Rollerweg

Ein in der nordöstlichen Ecke des Hauptplatzes, am Beginn der Oberhoferstraße zwischen den Häusern Nr. 2 und 4, gelegener Verbindungsweg zum Mistelsteig bestand jedenfalls bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert. Dies ist durch das im Bote aus Mistelbach abgedruckte Protokoll der Gemeindeausschusssitzung vom 7. April 1906 belegt, in dem zu lesen ist, dass „Wegen der Wiedereröffnung des in früheren Zeiten bestandenen Verbindungsweges zwischen Oberhoferstraße und Mistelsteig mit der Hausbesitzerin Theresia Binder in Verhandlungen getreten werden soll“.1 Offenbar war dieser einst von der Allgemeinheit genutzte Weg nicht mehr öffentlich zugänglich. Da jedoch unter diesem Weg auch ein in die Mistel mündender, geziegelter Hauptkanal verlief, wurde in der Sitzung angeregt das Eigentumsrecht der Stadt an diesem Grund notwendigenfalls gerichtlich feststellen zu lassen. Zunächst schien sich im Juni 1906 eine Lösung abzuzeichnen2, letztlich konnte jedoch keine Einigung erzielt werden bzw. sich die Gemeinde nicht mit ihrer Rechtsansicht durchsetzen. Nach einer Änderung in den Besitzverhältnissen – der damalige Gemeinderat (=Stadtrat) Felix Roller hatte das Haus Oberhoferstraße Nr. 4 Ende September 1914 von der Familie Binder erworben – konnte die Angelegenheit wenige Wochen später einer Lösung zugeführt werden, indem die Besitzer der Häuser Oberhoferstraße Nr. 2 (Rund) und 4 (Roller), unentgeltlich Grund an die Gemeinde abtraten, sodass ein Weg mit einer Breite von etwa 2,4 Metern entstand.3 Die Gemeinde verpflichtete sich im Gegenzug zur Erhaltung des Weges und zur Übernahme des Großteils der Kosten für die Errichtung der Abgrenzung zu den anliegenden Grundstücken.4

Der noch namenlose Rollerweg (Blickrichtung Oberhoferstraße) auf einem 1945 entstandenen Aquarellgemälde der Malerin Auguste Mlczoch-Gelbert

Der damals noch namenlose Rollerweg (Blickrichtung Oberhoferstraße) in seinem ursprünglichen Zustand, dargestellt in einem Aquarellgemälde der Malerin Auguste Mlczoch-Gelbert aus dem Jahr 1945

Das Haus Oberhoferstraße Nr. 2 befand sich wie oben bereits erwähnt zunächst im Besitz der Familie Rund, bis 1920 der jüdische Gemischtwarenhändler Julius Frisch, der darin bereits seit 1903 sein Warenhaus betrieb, die Liegenschaft erwarb. 1938 „arisierte“ Friedrich Tempes die Liegenschaft samt Geschäft und 1950 kam es zur Rückstellung des Besitzes an die Hinterbliebenen der Familie Frisch, die nunmehr in der Schweiz lebten. Nach kurzzeitiger Pacht, konnte Tempes das Unternehmen schließlich käuflich erwerben.5 Schon unter seinem ursprünglichen Besitzer war der Verkauf von Bekleidung und Textilien ein Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit gewesen, und unter Tempes hatte sich der Betrieb zu einem reinen Bekleidungsgeschäft entwickelt. Nach dem Kauf baute Tempes das Geschäftslokal in den 1950er Jahren großzügig aus und unter anderem verfügte das Geschäft über die erste Schaufensterpassage Mistelbachs.


Ökonomierat Felix Roller (1871-1957)Ökonomierat Felix Roller

1958 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat den Verbindungsweg zwischen Oberhoferstraße und Mistelsteig nach dem im Jahr zuvor verstorbenen Weingroßhändler, langjährigen Gemeinde- bzw. Stadtrat und Vorstandsmitglied der städtischen Sparkasse, Ökonomierat Felix Roller zu benennen.6 Die Benennung erfolgte eingedenk der Tatsache, dass Roller mit der Grundabtretung maßgeblich zur Lösung dieser bereits mehrere Jahre anhängigen Problematik und schließlich der Schaffung dieses öffentlichen Weges beigetragen hat.7

 

Links der alte Verlauf des Rollerwegs (zw. Nr. 2 u. 4) auf einem Plan aus dem Jahr 1947, rechts der Verlauf seit 1965 (zw. 2-4 u. 6)

Der Verlauf des Rollerwegs zwischen den Häusern Oberhoferstraße 2 und 4 vor 1963 (links) und heute zwischen den Häusern 2-4 und 6 (rechts)

1963 beabsichtigte Tempes den weiteren Ausbau seines Unternehmens und hatte hierzu bereits zuvor das Haus Oberhoferstraße 4 erworben. Da jedoch zwischen seinen beiden Liegenschaften der Rollerweg verlief, ersuchte er die Stadtgemeinde um Zustimmung zur Verlegung des Weges um etwa 7 Meter, sodass dieser künftig zwischen den zusammengelegten Grundstücken Nr. 2-4 und Nr. 6 verlaufen sollte. Die Gemeinde stimmte der angedachten Verlegung und teilweisen Überbauung des Weges grundsätzlich zu8, die von Tempes angebotene Möglichkeit des Ausbaus des Weges zu einer für den Autoverkehr tauglichen Straße wurde laut einer Zeitzeugin von der Gemeindevertretung damals jedoch abgelehnt.9

 

1963: links Oberhoferstraße Nr. 6; das abgebrochene Haus Oberhoferstraße Nr. 4, ist nur mehr durch den Rest der Gebäudecke in der Bildmitte erkennbar und diese lässt den ursprüngliche Verlauf des Rollerwegs entlang des Hauses Nr. 2 (rechts) erkennenEnde 1963: links Oberhoferstraße Nr. 6; das abgebrochene Haus Oberhoferstraße Nr. 4, ist nur mehr durch den Rest der Gebäudeecke in der Bildmitte erkennbar und diese lässt den ursprüngliche Verlauf des Rollerwegs entlang des Hauses Nr. 2 (rechts) erkennen

Im Februar 1965 konnte der Zubau des Geschäftslokal eröffnet werden10 und 1966 folgte schließlich die Übernahme des neuen Rollerwegs ins Gemeindeeigentum.11 Der Name „Rollerweg“ konnte sich nicht wirklich durchsetzen, denn obwohl Tempes das Geschäft 1982 an die Firma Kleiderbauer verkaufte12, war und ist diese Gasse teilweise bis heute umgangssprachlich als „Tempesgassl“ bekannt.

Straßenschild mit falscher Schreibweise – korrekt: „Rollerweg“

Der Rollerweg führte zu einer früher umgangssprachlich als „Rollerplatz“ bzw. „Rollerwiese“ bezeichneten Freifläche im Bereich Mistelsteig/Bruderhofgasse, die heute als Parkplatz genutzt wird. Dieses Grundstück gehörte Felix Roller, dessen Weinhandlung sich in unmittelbarer Nähe an der Adresse Hauptplatz Nr. 9 befand und die „hintaus“ an den Mistelsteig angrenzte. Der Rollerplatz wurde zum Teil auch für Veranstaltungen, zB Zirkusgastspiele, genutzt. Nach dem Tod von Roller verpachtete dessen Bruder Franz das Gelände ab 1959 an die Gemeinde13, bevor die „Rollerwiese“ schließlich im Jahr 1961 von der Gemeinde angekauft wurde14. Später erwarb der am Hauptplatz ansässige Auto- und Landmaschinenhändler Jandl das Grundstück und errichtete hier eine große Werkstatthalle. In Folge der Insolvenz dieses Unternehmens im Jahre 199215 kam das Areal zwei Jahre später (neuerlich) in den Besitz der Stadtgemeinde.16 Nachdem das Gelände zunächst für einige Jahre ungenutzt blieb, wurde der Jugend in der leerstehenden Halle ab 1997 ein „Funpark“, eine Anlage für Skateboarder bzw. Inlineskater, zur Verfügung gestellt. Die Städte Mistelbach und Laa an der Thaya teilten sich die Skater-Anlage und während selbige im Frühjahr und Sommer in Laa im Freien genutzt wurde, war sie während der Monate Oktober bis März in der erwähnten Halle aufgebaut.17 2001 wurde die Halle abgetragen und seither wird das Grundstück als öffentlicher Parkplatz genutzt.18

Ansicht der Stadt in Richtung Westen 1908/1909 - rechts im Vordergrund ist eine große Freifläche erkennbar (siehe rote Markierung) und diese Wiese war als "Rollerplatz" bekannt. Allerdings umfasste der "Rollerplatz" nicht die gesamte freie Fläche, denn auf dieser wurde wenig später auch der untere Teil der Bruderhofgasse errichtet.Ansicht der Stadt in Richtung Westen 1908/1909 – rechts im Vordergrund ist eine große Freifläche erkennbar (siehe rote Markierung) und diese Wiese war als „Rollerplatz“ bekannt. Allerdings umfasste der „Rollerplatz“ nicht die gesamte freie Fläche, denn auf dieser wurde wenig später auch der untere Teil der Bruderhofgasse errichtet.

Der "Rollerplatz" Mistelsteig/Bruderhofgasse im Jahr 1938, vermutlich bei einem Schaureiten der berittenen SA. Im Hintergrund ist das Rathaus erkennbarDer „Rollerplatz“ Mistelsteig/Bruderhofgasse im Jahr 1938, vermutlich bei einem Schaureiten der berittenen SA bzw. des Nationalsozialistischen Reiterkorps. Im Hintergrund ist das Rathaus erkennbar

Wo befindet sich der Rollerweg?

 

Bildnachweise:
-) Rollerweg 1945 (Aquarell) und Tempes 1963: Göstl-Archiv
-) Rollerplatz 1938: Fotosammlung Frau Rehrmbacher
-) Rollerplatz 1908/09: aus der Sammlung von Herrn Gerhard Lichtl, digitalisiert von Otmar Biringer
-) Portrait Felix Roller: Beilage 50 Jahre Weinhandlung Roller zum Mistelbacher Bote 1935 im Stadtmuseumsarchiv

Quellen:

  1. Bote aus Mistelbach, Nr. 15/1906, S. 5 – Protkoll über die Ausschußsitzung vom 7.4.1906
  2. Volksbote, Nr. 21. Juni 1906, S. 10 – Mistelbacher Gemeindeausschußssitzung vom 9. Juni 1906 (ONB: ANNO);
    Bote aus Mistelbach, Nr. 24/1906, S. 4
  3. historisches Grundbuchsblatt Einlagezahl: 7 und 8 (Mistelbach) im Niederösterreichischen Landesarchiv (Außenstelle Bad Pirawarth)
    Anm.: der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass Roller das Haus Oberhoferstr. 4 im September 1914 zunächst gemeinsam mit dem damals bereits im Immobiliengeschäft tätigen Johann Burgmann als Hälfteeigentumer erworben hat. Doch schon im Jahr darauf ging das Eigentum an Burgmanns Hälfte bereits in den Besitz von Rollers Gattin über
  4. Mistelbacher Bote, Nr. 45/1914, S. 6f – Verhandlungsschrift über die öffentliche Ausschußsitzung vom 27. Oktober 1914
  5. Höfler, Ida Olga: Die jüdischen Gemeinden im Weinviertel und ihre rituellen Einrichtungen 1848-1938/45 – der politische Bezirk Mistelbach, Band II, S. 466f
  6. Leithner, Johann: „Über unsere Straßennamen und deren Bedeutung“ In: Exl, Mag. Engelbert: 125 Jahre Stadt Mistelbach – Ein Lesebuch (1999), S. 253 (hier wird fälschlicherweise erwähnt, dass die Grundüberlassung erst nach dem Tode von Felix Roller durch dessen Bruder Franz Roller erfolgt sei)
  7. Mistelbacher Bote, Nr. 34/1957, S. 3;
    Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 46/47, April/Mai 1958 – Bericht über die Gemeinderatssitzung vom 8.4.1958
  8. Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 99, April 1963 – Bericht über die Gemeinderatssitzung vom 21.3.1963
  9. Erzählung Elisabeth Biringer
  10. Weinviertler Nachrichten, Nr. 9/1965, S. 2
  11. Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 122, Dezember 1966 – Bericht über die Gemeinderatssitzung vom 16.12.1966
  12. Englisch, Alfred: Bewegung verändert (2013), S. 16
  13. Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 60/61, Juni/Juli 1959 – Bericht über die öffentliche Gemeinderatssitzung am 29. April 1959
  14. Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 84/85, Juni/Juli 1961 – Bericht über die öffentliche Gemeinderatssitzung am 16. Juni 1961
  15. Jahrbuch für den Bezirk Mistelbach 1992, S. 108
  16. Mistelbacher Rundschau – Juli 1994 (21. Jg. – Nr. 4), S. 3 (ohne Seitennummerierung)
  17. Mistelbacher Gemeindezeitung 11/1997, S. 13;
    ÖVP-Fraktion Mistelbach (Hrsg.): Bilanzbuch Bgm. Ing. Christian Resch (2000), S. 39f;
  18. Mistelbacher Gemeindezeitung 6/2001, S. 34;
    Mistelbacher Gemeindezeitung, 1/2002, S. 20
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