Leopold Figl-Straße

Als 2009 unterhalb der Dr. Körner-Straße ein neues Siedlungsgebiet geschaffen wurde, beschloss der Mistelbacher Gemeinderat die dort zu errichtenden Straßen nach Ehrenbürgern der Stadt Mistelbach zu benennen. Bei den Namenspaten handelt es sich in vielen Fällen um Politiker der Nachkriegszeit, die wesentlich zum Entstehen und Blühen der 2. Republik beigetragen haben. Unter diesen Persönlichkeiten nimmt Leopold Figl als Bundeskanzler der ersten Nachkriegsjahre, Staatsvertrags-Außenminister und Landeshauptmann eine herausragende Rolle ein und der Mistelbacher Gemeinderat beschloss in der Sitzung vom 25. März 2009 einer Straße den Namen „Leopold Figl-Straße“ zu geben.1

Leopold Figl wurde am 2. Oktober 1902 in Rust im Tullnerfeld als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Schon während seines Studiums an der Hochschule für Bodenkultur (heute: Universität für Bodenkultur) in Wien war er im Sekretariat des niederösterreichischen Bauernbundes, einer Teilorganisation der Christlichsozialen Partei, beschäftigt und stieg dort bereits 1933 im Alter von lediglich 31 Jahren zum Direktor dieser einflussreichen Standesvertretung auf. Seine führende Stellung an dieser Schnittstelle zwischen Politik und Interessensvertretung führte Dipl.-Ing. Figl, damals noch stellvertretender Direktor des Bauernbundes, aufgrund der bevorstehenden Landtagswahl (nachweisbar) erstmals am 17. April 1932 nach Mistelbach. Bei dieser gut besuchten Wahlkampfveranstaltung im Kinosaal des Gasthauses „zur goldenen Krone“ (Oberhoferstraße 15) warb neben Figl auch der damalige Minister und später diktatorisch regierende Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg für die Christlichsoziale Partei.2

Seine nächsten Besuche fallen in das schicksalhafte Jahr 1934 in dem sich Figls Partei von Demokratie und Rechtsstaat verabschiedet hatte und von nun an autoritär herrschte. Im März diesen Jahres nahm er in Paasdorf an der Beerdigung des Landwirts und Bezirksbauernrats Karl Seltenhammer teil3 und rund fünf Wochen später führte ihn die Teilnahme an einer Besichtigung der lokalen  Genossenschaftsmolkerei nach Mistelbach. Zu diesem Termin hatte der Gründer der Molkerei, der christlichsoziale Nationalratsabgeordnete Josef Kraus eingeladen, und im Mittelpunkt des Interesses stand der in Mistelbach produzierte Edamerkäse.4 Nach intensiven Versuchen war es gelungen diese Käseart in entsprechender Qualität auch in Österreich herzustellen und die zusammen mit den Politikern und Agrarexperten geladenen Journalisten sollten für diese Produktinnovation aus Mistelbach die Werbetrommel rühren. Wie ein Blick in den Beitrag Mistelbach in der Zeitung – Teil 3 (1923 -1942) belegt, war dieses Ansinnen auch erfolgreich. Anschließend wurden die Gäste zu einer Jause in die Bahnhofsrestauration Panzer (zuletzt Gasthaus Pollak) eingeladen und seinen Abschluss fand der Besuch im Klosterkeller des Weinhändlers Felix Roller.

Am 10. Juni, dem Pfingstmontag des Jahres 1935, fand auf dem damals Dollfuß-Platz genannten Mistelbacher Hauptplatz eine Großkundgebung der Vaterländischen Front, der einzigen zugelassenen politischen Organisation, statt. Als Veranstaltung der Vaterländischen Front im Mistelbacher Bote angekündigt, wurde selbige in der Berichterstattung im Nachgang vielmehr als Bauernkundgebung „im äußeren Rahmen und Gepräge eines vaterländischen Fests“ beschrieben. Neben Landwirtschaftsminister und „Reichsbauernführer“ Josef Reither und Staatsrat Josef Kraus, sprach auch Bauernbunddirektor Figl zu angeblich 4000 Teilnehmern. Er richtete in seiner Rede auch Worte an die anwesenden Ostmärkischen Sturmscharen, deren Landesführer er war. Die Ostmärkischen Sturmscharen waren eine paramilitärische Wehrformation des klerikal-konservativen Lagers, die sich zwar vom radikalen Faschismus der Heimwehren abgrenzte, aber dennoch dem Klerikalfaschismus ideologisch nahestanden und antisemitisch geprägt waren. Es handelt sich um einen Sonderfall, dass in Niederösterreich die Heimwehren mit den Sturmscharen auf Landesebene zu den „niederösterreichischen Sturmscharen“ zusammengefasst waren. Die vom niederösterreichischen Bauernbund stark geförderten Sturmscharen standen von 1932 bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1936 unter der Leitung von Figl. Zum Abschluss der Kundgebung defilierten die Bauernschaft und die Wehrverbände an den hohen Gästen vorbei. Das Festessen fand im Hotel Rathaus (heute: Erste Bank) statt und den Abschluss bildete ein Gartenkonzert der Heimwehrkapelle im Rathausgarten (=Stadtpark).5

Aufgrund seiner führenden Rolle im Dollfuß/Schuschnigg-Regime wurde Dipl.-Ing. Figl am 12. März 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet und mit dem sogenannten „Prominententransport“ in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Fünf Jahre Haft, Hunger, Folter und Misshandlungen musste Figl in den Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg erdulden, ehe am 8. Mai 1943 – dank dem unermüdlichen Einsatz seiner Gattin – seine Freilassung erwirkt werden konnte. Kurz nach der Entlassung aus dem KZ fand Figl Anstellung als Bauleiter bei der Straßenbaufirma eines Freundes, des späteren Bundeskanzlers Julius Raab, und diese Tätigkeit führte ihn ins Weinviertel.

In einem Artikel zum Gedenkjahr 2018 war in der StadtGemeinde Zeitung unter anderem Folgendes zu lesen6: „Der Bauernbunddirektor Dipl.-Ing. Leopold Figl, der 1942 in Hüttendorf im Straßenbau arbeiten musste, und bei Familie Wallisch in der Küche schlief, während zwei Nazis im Zimmer schliefen, wurde mit dem 1. Transport in das KZ Dachau gebracht.“

Diese Schilderung bedarf einer Korrektur, weil wie obenstehend dargelegt, konnte Figl keinesfalls 1942 in Hüttendorf gewesen sein. Es ist richtig, dass Figl nach seiner Freilassung ins unserer Gegend im Straßenbau tätig war, allerdings in der Gegend um Zistersdorf, wo sich für die Kriegsführung wichtige Ölreserven befanden. Auch war Figl keineswegs als Zwangsarbeiter dort eingesetzt, wie die dieser Beitrag nahelegte, sondern in führender Stellung. Im Zuge seines Aufenthalts in unserer Gegend trat er auch mit ehemaligen Bauernbundmitglieder in Kontakt um für die Zeit nach Ende des Nationalsozialismus Vorbereitungen zu treffen.7 Möglicherweise kam es in diesem Zusammenhang auch zu dem Aufenthalt in Hüttendorf von dem in der Gemeindezeitung wohl auf Basis mündlicher Überlieferungen berichtet wurde. Die Begebenheit müsste sich dann allerdings ein Jahr später zugetragen haben und wie dazu die Erwähung der Nazi Begleitung passt, ist unklar.

Die Firma Kohlmayer bei der Figl beschäftigt war, hatte aufgrund der von ihr in der Umgebung durchgeführten Straßenbauarbeiten eine Außenstelle in Maustrenk, einem Nachbarort der heutigen Katastralgemeinde Kettlasbrunn, eingerichtet.8 In dieser Zeit lernte er den Kettlasbrunner Pfarrer Karl Schilling kennen und aus dieser Begegnung stammt auch die enge Verbindung Schillings zum Niederösterreichischen Bauernbund. Aus Dankbarkeit für die Befreiung vom NS-Regime hielt der Niederösterreichische Bauernbund jährlich eine Wallfahrt nach Mariazell ab und diese wurde über Jahrzehnte hinweg von Pfarrer Schilling angeführt.9

Vorerhebungen für vermeintliche Straßenbauprojekte und ein privilegierter Zugang zu Fahrzeugen boten Figl die Möglichkeit die oben bereits geschilderte Kontaktarbeit zu alten politischen Weggefährten in weiten Teile Niederösterreichs durchzuführen – Maustrenk diente hierfür als Basis. Eine dieser Reisen führte Figl Anfang Mai 1944 nach Judenau, wo die Grundlage für die Wiedererstehung des Bauernbundes gelegt und auch die bereits oben erwähnte jährliche Wallfahrt für die Zeit nach der Befreiung gelobt wurde.10 Aus seiner Zeit in Maustrenk ist auch ein Zusammentreffen mit dem führenden Sozialdemokraten und späteren Innenminister Oskar Helmer überliefert. Allerdings wurden Helmer, Figl und Raab, die offenbar im Freien, wohl nahe einer Baustelle beieinanderstanden von dem zufällig vorbeikommenden NS-Kreisleiter gesehen. Alle drei wurden verhaftet und zur GESTAPO gebracht und Figl musste nun sich nunmehr bei der Geheimen Staatspolizei melden. Wahrscheinlich konnten nur Raabs gute Kontakte zu Gauleiter Jury (vorerst) schlimmere Konsequenzen verhindern. 11 Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 änderte sich dies und der NS-Appart ging wieder scharf gegen alle politisch Verdächtigen vor und Figl war erstaunt, dass er „erst“ im Herbst 1944 neuerlich verhaftet wurde.12 Zunächst im KZ Mauthausen interniert, wartete er zuletzt im Gefangenenhaus des Landesgerichts Wien auf seinen Prozess und ein wahrscheinliches Todesurteil, vor dem ihn die Befreiung Wiens im April 1945 rettete.

Am 6. Juni 1948 war der nunmehrige Bundeskanzler Figl anlässlich einer Großkundgebung der Österreichischen Jugendbewegung (Vorläuferorganisation der Jungen Volkspartei) erstmals nach dem Krieg wieder in Mistelbach anwesend. Nach der Festmesse in der Pfarrkirche fand eine große Versammlung auf dem damaligen Sportplatz (heute: Gewerbegebiet gegenüber dem Weinlandbad) statt, bei der neben Bundeskanzler Figl auch Landwirtschaftsminister Josef Kraus zur Jugend sprach. Laut ÖVP-nahen Zeitungen sollen etwa 2000 Jugendliche und weite Teile der Bevölkerung der Stadt an dieser Kundgebung teilgenommen haben und im Anschluss fand ein Volkstanzfest im Stadtpark bzw. ein gemütlicher Ausklang im  Gasthaus „zur goldenen Krone“ statt.13

Ankündigung der großen Kundgebung der Österreichischen Jugendbewegung (Vorläufer der Jungen Volkspartei) am 6. Juni 1948Ankündigung der großen Kundgebung der Österreichischen Jugendbewegung (Vorläufer der Jungen Volkspartei) am 6. Juni 1948

Nachdem die hiesige Kaserne bis 1955 von der Roten Armee genutzt worden war, zog das Österreichische Bundesheer nach umfassenden Renovierungsarbeiten 1958 mit der neu geschaffenen Aufklärungsabteilung I wieder in Mistelbach ein. Dieser neue Truppenteil verfügte zunächst über kein Feldzeichen und nachdem sich die Stadt und ihre politischen Vertreter darüber freuten, dass Mistelbach wieder Garnisonsstadt war und die Zusammenarbeit mit den Kommandeuren sehr gedeihlich war, stiftete die Stadtgemeinde der hier stationierten Truppe eine Standarte. Am 26. Oktober 1962 – dem „Tag der Fahne“, wie der Nationalfeiertag anfangs hieß – fand auf dem Hauptplatz und im Beisein von Landeshauptmann Figl die Weihe der neuen Standarte der Aufklärungsabteilung I statt.14

Landeshauptmann Figl beim Abschreiten der Ehrenkompanie auf dem Mistelbacher Hauptplatz im Oktober 1962Landeshauptmann Figl beim Abschreiten der Ehrenkompanie auf dem Mistelbacher Hauptplatz im Oktober 1962

Das  „90 Jahr-Jubiläum der Stadterhebung“ wurde 1964 im Rahmen der dritten Mistelbacher Heimatwoche groß gefeiert und aus diesem Anlass waren am 13. Juni 1964 Bundespräsident Adolf Schärf und Landeshauptmann Leopold Figl als Ehrengäste in Mistelbach anwesend. Nachdem der Beschluss über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an die beiden verdienten Politiker bereits am 8. Mai 1964 erfolgt war, wurden ihnen im Rahmen einer Festsitzung des Gemeinderates im (Kino-)Saal des Gasthauses „Zur goldenen Krone“  die Ehrenbürgerurkunden überreicht.

1964: Feierlichkeiten zu „90 Jahre Stadterhebung“ – v.l.n.r. die Festgäste Bundespräsident Schärf und Landeshauptmann Figl sowie Bürgermeister Bayer. Ort dieser Aufnahme ist die Oberhoferstraße.1964: Feierlichkeiten zu „90 Jahre Stadterhebung“ – v.l.n.r. die Festgäste Bundespräsident Schärf und Landeshauptmann Figl sowie Bürgermeister Bayer. Ort dieser Aufnahme ist die Oberhoferstraße.

Dieser Aufenthalt sollte Figls letzter Besuch in Mistelbach gewesen sein – er verstarb im April 1965.

Wo befindet sich die Leopold Figl-Straße?

 

Bildnachweis:
-) Plakat: Göstl-Archiv
-) Figl in Mistelbach 1962 und 1964: Wilhelm Mliko (StadtMuseumsarchiv Mistelbach)

Quellen:
-) Seltenreich, Dr. Susanne: Dokumentation einer Erinnerung, Band II (1986), S. 16
-) Prantner, Robert/ Kunz, Johannes (Hrsg.): Leopold Figl – Ansichten eines großen Österreichers (1992), S. 15

  1. Protokoll der Sitzung des Mistelbacher Gemeinderates vom 26.03.2009
  2. Mistelbacher Bote, Nr. 17/1932, S. 4 (ONB: ANNO)
  3. Mistelbacher Bote, Nr. 11/1934, S. 5 (ONB: ANNO)
  4. Mistelbacher Bote, Nr. 17/1934, S. 5 (ONB: ANNO)
  5. Mistelbacher Bote, Nr. 24/1935, S. 5 (ONB: ANNO);
    Mistelbacher Bote, Nr. 23/1935, S. 3 (ONB: ANNO)
  6. StadtGemeinde Zeitung, Folge 7 (November) 2018, S. 6
  7. Trost, Ernst: „Österreich ist frei!“ – Leopold Figl und der Weg zum Staatsvertrag (2005), S. 132
  8. Kriechbaumer, Robert: Von der Illegalität zur Legalität – Die ÖVP im Jahr 1945 (1985), S. 56
  9. Gänserndorfer Pfarrblatt, Jahrgang 5/1966 – Sondernummer, S. 2;
    Gänserndorfer Pfarrblatt, Jahrgang 1976 – Sondernummer, S. 1
  10. Kriechbaumer, Robert: Von der Illegalität zur Legalität – Die ÖVP im Jahr 1945 (1985), S. 57
  11. Seltenreich, Dr. Susanne: Leopold Figl – ein Österreicher (1962), S. 172f;
    Kriechbaumer, Robert: Von der Illegalität zur Legalität – Die ÖVP im Jahr 1945 (1985), S. 56
  12. Trost, Ernst: „Österreich ist frei!“ – Leopold Figl und der Weg zum Staatsvertrag (2005), S. 132
  13. Mistelbacher Bote, Nr. 24/1948, S. 2 (ONB: ANNO);
    Das kleine Volksblatt, 8. Juni 1948 (Nr. 131/1948), S. 3 (ONB: ANNO);
    Wiener Zeitung, 8. Juni 1948 (241. Jg. – Nr. 131), S. 1 (ONB: ANNO)
  14. Bader, Stefan/Hirsch, Matthias: Die Garnison Mistelbach – Geschichte einer Kaserne und ihrer Umgebung (2012), S. 126f
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