Mistelbacher Synagoge

Bereits 1337 wird von einer Judenverfolgung in Mistelbach berichtet und dies stellt gleichzeitig den ältesten Beleg jüdischen Lebens (und Leidens) in Mistelbach dar. Aufgrund von Verfolgung und Aufenthaltsverboten konnten Juden im Laufe der folgenden Jahrhunderte nur vereinzelt und nicht dauerhaft in Mistelbach ansässig werden. Doch prägten fahrende jüdische Händler aus dem nahegelegenen Südmähren, die ihre Waren auf den Mistelbacher Märkten anbieten durften, das Marktgeschehen. Erst in Folge der vollständigen rechtlichen Gleichstellung durch das Staatsgrundgesetz von 1867, und im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt durch die Errichtung der Staatseisenbahn im Jahr 1870, ließen sich vermehrt jüdische Händler und Gewerbetreibende samt ihren Familien in Mistelbach nieder.

Jüdische Gottesdienste wurden zunächst wohl in privaten Wohnungen gefeiert, aber bereits für das Jahr 1889 ist die Existenz einer Betstube belegt. Diese befand sich höchstwahrscheinlich an der Adresse Annagasse 6, dem Haus des, in Mistelbach von 1880 bis 1895 wirkenden, jüdischen Religionslehrers und Kantors Sigmund Jellinek.

Zu Beginn der 1890er Jahre kam es zu einer gesetzlich angeordneten Neuregelung der jüdischen Religionsgesellschaften, im Zuge derer 1892 die Israelitische Kultusgemeinde Mistelbach gegründet wurde. Das Gemeindegebiet umfasste die Gerichtsbezirke Mistelbach, Laa a.d. Thaya, Feldsberg, Poysdorf, Wolkersdorf (mit Ausnahme einiger weniger Gemeinden) und Zistersdorf. 1895 erwarb die Kultusgemeinde Mistelbach ein Grundstück in der Oserstraße, Ecke Gartengasse zum Zwecke der Errichtung einer Synagoge. Mit der Planung wurde der aus Ungarn stammende Architekt Friedrich Schön beauftragt und das Gebäude wurde vom späteren Bürgermeister Baumeister Josef Dunkl jun. in weniger als einem Jahr Bauzeit errichtet.

Die älteste erhaltene Darstellung der Synagoge auf einer 1898 gelaufenen Postkarte

Die „Skyline“ des Stadtteils Wieden auf einer Ansicht aus dem Jahr 1910
(Die Beschriftung „Tempel“ ist etwas zu weit rechts (über der Elisabethkirche) angebracht, weshalb der Israelitische Tempel zusätzlich durch ein kleines rotes X markiert wurde.)

Die  feierliche Eröffnung und  Einweihung des Tempels fand am 25. Februar 1896 im Beisein zahlreicher Festgäste, darunter Abordnungen der benachbarten Kultusgemeinden, des Bezirkshauptmannes Bazant und Vertretern der Stadt Mistelbach statt. Der Einzug der Priester mit den Thorarollen war der Auftakt zum Einweihungsgottesdienst und daran anschließend wurde zu einem Festmahl im Hotel Rathaus geladen.

Die Ereignisse vom März 1938 markieren den Anfang vom Ende der jüdischen Gemeinde in Mistelbach und den Auftakt zur grausamen Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in ganz Österreich. Noch bevor die Mistelbacher Ortsgruppe der NSDAP Ende September 1938 stolz vermeldete, dass der letzte Jude Mistelbach verlassen habe, wurde der Vorsteher der Mistelbacher Kultusgemeinde Wilhelm Kohn im Juli desselben Jahres von NS-Kreisleiter Hans Eichinger und Gemeindeverwalter Adolf Schödl, unter großem Druck genötigt die Liegenschaft der Stadt Mistelbach zu „schenken“. Der entweihte Tempel wurde unter anderem für Treffen der Hitlerjugend, als Vorratslager der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV)1 und als Unterkunft für Zwangsarbeiter genutzt. Um die dort gelagerten Vorräte nicht der anrückenden Roten Armee in die Hände fallen zu lassen, wurde die Synagoge im April 1945 von SS-Männern in Brand gesteckt.

Zwar beschädigte die Brandstiftung das Gebäude, aber während der Gefechte um Mistelbach blieb das Bauwerk vor weiteren Zerstörungen verschont. 1952 wurde die Gemeinde Mistelbach in einem Rückstellungsverfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien schuldig gesprochen und die sofortige Rückübereignung des Eigentums an der Liegenschaft an die Israelitische Kultusgemeinde Wien, als Rechtsnachfolgerin der Kultusgemeinde Mistelbach, angeordnet. Nachdem die jüdische Gemeinde Mistelbach durch Flucht und Ermordung ausgelöscht war – nur zwei Personen der früheren jüdischen Bevölkerung kehrten nach dem Krieg nach Mistelbach zurück – hatte die Kultusgemeinde Wien keine unmittelbare Verwendung für die Liegenschaft. Durch die jahrzehntelange Nichtnutzung bzw. dem Unterbleiben jeglicher Instandhaltungsarbeiten seit dem Brand zu Kriegsende war die Synagoge schließlich dem Verfall preisgegeben. Doch bis zuletzt wäre ein Abbruch aus bautechnischer Sicht nicht zwingend notwendig gewesen.

Die Mistelbacher Synagoge im Jahre 1964

Ansicht aus dem Jahr 1975 (Im Hintergrund ist das Arbeitsamt zu erkennen)

Mitte der 1970er Jahre wurde die Liegenschaft von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien an eine Privatperson verkauft, die die Synagoge 1979 abtragen und im darauffolgenden Jahr auf dem Grundstück ein Wohnhaus errichten ließ.

Die letzte Aufnahme vor der Abtragung

Der Abbruch der Synagoge im Jahr 1979

 Wo befand sich die Mistelbacher Synagoge?

 

Virtuelle Rekonstruktion der Mistelbacher Synagoge

Im November 2015 reichte der TU-Student Johannes F. Zelenak seine Diplomarbeit mit dem Thema: „Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Mistelbach“ an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der Technischen Universität Wien ein. Bereits 1998 wurde an der TU Wien erstmals eine Synagoge virtuell rekonstruiert und die Diplomarbeit von Dipl.-Ing. Zelenak ist Teil einer Reihe von Arbeiten, die sich mit der virtuellen Rekonstruktion von komplett oder teilweise zerstörten Synagogen befasst.

Trotz dem Fehlen der Baupläne konnte das Äußere der Synagoge durch verschiedene Fotos akkurat nachgebildet werden. Schwieriger war es hingegen die Innenansicht nachzuempfinden, da bis heute nur ein Foto aus dem Inneren aufgetaucht ist, aber dennoch konnte eine wohl realistische Innenansicht anhand mündlicher Angaben, Analogieschlüssen und einer Skizzenzeichnung erstellt werden.

Dank gebührt Dipl.-Ing. Johannes F. Zelenak für diese tolle Leistung und dafür, dass er so freundlich war die von ihm geschaffene Animation zwecks Verwendung im Rahmen von mi-history.at zur Verfügung zu stellen.

Zur Steuerung:
Linke Maustaste gedrückt halten und nach links/rechts/oben/unten ziehen um die Ansicht zu drehen; mittels Mausrad kann heran- bzw. hinausgezoomt werden
Symbol: links oben – Übersicht über die vorhandenen Position in der Vogelperspektive; Symbol rechts unten – Vollbildmodus
Vier Positionen verfügbar: Schrein, Innenraum, (Frauen-)Galerie, Vorplatz

Visualisierung: © Dipl.-Ing. Johannes Franz Zelenak

Quellen (und Anmerkungen):
-) Eybel, Heinz /Jakob, Christa/Neuburger, Susanne: Verdrängt und Vergessen. Die jüdische Gemeinde in Mistelbach (2003), S. 12, 54ff
-) Zelenak, Dipl.-Ing. Johannes Franz: Diplomarbeit – „Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Mistelbach“ (2015)
-) Jakob, Christa/Steiner, Mag. Oskar: Mistelbach in Alten Ansichten – Band 2 (2001)
-) Mistelbacher Bote, Nr. 13/1947, S. 1
-) Prokop, Ursula: Die Synagoge von Mistelbach und ihr Architekt Friedrich Schön
(1857-1941) in David – Jüdische Kulturzeitschrift, Ausgabe 84 (2010)
(der von der Autorin angeführte Eklat bzgl. der Abwesenheit des Bürgermeisters bei der Einweihung ist nicht denkunmöglich, aber in keiner der von ihr angeführten Quellen konnten dazu Informationen gefunden werden. Faktum ist, dass Bgm. Freund nicht zugegen war. Für das Jahr 1908 ist allerdings ein Besuch von Bürgermeister Freund, der kurz zuvor auch in den Landtag gewählt wurde, in der Synagoge belegt – siehe hierzu: Jüdische Volksstimme, 10. Dezember 1908 (Jg. IX – Nr. 35), S. 5 (ONB: ANNO))

Bildnachweis:
-) Abbildungen digitalisiert und zur Verfügung gestellt von Otmar Biringer aus den Sammlungen von Herrn Lichtl und Frau Rehrmbacher bzw. von Frau Christa Jakob zur Verfügung gestellt

  1. Das kleine Volksblatt, 14. August 1938 (Nr. 233), S. 11 (ONB: ANNO)
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