. Noch heute berichten unsere Großeltern von dem Riesenbrand. Um ¼ 5 Uhr nachmittags brach in der Scheune des Hauses Nr. 155 ein Großfeuer aus, das durch spielende Kinder angefacht worden war. Vom Mittelorte aus gesehen meinte man, die kleine Zeile, eine östlich zum Straßenzuge sich parallel ziehende Häuserreihe, stehe in Flammen. Mehrere Männer der Freiwilligen Feuerwehr trafen bald nach Ausbruch des Feuers beim Zeughaus ein und versuchten, so gut es eben auf dem holprigen Wege ging, die Spritzen der kleinen Zeile zuzuschieben. Der tief durchfurchte Feldweg, der mit Zugtieren fast unpassierbar war, wurde von den wenigen Männern mit der Karrenspritze genommen; ein Bauer raste mit seinen Pferden aus der Straße daher, die zweite Spritze zu holen. Auf der Höhe der kleinen Zeile angelangt, musste man mit Schrecken erkennen, dass man den falschen Weg eingeschlagen hatte: Es brannte nicht auf der kleinen Zeile, sondern seitlich im Oberdorf. Dieses dreht sich derart gegen Osten, daß vom Mittelorte aus gesehen, die kleine Zeile und das Oberdorf in der Richtung sich decken. Dieser Umweg hatte eine schwer ins Gewicht fallende Zeitverzögerung gebracht. Der herrschende Südoststurm hatte, als die Feuerwehr endlich auf dem Brandplatz erschien, die Flammen über mindestens 20 Objekte gejagt. Alle Strohbedachung längs der östlichen Seite des Oberdorfes war entzündet, der Feldfahrweg zwischen den einzelnen Häusern absolut unpassierbar. Der heulende Sturm peitschte die Stichflammen am Erdboden dahin, Rauch, Qualm und Höllenglut erfüllte alle Hofteile, Gassen und Gässchen. Die Feuerwehr musste vor allem versuchen, den Riesenbrand einzudämmen, ansonsten eine ganze Flucht von Häusern der westlichen Straßenseite in Flammen ausgegangen wäre. Ein Augenzeuge aus dieser Zeit weiß zu berichten: „Weiber und Kinder standen jammernd, schreiend und betend auf der noch sicheren Straße: dort stürmte eine Kuh daher, ihrer Bande ledig, mitten hinein in den klagenden Haufen, dort eine zweite, dritte, ängstlich brüllend, in tollem Kreisen einen Ausweg aus dem Höllenpfuhle suchend. Nur mit großer Mühe gelang es einigen beherzten Männern, die scheuen Tiere einzufangen. “Weiber, Kinder, hinaus ins sichere Feld! Fort von hier, auf dass das Unglück nicht noch größer werde!” erschallte es von den zuckenden Lippen der Männer, denn wahrlich, die Gefahr war groß und vorderhand bei dem grässlichen Sturm an einen Stillstand der Flammen gar nicht zu denken.

In fast allen brennenden Stallungen waren noch die Haustiere, da ja beim Ausbruche des Feuers außer einigen kränklichen Frauen und kleineren Kindern niemand zu Hause war, Männer und Burschen befanden sich vielfach noch draußen im Felde bei den Arbeiten. Die verfügbaren männlichen Kräfte mussten auf die Rettung der bedrohten Haustiere bedacht sein. In einer Reihe von Häusern mussten die verschlossenen Haus- und Hoftüren eingerannt werden, um zu den Ställen zu kommen. Das war ein hartes Stück Arbeit. Die Höfe und Treppen mit stickendem Rauch erfüllt, neben den Ställen der brennende Düngerhaufen, zu Häupten das brennende Haus, der brennende Stallboden, nach vorne hin unsägliche Hitze und qualmender Rauch von Seite der mit Futtervorräten gefüllten und nun in Flammen stehenden Scheuer – dieser Feuerpfad musste Haus für Haus von mutigen Männern und Burschen genommen werden, ehe unter unsäglichen Anstrengungen man endlich in den mit Qualm erfüllten Stall kam. So mancher Beherzte musste aber, seines freien Atems beraubt, wieder unverrichteter Dinge zurück, stürzte auf der Treppe zusammen und wurde unter Mühe und Not von anderen Wackeren auf die Straße geschafft. In einer 1/4 Stunde war das Vieh mit den unbeschreiblichsten Anstrengungen geborgen worden. Aus einem brennenden Hause wurden Kinder, welche sich in ihrer Angst eingesperrt hatten, herausgeholt. Ein 17-jähriges Mädchen versuchte im eigenen Hause zu retten, was zu retten noch möglich war, fing aber mit seinen Kleidern Feuer. Die Flammen konnten von einem Feuerwehrmann noch rechtzeitig erstickt werden. Derselbe Wehrmann rettete auch einem armen Weibe das Leben. Diese Frau wollte ihre einzige Ziege aus dem brennenden Stalle retten. Die Flammen schlugen aber derart in den Stall hinein, dass sie nicht mehr zurück konnte und jämmerlich um Hilfe schrie. Der Wehrmann wagte sein Leben und brachte glücklich Weib und Ziege in Sicherheit. Leider war auch ein Menschenleben zu beklagen. Der Kleinhäusler Sebastian Schwenk, der beim Ausbruch des Brandes im Felde arbeitete, kam ins Dorf, als sein Häuschen, der Stall und die Scheuer in Flammen stand. Die einjährige Kalbin gelang es ihm, noch aus dem Stall zu schaffen. Als er in allzu großem Wagemut noch die Schweine bergen wollte, fingen seine Kleider Feuer und brennend stürzte er hinaus auf den Fahrweg, wo ihn die Flammen zu Boden schlugen. Sein Sohn, sowie noch andere Personen, versuchten dem Brennenden nahe zu kommen. Doch links und rechts zu beiden Seiten des nur 3 Meter breiten Fahrweges standen Strohobjekte in hellen Flammen, welche, vom Winde getrieben, den Weg in eine Feuerzeile verwandelten. Ein mehrmaliger Anlauf in diesen Feuerrachen wurde gewagt, doch alles vergebens. Der Rettungsversuch hätte vielleicht noch andere Opfer verschlungen. Ungefähr nach einer Stunde trafen Feuerwehren aus den umliegenden Ortschaften ein. Bei 70 Objekte standen bereits in Flammen, eine weitere Menge von Objekten war schon bedroht. Als der Abend hereinbrach, kamen aus den umliegenden Orten in großen Haufen Leute herbeigeströmt, zu Fuß, zu Rad, per Wagen oder Fiaker, um das grässliche Schauspiel in Augenschein zu nehmen. Die Plätze, Wege und Straßen füllten sich mit Leuten, von denen die wenigsten zu den Spritzen traten, sie waren ja gekommen um zu staunen, sich zu entsetzen, aber nicht um zu helfen. Abends traf der Herr Bezirkshauptmann Freiherr Alfons Klezl von Norberg auf der Brandstätte ein, besichtigte dieselbe eingehend, ließ sich über den entstandenen Schaden berichten und versprach den Abgebrannten seine Unterstützung. Der damalige Oberlehrer Rudolf Wedra veranstaltete Sammlungen in Wien und in vielen Gemeinden Niederösterreichs. Eibesthal war ja durch die Passionsspiele weit und breit bekannt. Die Sammlungen brachten einen so hohen Geldbetrag zustande, so dass sämtliche vom Brandunglück betroffene Eibesthaler ihre Häuser wieder aufbauen konnten, und zwar größer und schöner, als sie vorher waren.“

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„Der Mensch im Stein“ – kein (!) Rechtsdenkmal

Ein häufiges Problem der Lokalgeschichtsforschung ist es, dass Informationen oftmals ungeprüft und lediglich auf eine einzelne Quelle gestützt übernommen werden. Im Falle Mistelbachs kommt hinzu, dass immer wieder auf die vor mehr als hundert Jahren erschienenen Bände der „Geschichte der Stadt Mistelbach“ von Karl Fitzka, zurückgegriffen wird, obwohl seither viele Publikationen erschienen sind, die Fitzkas Darstellungen widersprechen bzw. richtigstellen oder neue Informationen aufgreifen. Zum Teil sind diese von fachkundiger Hand verfassten geschichtlichen Beiträge allerdings nicht in Buchform erschienen, sondern als Beiträge in heimatkundlichen Schriftenreihen (Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Heimat im Weinland) oder in Form vom Artikelserien in Lokalzeitungen erschienen und daher heute weniger bekannt bzw. etwas schwieriger zugänglich. Besonders hartnäckig hält sich eine falsche Information betreffend eine im Stadt-Museumsarchiv befindliche Steinskulptur, die auch in Publikationen der jüngsten Vergangenheit – einmal mehr unter Berufung auf die Angaben bei Fitzka – fälschlicherweise als Rechtsdenkmal („Schandbock“) bezeichnet wird.1 Nachfolgend soll das Publikationsgeschehen rund um diese Skulptur dargestellt und alle verfügbaren Informationen zusammengefasst werden. Dabei wird sich zeigen, dass bereits vor mehr als hundert Jahren die Fehleinschätzung zur Bedeutung dieser Skulptur seitens des Urhebers derselben revidiert und richtiggestellt wurde – eine Tatsache, die in Mistelbach allerdings leider nicht zur Kenntnis genommen wurde.

In den 1891 erschienenen „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ (Band XXVIII) veröffentlichte Dr. Karl Lind einen Beitrag zum Thema „Einige ältere Kirchen in Niederösterreich“ und in diesem wird unter anderem auch die 1904 abgebrochene alte Mistelbacher Spitalskirche beschrieben. Anlässlich eines Lokalaugenscheins im Zuge der Arbeit an diesem Beitrag dürfte der Autor auf eine in nächster Nähe zur Spitalskirche befindliche Steinskulptur aufmerksam gemacht worden sein, und auch diese wird in dem Beitrag mit einer Skizze abgebildet und wie folgt beschrieben:
„An der Ecke eines Privathauses befindet sich eine merkwürdige Sculptur, man könnte sie ein Wahrzeichen des Ortes nenne. Sie hat die Gestaltung einer zusammenkauernden Figur, der Kopf mit lockigem Haupthaar ist ganz deutlich zu erkennen. Füsse und Hände sind ausser allem Verhältnisse klein, der Leib nicht dargestellt, sondern ein fast viereckig behauener Steinklotz“2

Die älteste bildliche Darstellung der Steinskulptur an einer Hausecke aus „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ des Jahres 1891

In dem 1899 erschienenen Buch „Wahrzeichen Niederösterreichs“ von Dr. Anton Kerschbaumer wird die Beschreibung und Abbildung aus der Publikation des Alterthums-Vereins Wien exakt gleich wiedergegeben.3 Die obige Beschreibung bzw. bildliche Darstellung scheint insofern irreführend als sich die Figur tatsächlich nicht an der Außenseite einer Haus-/Mauerecke, sondern an deren Innenseite bzw. hofseitig befand und diese versteckte Lage dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass die Skulptur in Mistelbach tatsächlich kaum bekannt war. Deshalb erscheint die in Dr. Linds Beitrag getätigte Behauptung es handle sich um ein Wahrzeichen Mistelbachs keineswegs nachvollziehbar. Es ist unklar, ob die vorstehend genannten Veröffentlichungen in Mistelbach registriert wurden, schließlich kam es erst 1898 zur Gründung des städtischen Museums und in der Folge zu einem ersten Aufarbeiten der Geschichte der Stadt. Ein gesteigertes Interesse an der Skulptur dürften sie jedenfalls nicht verursacht haben, schließlich gab es außer der Beschreibung bislang auch keinerlei Einschätzung worum es sich bei diesem Steindenkmal überhaupt handelt.

Im Zeitraum 1903-1906 wurden im Rahmen einer Beitragsreihe teilweise unter dem Titel „Landeskundliche Mitteilungen“ bzw. „Landes- und ortskundliche Mitteilungen“ regelmäßig heimatkundliche Beiträge in der Zeitung „Der Bote aus dem Waldviertel“ veröffentlicht. Der Autor dieser Beiträge war Franz Xaver Kießling, der sich nach einer Erkrankung aus seiner beruflichen Tätigkeit als Ingenieur zurückziehen musste und sich seither intensiv als Heimatforscher betätigte. Kießling war glühender Deutsch-Nationaler, Schönerianer, fanatischer Antisemit, und geradezu besessen von allem was mit den Germanen zu tun hatte. Diese Obsession Kießlings, der im Wiener Turnverein früh einen beispielgebenden Arierparagrafen durchsetzte, führte auch zu seinen Bestrebungen germanische Bräuche bzw. pseudoreligiöse Riten innerhalb der deutsch-nationalen Bewegung zu etablieren. In einem Anfang Juni 1904 erschienenen Beitrag widmete sich Kießling unter Bezugnahme auf die Schilderungen in den Mitteilungen des Alterthums-Vereins Wien und Kerschbaumers „Wahrzeichen Niederösterreichs“ der gegenständlichen Steinskulptur. Laut eigenem Bekunden betrieb er zu jener Zeit eine Studie zu mittelalterlichen Rechtsdenkmälern und daher versuchte er nähere Informationen zu dieser Steinskulptur einzuholen. Er schrieb darin, dass er vor einigen Jahren Mistelbach besucht habe und ihm dieses Denkmal bei seinem Besuch nicht untergekommen sei.4 Er hatte auch versucht Erkundigungen zu dieser Figur in Mistelbach einzuholen, aber sein Mistelbacher Kontakt (ein nicht namentlich genanntes Mitglied des hiesigen Deutschen Turnvereins) vermeldete lediglich, dass eine solche Figur in Mistelbach nicht existiere bzw. nichts darüber bekannt sei. Daher äußerte Kießling Zweifel ob es sich nicht um eine Verwechslung der Örtlichkeit handelte oder alternativ vermutete er, dass das Denkmal mittlerweile abgekommen sei. Aufgrund der oben abgebildeten Zeichnung vermutete Kießling hinter der gestauchten quaderförmigen Figur, die Darstellung einer Person, die auf einem Straf- bzw. Schandbock gespannt war. Der Bock (auch Stock genannt) war eine Holzkonstruktion (Holzklotz oder -gestell) mit Ausnehmungen für Arme, Beine und den Kopf, die den Verurteilten in eine unangenehme gebückte bzw. hockende Körperhaltung zwang. Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert waren derartige „Ehrenstrafen“ durchaus üblich und der Bock/Stock soll eine Strafe für Männer gewesen sein, die sich Raufereien, üble Nachrede, Ehezänkereien, Ungehorsam gegenüber der Ortsobrigkeit, etc. zu Schulden kommen ließen. Ähnlich der Schandfiedel (Halsgeige), bei der Kopf und Hände in ein Brett eingezwängt wurden und die bei den oben genannten Delikten für die Bestrafung von Frauen vorgesehen war, handelte sich um eine Bestrafung, die an einem öffentlichen Ort abgebüßt werden musste. Gerade die Öffentlichkeit und die damit verbundene Schande und Demütigung war ein wesentlicher Teil dieser meist einige Stunden dauernden Tortur. Daher wurden derart bestrafte Personen an prominenten Plätzen, etwa dem Marktplatz bzw. an der Prangersäule oder an sonst stark frequentierten Plätzen und Straßen, zur Schau gestellt. Die obige Zeichnung der Skultpur, die die Anbringung an einer Hausecke nahelegt dürfte Kießling auf die Idee gebracht haben, dass es sich bei dem Steinbildnis um ein Rechtsdenkmal (ähnlich einem Pranger) handelte mit dem eine Häuserecke markiert worden sein könnte, an der die geschilderte Strafe verbüßt werden musste.5 Wie sich in einem Nachtrag in der folgenden Ausgabe herausstellte, waren die Informationen seines Mistelbacher Vertrauten nicht korrekt und Kießling hatte zwischenzeitlich einen Brief vom Leiter des Mistelbacher Museums Karl Fitzka erhalten in dem dieser erläuterte, dass sich das gegenständliche Steinbildnis nicht an einer Straßenecke befinde, sondern sich ursprünglich an der „inneren Garten- und Hof-Mauer des ebenerdigen Hauses in der Bahnstraße Nr. 1“ befunden habe. Aber schon vor Jahren sei die Skulptur vom Besitzer des Hauses dem städtischen Museum übergeben worden. Nachdem nun der Verbleib der Figur geklärt war, blieb Kießling bei seiner Rechtsdenkmal-These und vermutete den Ursprung des Steinbildnisses im 16. oder 17. Jahrhundert.6 Ein drittes und letztes Mal findet sich in der Beitragsreihe dann noch ein Verweis auf die Mistelbacher Skulptur und zwar in Zusammenhang mit einem kurzen Beitrag mit dem Titel „Über Schandsteine und Schand-Ecken“. Kießling vermutete in einer Fußnote zu diesem Beitrag, dass auch dieses Steinbildnis einst über einer solchen „Schandecke“ angebracht war. Er mutmaßt weiter, dass das Denkmal von einem späteren Hausbesitzer abmontiert worden sein dürfte, schließlich konnte ein solches Bildnis in späterer Zeit als ehrenrührig empfunden worden sein bzw. Anlass für Spott geboten haben. So sei es dann schließlich an seinen letzten Standort und zwar die Innenseite einer Garten- bzw. Hofmauer gekommen.7

Links neben dem 1873 errichteten Schulgebäude in der Bahnstraße (heute Teil des Gebäudekomplexes der Mittelschulen) das alte bis ca. 1904 bestehende Gebäude mit der für ein Eckhaus üblichen Doppeladresse Bahnstraße 1/Mitschastraße 2

Der Blick vom Schulgebäude in der Bahnstraße über die Dächer des Wiedenviertels hinweg auf die am Kirchenberg thronende Pfarrkirche. Auf dieser Aufnahme aus der Zeit zwischen 1898 und 1904 (möglicherweise 1903) ist am unteren Bildrand teilweise das Haus Bahnstraße Nr. 1 und ein Teil des Gartens, sowie die diesen umgebende Mauer abgebildet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Skulptur bereits in den Beständen des Museums und es ist ersichtlich, dass die Gartenmauer in die die Skulptur einst eingemauert gewesen sein soll, recht niedrig war und ihre Innenseite ansonsten ohne jegliche sonstige Zierde gestaltet war.

Fitzka meldete sich jedoch nicht nur bei Kießling, sondern informierte auch die „k.k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der kunst- und historischen Denkmale“ in Wien darüber, dass sich die Skulptur mittlerweile in den Beständen des damals im Rathaus untergebrachten Mistelbacher Heimatmuseums befand.8 Die Kommission ersuchte daraufhin um Übermittlung zweier Fotografien (Front- und Seitenansicht) und diesem Ersuchen leistete Fitzka selbstverständlich umgehend Folge.

Wahrscheinlich die älteste fotografische Darstellung der Skulptur und möglicherweise eines der Fotos, die für die oben erwähnte Zentral-Kommission angefertigt wurden

 

Vorderansicht der Steinskulptur – Höhe: 45 cm, Breite: 27 cm

 

Seitenansicht der Steinskulptur – Tiefe: 21 cm; beim rauhen Teil rechts handelt es sich um Mörtelreste aus der Zeit als die Figur Teil einer Mauer war

Fitzka griff die Deutung Kießlings in seiner im „Mistelbacher Bote“ erschienenen Artikelserie „Nachträge und Ergänzungen zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ unter dem Titel „Ein altertümliches Rechtsdenkmal“ 1907 auf und lieferte eine Zusammenfassung der zu diesem Steinbildnis bekannten Informationen bzw. auf Kießlings Einschätzung gestützt Beschreibungen von Gerätschaften zur Bestrafung.9 Die in den Jahren 1907-1908 veröffentlichten Nachträge und Ergänzungen wurden später zu einem 1912 vollendeten, jedoch erst 1913 erschienenen „Nachtrags- und Ergänzungsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ (Band II) zusammengefasst.10 Schon in Fitzkas auszugsweise als Replik auf Kießlings Beitrag im „Bote aus dem Waldviertel“ abgedruckten Brief schreibt er, dass es sich um eine Figur aus Marmor handle. Allerdings um keinen echten Marmor, sondern sogenannten „salzburgischen Marmor“. Dabei handelt es sich um im Flachgau abgebauten hochwertigen Kalkstein, der aufgrund seiner hohen Dichte eine marmorähnliche Polierfähigkeit aufweist und daher bei Bildhauern sehr beliebt war.11 Die Farbe der Steinfigur schwankt je nach Lichteinfall zwischen rosa und beige. Fitzka gibt den Zeitpunkt an dem die Steinskulptur dem Museum durch den Besitzer des Hauses Bahnstraße 1/Mitschastr. 2, Stadtsekretär Alexander Zickl, übergeben wurde mit dem Jahr 1899 an.12 Zickl, der 1915 nach dem Tod Fitzkas die Leitung des städtischen Museums übernahm, sorgte also dafür, dass diese Skulptur bereits einige Jahre vor dem um etwa 1904 erfolgten Abbruch des alten Hauses Bahnstraße 1 und dessen Neuerrichtung als prachtvolles Wohn- und Geschäftshaus in die Bestände des Mistelbacher Heimatmuseums kam. Den Hausbesitzern des Jahres 1900 sind in Fitzkas Geschichte der Stadt Mistelbach auch jene im Jahr 1799 gegenübergestellt und damals scheint als Besitzer des Eckhauses Bahnstraße/Mitschastraße (=Konskr. Nr. 379)  ein Maurermeister namens Franz Poller auf13 und Fitzka mutmaßt, dass dieser die Steinskulptur aufgrund des wertvollen Materials in sein Haus integriert haben könnte. Fitzka schildert die Standortgeschichte soweit nachvollziehbar wie folgt: der Interpretation Kießlings vertrauend vermutete er dass sich das Bildnis einst an einer Häuserecke befand, ob dies tatsächlich die Ecke Bahnstraße/Mitschastraße gewesen sei – lässt er offen. Erwiesenermaßen sei sie dann an der Innenseite der Gartenmauer des Hauses Bahnstraße 1 eingemauert gewesen und später in die Hofmauer desselben Hauses versetzt worden. Dies war der letzte Standort der Skulptur ehe sie dem Heimatmuseum übergeben wurde.

In falscher Deutung des rauhen, kreisförmigen Endes über dem Kopf der Figur bzw. einer Fehlinterpretation der gezeichneten Darstellung aus 1891 ließ Fitzka einen spitzen steinernen „Aufsatz“ für die Skulptur anfertigen.

Die in Fitzkas Nachtrags- und Ergänzungsband veröffentlichte Fotografie des Denkmals mit der „falschen Spitze“

Es ist erstaunlich, dass trotzdem sich die Figur offenbar bereits 1899 in den Beständen des städtischen Museums befand, selbige weder von Fitzka in seiner 1901 erschienenen Geschichte der Stadt Mistelbach, noch im von Don Clemens Cžácha verfassten Mistelbach-Beitrag im Rahmen der Topographie des Vereins für Landeskunde Erwähnung findet. Dies deutet darauf hin, dass man offenbar so rein gar nichts mit der Skulptur anzufangen wusste.

1914, also im Jahr nachdem Fitzkas zweiter Band zur Geschichte Mistelbachs erschien, veröffentlichte Kießling einen Teil seiner zuvor im „Bote aus dem Waldviertel“ erschienen Beiträge in Buchform unter dem Titel: „Altertümische Kreuz- und Quer-Züge“.14 Darin fasst er auf den Seiten 85-86 nochmals die bisherigen Erkenntnisse zu diesem Steinbildnis inklusive seiner Deutung der Skulptur als Rechtsdenkmal zusammen. Ebenso erneuerte er seine Datierung auf das 16. – 17. Jahrhundert und widersprach damit einer offenbar von Fitzka geäußerten (oder nur übermittelten) Vermutung, die das Steinbildnis ins 12. – 13. Jahrhundert verortete und zwar mit der Begründung, dass derartige Darstellungen im deutschen Sprachraum zu jener Zeit schlicht nicht gegeben habe. Durch seine Behandlung der Skulptur hatte er ihr jedenfalls einiges an Aufmerksamkeit beschert, denn unter Bezugnahme auf Korrespondenz mit Fitzka schreibt er, dass selbige seither das Interesse vieler Fachleute auf dem Gebiet der Archäologie und Altertumskunde gefunden habe, die Experten aber keine Erklärung zu ihre Bedeutung bzw. Herkunft gehabt hätten.15 Die wirklich bedeutende neue Information findet sich allerdings erst im Anhang, in dem er zu verschiedenen Beiträgen Nachtragsnotizen liefert und hier ist auf Seite 627 zu lesen: „Zu Seite 85: Mistelbach (Merkwüridge Skulptur): Gelegentlich einer Besichtigung der Burg Lichtenstein (sic!) bei Mödling, im Laufe des Monats Mai 1909, bemerkte der Verfasser eine „Skulptur“, die der zu Mistelbach ähnlich erscheint. Sie befindet sich auf dem Kapitäle einer aus Stein gemeißelten Säule, die das linksseitige Gewände einer Tür bildet, die aus dem im ersten Stockwerke gelegenen Büchereizimmer auf einen kleinen Söller hinausführt, der in der Richtung gegen den Gasthof Hodwagner angebracht ist. Möglicherweise ist auch das Mistelbacher, für manche Forscher noch rätselhafte Bildwerk, als ein dem 15. Jahrhunderte zuzuzählendes „Kapitäl“ anzusprechen. …“16 Es erstaunt, dass Kiesling diese wesentliche Erkenntnis, auf die er offenbar schon fünf Jahre vor Erscheinen des Buches gestoßen ist, nicht direkt in den Beitrag aufnahm, sondern selbige im sehr umfangreichen und zahlreiche Nachträge enthaltenden Anhang versteckt. Bedeutsam ist allerdings vielmehr der Inhalt, und zwar, dass der Urheber der „Rechtsdenkmaltheorie“ diese selbst verworfen hat und als erster nunmehr die Skulptur als Teil einer Säule interpretierte. Durch die Tatsache, dass dieses Buch zu spät erschien, um noch in Fitzkas zweiten Band einfließen zu können und den Umstand, dass diese bedeutende Information im Anhang versteckt war, wurde sie in Mistelbach leider nicht zur Kenntnis genommen.

Die nächste Erwähnung findet die Figur in einem Artikel des „Mistelbacher Bote“ zu Beginn des Jahres 1924, wo der Volkskundler Anton Mailly selbige unter dem Titel „Mistelbacher Skulptur“ wie folgt beschreibt und interpretiert:
„Die sogenannte „Mistelbacher Skulptur“ im Museum zu Mistelbach hat die Gestalt einer wie etwa in einem barocken Block eingezwängten Figur, von der nur der Kopf und die verkümmerten Hände und Beine sichtbar sind. Der gelockte Kopf hat ein knabenhaftes Aussehen. Oberhalb des Kopfes ist das Standbild glatt und wagrecht (sic!) abgemeißelt. Die sonderbare Kopfbedeckung wurde in neuerer Zeit in der Meinung angebracht, daß sie zur Vervollständigung der Figur gehöre, weil sie für ein Rechtssymbol (einen in Bock gespannten Mann) gehalten wurde. Das jugendliche, schalkartige Gesicht und vor allem die Platte sprechen schon gegen diese Annahme. Die Figur ist eine gewöhnliche Sockelfigur einer Säule, eines Pfeilers oder eines Bogens gewesen, wie man solche originelle Darstellungen, die den Druck einer schweren Last gar trefflich zum Ausdruck bringen in alten Klöstern, Kirchen und Burgen oft findet. Als Beispiele hiefür könnte man unter anderen den knieenden Mann im Millstätter Klostergang, der auf dem Kopfe eine Säule trägt, und den Träger eines Bogens im Kreuzgang zu Königslutter erwähnen.
Anton Mailly (Wien)“17

Mailly veröffentlichte 1927 ein kleines Büchlein mit dem Titel „Sagen aus dem Bezirk Mistelbach“ und es erscheint wahrscheinlich, dass er bei den Recherchen zu diesem Werk auf die Steinskulptur aufmerksam wurde und sich veranlasst sah eine Richtigstellung bezüglich deren Bedeutung zu veröffentlichen. Doch leider blieb auch Maillys Richtigstellung nicht dauerhaft im Geschichtsgedächtnis der Stadt bzw. fand offenbar nicht den Weg in die Aufzeichnungen des Heimatmuseums.

Univ.-Prof. Dr. Herbert Mitscha-Märheim, der seit den 1930er Jahre selbst im Heimatmuseum als wissenschaftlicher Berater wirkte, widmete der Skulptur, die er als „Mensch im Stein“ titulierte  im Jahre 1976 einen Beitrag in der heimatkundlichen Schriftenreihe „Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart“ in dem er (in Unkenntnis der Richtigstellung Kießlings und der Darstellung Maillys) selbst zu dem Schluss kam, dass es sich um die Sockelskulptur einer Säule („Säulenfuß“) handelte. Die 16 cm messende kreisrunde, rauhe Fläche über der Figur deutete für ihn klar darauf hin und würde daher für eine Säule ebensolcher Stärke sprechen. Unter Beiziehung von Experten kam er zu dem Schluss, dass es sich um ein Bildnis aus der (Spät)Renaissance handeln dürfte, und zwar vermutlich um den (Sockel-)Fuß eines Portal-/Türpfeilers aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Mitscha-Märheim stellt die bemerkenswerte und durchaus plausible These auf, dass es sich hierbei um einen Überrest der alten, romanischen Pfarrkirche handeln könnte, die zuletzt als Wallfahrtskirche genutzt wurde und Ende des 18. Jahrhunderts abgetragen werden musste (mehr dazu im Beitrag Wallfahrtsort Mistelbach). Er mutmaßt, dass die Figur einst einen Torpfeiler beim Abgang in die unterhalb der alten Pfarrkirche gelegene Gruftkapelle gestützt haben könnte und interpretiert die Figur folgendermaßen: „Der in seine Sündenlast eingeschlossene tote Mensch blickt aus seiner Gruft sehnsuchtsvoll auf Vergebung und Erlösung hoffend dem göttlichen Gericht am Jüngsten Tag entgegen.“ Diese Deutung würde jedenfalls zum düsteren und morbiden, von zahlreichen Schädeln und Knochen geprägten, Erscheinungsbild der Gruftkapelle gepasst haben. Nachdem die Datierung in die Zeit des 30-jährigen Krieges fällt, dessen Schrecken und Verwüstungen auch Mistelbach heimsuchte, scheint es laut Mitscha-Märheim durchaus denkbar, dass vom damaligen Dechant und Pfarrer Paul Pörsi Reparaturen, wie etwa die Wiederherstellung eines Portals, in Auftrag gegeben werden mussten. 18 Wie viele andere Wallfahrtskirchen musste auch die Gruftkapelle mit der samt der darüber befindlichen Kirche 1783 aufgrund eines kaiserlichen Erlasses abgebrochen werden. Möglicherweise war der bei Fitzka erwähnte Maurermeister Poller an den Abbrucharbeiten der alten Pfarrkirche beteiligt und sicherte sich dieses Bildnis, dass er als Zierrat in seine Gartenmauer einbaute. Wenn dem so war, so ist es ihm zu verdanken, dass ein Stück Bausubstanz der alten Pfarrkirche bzw. der Gruftkapelle die Jahrhunderte überdauert hat.

Die Skulptur im Jahre 2019 im Stadt-Museumsarchiv

Bildnachweise:
-) älteste Abbildung 1891: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien, Band XXVIII (1891), S. 60 (online bei Google Books)
-) altes Haus Bahnstraße 1: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Ansicht Innenhof Bahnstraße 1: zVg von Frau Christa Jakob aus der Dokumentation „Verdrängt und Vergessen- Die jüdische Gemeinde in Mistelbach“ (Buch und Dauerausstellung)
-) vermutlich älteste Fotografie: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Front und Seitenansicht der Skulptur: Göstl-Archiv
-) Foto der Skultpur mit „Aufsatz“: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach bzw. Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1912), zw. S. 66-67
-) Foto 2019: Thomas Kruspel, 2019

Quellen:

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