Ein Paasdorfer legt sich mit Bismarck an – eine Annonce mit Folgen im Jahr 1866

Im Sommer des Jahres 1866 eskalierte der bereits seit einiger Zeit zwischen Österreich und Preußen schwelende Konflikt um die Vorherrschaft im Deutschen Bund schließlich zum deutschen Bruderkrieg. Am 14. Juni 1866, dem Tag der Kriegserklärung, wurde in der in Wien herausgegebenen und bei Gewerbetreibenden und Kleinbürgern populären, katholisch-zentralistisch ausgerichteten „Gemeinde-Zeitung“ folgende Einsendung veröffentlicht:1

„Geehrte Redaction!
Von Ihrem Patriotismus überzeugt, bitte ich um gefällige Aufnahme folgender Zeilen in Ihr sehr verbreitetes Blatt:
Nachdem der Herr Minister Bismarck sich der preußischen Landwehr anschließen und gegen Österreich kämpfen will, so gebe ich demjenigen Österreicher 20 Gulden (österr. Währung), der dem Unheilstifter und Verpester der Moral – Bismarck – eine Ohrfeige applizirt, und 50 Gulden (österr. Währung), dem, der ihm in offenem Kampfe seinen Glatzkopf durchlöchert.

Mit Hochachtung zeichnet
ergebenst
Franz Xav. Rößler, Realitätenbesitzer Nr. 79, Paasdorf bei Mistelbach N.-Oe., 8. Juni 1866“

Der Paasdorfer Kaufmann und Wirtschaftsbesitzer Franz Xaver Rößler, hätte sich wohl nicht träumen lassen, welche Konsequenzen diese in patriotischem Übermut in der aufgeheizten Stimmung des Säbelrasselns zwischen Österreich und Preußen verfasste Einsendung schon kurze Zeit später haben sollte. Anfang Juli erlitten Österreich und seine Verbündeten bei Königgrätz eine vernichtende Niederlage, die den Krieg frühzeitig entschieden hatte. Die Preußen stießen nach ihrem Triumph rasch weiter Richtung Wien vor und zogen am Morgen des 17. Juli 1866 von Paasdorf kommend in Mistelbach ein. Zu Kampfhandlungen in der Umgebung kam es nicht mehr, da sich die österreichischen Truppen zurückgezogen hatten und ab 22. Juli herrschte bereits Waffenstillstand, aufgrund des Beginns der Verhandlungen zum Vorfrieden von Nikolsburg. Vor dem Heranrücken der Preußen herrschte große Unsicherheit und viele Menschen flüchteten in die Keller und Wälder und versteckten ihre Wertsachen. Es zeigte sich jedoch, dass die Zivilbevölkerung von den Feindestruppen keine Übergriffe zu fürchten hatte. Trotzdem litt die Bevölkerung unter der wochenlang dauernden Einquartierung von tausenden Soldaten (zu Spitzenzeiten rund 9000(!) alleine in Mistelbach, Lanzendorf und Ebendorf) und der damit einhergehenden Verpflegung dieser Truppen, die alle Vorräte verschlang, und nicht zuletzt durch die eingeschleppte Cholera, die viele Menschenleben fordern sollte.2

Auch Rößler, der besonderen Grund zur Furcht vor den Preußen hatte, versteckte sich vorsichtshalber zunächst vor dem herannahenden Feind, doch wähnte er sich wohlmeinender Warnungen zum Trotz zu früh in Sicherheit und verließ sein Versteck. Die außergewöhnliche, jedoch unbedeutende Annonce wäre in den Kriegswirren zweifellos untergegangen, hätte nicht der Landwirt Mathias Fink aus Atzelsdorf dafür gesorgt, dass die Preußen Kenntnis von dieser Veröffentlichung erhielten. Seine geschäftliche Tätigkeit hatte Rößler immer wieder auch als Kläger vor Gericht geführt3 und da Finks Bruder Michael zwei Jahre zuvor einen Rechtsstreit gegen Rößler verloren hatte, der letztlich die gerichtliche Feilbietung der Wirtschaft der Familie Fink zur Folge hatte4, nutzte Mathias Fink diese Gelegenheit für seine Familie Rache zu nehmen5.

Am 29. Juli 1866, und bereits nach Abschluss des Vorfriedens, zogen der geschmähte preußische Kanzler Otto von Bismarck und der preußische König und nachmalige deutsche Kaiser Wilhelm I., auch durch Mistelbach und bei einem Halt vor dem Gasthaus „Zum Weißen Rössl“, also im Bereich der Frohnerkreuzung, hielten sie eine kurze Lagebesprechung mit Offizieren ab.6 Wenige Stunden zuvor war Bismarck während eines kurzen Zwischenstopps in Poysdorf nur knapp einem Schussattentat entgangen, dass von Angehörigen des verhinderten Schützen Franz Korschan – von den Preußen unbemerkt – in letzter Sekunde noch vereitelt werden konnte.7

Es ist wohl kein Zufall, dass Rößler genau an jenem Tag an dem Bismarck sich in Mistelbach aufhielt bzw. ihn sein Weg nach Ladendorf wohl auch durch Paasdorf führte,  in Gewahrsam genommen wurde. Er wurde bei der Feldarbeit festgenommen, nach Mistelbach gebracht und verhört. Anschließend wurde er geknebelt und auf einem Wagen nach Wilfersdorf gebracht. Die Nacht über sperrte man ihn dort in einen Keller vor dem Wachen postiert wurden und anderntags wurde er auf einem Pferd festgebunden Richtung Nikolsburg fortgebracht. Von hier aus durfte Rößler seinen Angehörigen schreiben, und teilte ihnen mit, dass er nach Berlin gebracht würde. Über Wochen folgte vorerst kein weiteres Lebenszeichen von ihm. Rößlers ungewisses Schicksal wurde von mehreren Zeitungen aufgegriffen8 und beschäftigte auch den niederösterreichischen Landesausschuss im Rahmen eines Berichts des Landtagsabgeordneten Czedik von Bründelsberg, der von den Zuständen während der Zeit der Besatzung bzw. Übergriffen der preußischen Truppen handelte9.

Tatsächlich wurde Rößler bis 2. August in Nikolsburg festgehalten und in den folgenden Wochen vom 2. Bataillon des pommer‘schen Infanterie-Regiments Nr. 61 bis nach Böhmisch Neustadtl an der österreichisch-preußischen Grenze als Kriegsgefangener mitgeschleppt. Außer zu den Mahlzeiten (nur Wasser und Brot) bzw. während der Verrichtung der Notdurft war Rößler permanent gefesselt und wurde von den Preußen geschlagen und beschimpft („Du österreichischer Hund, Du „Benedek“! – Anm: Benedek war der Heerführer der geschlagenen Truppen in der Schlacht bei Königgrätz). Zuletzt wurde er in der Wachstube des Rathauses von Böhmisch-Neustadtl gefangen gehalten und schließlich als die Preußen Richtung Görlitz über die Grenze abrückten, wurde Rößler von einem preußischen Offizier mit den Worten „er soll sich nachhause packen“ am 2. September 1866 nach mehr als einmonatigen Martyrium freigelassen.10 Auf seinem Rückweg wurde Rößler große Hilfe und Anteilnahme der Bevölkerung zuteil, sodass er bald darauf wieder seinen Heimatort erreichte.

Anderslautende Zeitungsberichte, etwa dass Rößler in der schlesischen Festung Glogau in Kerkerhaft gewesen sei11 und trotz der harten Marter mit seiner standhaften patriotischen Gesinnung die Preußen so beeindruckt habe, dass man ihn schließlich nachdem ihm Kanzler Bismarck großmütig seine Beleidigung vergeben habe, laufen ließ, beruhen auf Fehlinformationen bzw. erscheinen als Versuch patriotischer Glorifizierung12. Es ist wohl eher auszuschließen, dass Bismarck in diesen für ihn und Preußen so bedeutenden Tagen mit solch einer Bagatelle belästigt worden wäre, sondern Rößlers Leidensgeschichte dürfte ebenso wie die kurzzeitige Verhaftung der Beamten des Mistelbacher Bezirksamts wegen Spionageverdachts13 auf den Übereifer preußischer Offiziere zurückzuführen sein. Offenbar wollte man an Rößler ein Exempel statuieren, doch wie dessen unspektakuläre und plötzliche Freilassung zeigt, wussten Rößlers Peiniger, auch in Anbetracht des kurz zuvor geschlossenen Prager Friedens, letztlich nicht was sie mit ihrem Gefangenen weiter anfangen sollten. Insofern scheint es auch unwahrscheinlich, dass die in einzelnen Zeitungsberichten erwähnten Interventionsversuche, des wenig zuvor kurzzeitig festgenommenen k.k. Bezirksvorstehers in Mistelbach Jakob Nebeski zu Rößlers Freilassung beigetragen haben.

Den Denunziant Mathias Fink bestrafte das Schicksal und er verstarb kurz vor Rößlers Rückkehr an der Cholera.14 Den Strick mit dem er geknebelt war, soll Rößler als Andenken an jene schicksalshaften Wochen im Sommer des Jahres 1866 aufbewahrt haben. Er verstarb 1876 im Alter von 57 Jahren in seinem Heimatort Paasdorf.15

1906 erschien unter dem Titel „Vierzig Jahre nach Custozza und Königgrätz“ im „Neuigkeits Welt Blatt“ – dem Nachfolgeblatt der Gemeinde-Zeitung – ein Beitrag über das damalige Kriegsgeschehen, und auch Rößlers damalige Einsendung wurde als Kuriosum nochmals abgedruckt.16 Die Preußen haben in Form des außerhalb des Ortes gelegenen Cholerafriedhofs, in dem 32 preußische Krieger beigesetzt wurden, bis heute Spuren in Paasdorf hinterlassen.

 

Quellen:

  1. Gemeinde-Zeitung, 14.06.1866, S. 13 – (ONB: ANNO)
  2. Bollhammer, Fritz: Das Jahr 1866 in Mistelbach In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band I, S. 325ff
  3. Beispiele für von Rößler (alternative Schreibweise „Reßler“) geführte Klagen:
    Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 15. Oktober 1861 (Nr. 240), S. 66 (ONB: ANNO);
    Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 26. November 1864 (Nr. 285), S. 888 (ONB: ANNO);
    Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 18. Dezember 1868 (Nr. 298), S. 1795 (ONB: ANNO);
  4. Amtsblatt zur Wiener Zeitung, 13. Juli 1864 (Nr. 158), S. 85 (ONB: ANNO);
    Zum Verwandtschaftsverhältnis der Brüder Fink siehe: Pfarre Pellendorf: Trauungsbuch (1806-1877), Fol. 20 (Mathias Fink) bzw. Fol. 26 (Michael Fink) – Eintrag Mathias Fink bzw. Eintrag Michael Fink im Trauungsbuch der Pfarre Pellendorf
  5. Zum Teil finden sich widersprüchliche Angaben oder nur Andeutungen zur Person des Verräters, doch die nachfolgenden, glaubhaften Quellen benennen den Verräter eindeutig:
    -) Jahnel, Anton: Chronik der Preußischen Invasion des nördlichen Böhmens im Jahre 1866 (1867), S. 93 (Google Books);
    Gemeinde-Zeitung, 15. September 1866, S. 690f (ONB: ANNO);
    In Zusammenhang mit dem Sterbebucheintrag der Pfarre Pellendorf zu Mathias Fink (siehe weiter unten), besteht an seiner Person kein Zweifel;
  6. Bollhammer, Fritz: Das Jahr 1866 in Mistelbach In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band I, S. 325ff
  7. Ostdeutsche Rundschau, 21. August 1902 (Nr. 230), S. 3 (ONB: ANNO);
    „1866 – Die Preußen in Poysdorf“ – Beitrag auf der Webseite der Stadtgemeinde Poysdorf
  8. Fremden-Blatt, 15.08.1866, S. 3 (ONB: ANNO);
    Gemeinde-Zeitung, 17.08.1866, (S. 2) (ONB: ANNO)
  9. Bericht des Landtagsabgeordneten Czedik an den Landesausschuss: Gemeinde-Zeitung, 13.09.1866, S. 587 (ONB: ANNO)
  10. Jahnel, Anton: Chronik der Preußischen Invasion des nördlichen Böhmens im Jahre 1866 (1867), S. 93 (Google Books)
  11. Die Debatte, 11.10.1866 (S. 2) (ONB: ANNO)
  12. Gemeinde-Zeitung, 15. September 1866, S. 690f (ONB: ANNO)
  13. Gemeinde-Zeitung, 17.08.1866, (S. 2) (ONB: ANNO)
  14. Pfarre Pellendorf: Sterbebuch 1865-1899, Fol. 7;
    Eintrag Sterbebuch Pfarre Pellendorf
  15. Pfarre Paasdorf: Sterbebuch 1853-1898, Fol. 87
    Eintrag Sterbebuch Pfarre Paasdorf
  16. (Neuigkeits) Welt Blatt, 5. Juli 1906, 7. Bogen (S. 13) (ONB: ANNO)
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