Mistelbacher Notgeld

In Österreich-Ungarn war die Krone seit 1892 das gesetzliche Zahlungsmittel und eine Krone setzte sich aus 100 Heller zusammen. In Folge der Auflösung der Monarchie blieb die Kronenwährung nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen Nachfolgestaaten zunächst weiter in Verwendung. In der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg herrschte ein großer Mangel an Kleingeld, der mehrere Ursachen hatte:
-) während des Krieges waren alle verfügbaren Metalle in der Rüstungsindustrie verwendet worden, weshalb während des Krieges kein neues Kleingeld (Hellermünzen) geprägt wurde. Nachdem jedoch gerade beim Kleingeld ein hoher Verschleiß bzw. Verlust auftritt, lag grundsätzlich eine Unterversorgung mit Hartgeld vor.
-) in der bald nach Kriegsende einsetzenden Inflation überstieg der Materialwert der Münzen bald ihren Nominalwert, was ebenso dafür sorgte, dass diese kaum mehr in Umlauf waren
-) Wie oben bereits erwähnt blieb die Kronenwährung zunächst Zahlungsmittel in allen Nachfolgestaaten der Monarchie. Die Banknoten wurden durch Abstempeln markiert, sodass diese nur mehr in den jeweiligen Ländern Gültigkeit hatten. Bei den Münzen, war eine entsprechende Markierung nicht so einfach möglich, sodass diese zunächst weiterhin in verschiedenen Ländern Gültigkeit hatten. Nachdem sich der Wert der landesspezfischen Kronenwährungen schon bald sehr unterschiedlich entwickelte, führte dies natürlich dazu, dass das Kleingeld teils in andere Länder abfloss, etwa in jene in denen es einen höhere Kaufkraft aufwies.

Um den Kleingeldmangel, der insbesondere den Handel vor ernstzunehmende Probleme stellte zu bekämpfen, kamen einige Landeshauptstädte 1919 auf die Idee „Kassenscheine“ im Werte von 10- und 20-Heller herauszugeben, die gegen Kronen ein- und auch wieder retourgetauscht werden konnten.1 Die Idee breitete sich bald auch im Rest Österreichs aus, doch zeitigte sie nicht den gewünschten Erfolg. Denn die Ausgabe des Notgelds rief Sammler auf den Plan, die dieses ähnlich den Briefmarken mit Begeisterung sammelten und ob der begrenzten Stückzahlen und der Regionalität eine Wertsteigerung erwarteten. Somit wurde auch das Ersatzgeld dem Wirtschaftskreislauf entzogen, doch wurde seitens der Gemeinden bald erkannt, dass sich durch die Ausgabe von am besten möglichst künstlerisch gestalteten Scheinen Geld für die Gemeindekasse lukrieren lässt.2 Hunderte Gemeinden gaben in der Folge Notgeldscheine heraus und verkauften diese mit Aufschlag an die Sammler, und durch die zeitlich begrenzte Gültigkeit mussten die Scheine in aller Regel nicht wieder retourgetauscht werden. Aufgrund ihres geringen Nominalwertes hätten diese mit der zu Beginn der 1920er Jahre einsetzenden Hyperinflation jedoch ohnedies ihren Wert verloren. Das Ersatzgeld war ein sehr gutes Geschäft, und sobald eine Gemeinde Notgeld ausgab und darüber in den Zeitungen berichtet wurde, gingen zahlreiche Bestellungen von Sammlern bzw. Zwischenhändlern im Gemeindeamt ein. Es kam sogar soweit, dass viele Zeitungen sich weigerten im Nachrichtenteil darüber zu berichten, wenn Gemeinden Notgeld einführten, sofern sie nicht eine Vergütung dafür erhielten.3 Diese Sammelmanie und das Geld das dabei im Spiel war öffnete natürlich Tür und Tor für Betrügereien aller Arten und die Landesregierungen bzw. der Fiskus sah sich gezwungen diesem Gelddrucken der Gemeinden einen Riegel vorzuschieben. Ein Nachteil des Gemeinde-Notgelds war natürlich, dass mit diesem abseits von Sammlergeschäften, nicht gemeindeübergreifend gehandelt werden konnte. Zum Teil gab es daher auch Notgeld, das von den Bundesländern herausgegeben wurde, und teils parallel zum Gemeinde-Notgeld in Umlauf war bzw. dieses ersetzte.

Auf dem Höhepunkt des Notgeld-Hypes sprang auch die Stadt Mistelbach auf diesen Trend auf, und gab im Frühsommer 1920 ihr Notgeld in Form von Scheinen zu 10-, 20- und 50-Heller heraus, deren Gültigkeit bereits mit Ablauf des Jahres 1920 endete. Die am 12. Juni 1920 erstmalig ausgegebenen4 Notgeldscheine wurden vom akademischen Maler Josef Zlatuschka aus Wien gestaltet und wurden von der gleichfalls in Wien ansässigen Druckerei Waldheim-Eberle & Co. hergestellt. Schon in der Berichterstattung des Mistelbacher Bote über die Herausgabe des Ersatzgeldes wird explizit deren künstlerisch gelungene Gestaltung gerühmt und erwähnt, dass die Scheine von Sammlern bereits heiß begehrt würden.5 Es darf daher angenommen werden, dass damit hauptsächlich Sammler angesprochen werden sollten und die Scheine im Wirtschaftsleben der Stadt kaum eine Rolle spielten.6 Die Mistelbacher Notgeldscheine erschienen in drei augenscheinlich zeitgleich herausgegebenen Serien (A, B und C), die abgesehen vom jeweiligen Serien-Buchstaben und einer unterschiedlichen Farbgebung (A: violett, B: orange, C: grün) exakt gleich ausgestaltet sind. Die Notgeldscheine wurden in großer Auflage gedruckt und mehr als hundert Jahre nach ihrer Ausgabe existieren noch zahlreiche Exemplare davon, sodass sie selbst unter Sammlern keinen großen Wert aufweisen.

Nachfolgend Abbildungen eines vollständigen Satzes der Notgeldscheine der Serie A:

Der 10-Heller-Schein zeigt ein bekanntes Motiv: den Blick auf die Pfarrkirche durch die Kirchengasse. Auch die Unterschrift von Bürgermeister Josef Dunkl jun. und Vizebürgermeister Johann Kocholl findet sich auf der Vorderseite jedes ScheinsDer 10-Heller-Schein zeigt ein bekanntes Motiv: den Blick auf die Pfarrkirche durch die Kirchengasse. Auch die Unterschriften von Bürgermeister Josef Dunkl jun. und Vizebürgermeister Johann Kocholl findet sich auf der Vorderseite jedes Scheins

Die Rückseite aller Notgeldscheine zeigte einen Blick über die Stadt aus westlicher RichtungDie Rückseite aller Notgeldscheine zeigt einen Blick über die Stadt aus westlicher Richtung

 

Der 20-Heller-Schein zeigt die Pestsäule ("Totenleuchte") an ihrem damaligen Standort auf dem Kirchenberg ("Franz Josefs-Höhe"), während sie sich nun seit dem Jahre 1985 auf dem Europaplatz vor der Polytechnischen Schule befindetDer 20-Heller-Schein zeigt die Pestsäule („Totenleuchte“) an ihrem damaligen Standort auf dem Kirchenberg („Franz Josefs-Höhe“), während sie sich nun seit dem Jahre 1985 auf dem Europaplatz vor der Polytechnischen Schule befindet

Außerdem findet sich auf der Rückseite der Scheine das Wappen der Stadt Mistelbach. Allerdings in einer etwas eigenwilligen Interpretation: die Mistelpflanze scheint etwas überdimensioniert und der Ast aus dem die Mistel wächst fehlt in der DarstellungAußerdem findet sich auf der Rückseite der Scheine das Wappen der Stadt Mistelbach. Allerdings in einer etwas eigenwilligen Interpretation: die Mistelpflanze scheint etwas überdimensioniert und der Ast aus dem die Mistel wächst fehlt in der Darstellung

 

Der 50-Heller-Schein zeigt die Mariensäule an ihrem alten Standort vor dem Notspital im Kreuzungsbereich Neustiftgasse/Hochgasse/Kellergasse. In den 1950er Jahren wurde die Mariensäule an ihren heutigen Standort am Marienplatz versetzt, und stattdessen die sogenannte Adventsäule aufgestelltDer 50-Heller-Schein zeigt die Mariensäule an ihrem alten Standort vor dem Notspital im Kreuzungsbereich Neustiftgasse/Hochgasse/Kellergasse. In den 1950er Jahren wurde die Mariensäule an ihren heutigen Standort am Marienplatz versetzt, und stattdessen die sogenannte Adventsäule aufgestellt

Weiters finden sich auf der Rückseite aller Scheine zwei für die Geschichte der Stadt wichtige Ereignisse vermerkt: die Erbauung der Spitalskirche St. Elisabeth durch die Herren von Mistelbach, die allerdings nicht wie man damals annahm 1016, sondern erst 1316 erfolgte, sowie die Stadterhebung durch Kaiser Franz Joseph I im Jahre 1874Weiters finden sich auf der Rückseite aller Scheine zwei für die Geschichte der Stadt wichtige Ereignisse vermerkt: die Erbauung der Spitalskirche St. Elisabeth durch die Herren von Mistelbach, die allerdings nicht wie man damals annahm 1016, sondern erst 1316 erfolgte, sowie die Stadterhebung durch Kaiser Franz Joseph I im Jahre 1874

Um die unterschiedliche Farbgebung zu veranschaulichen, sind nachfolgend als Beispiel auch die 10-Heller-Scheine der Serien B und C abgebildet.

 

Bildnachweis:
-) Notgeldscheine aus der Sammlung von Thomas Kruspel

Quellen:

  1. Wiener Allgemeine Zeitung, 30. September 1919 (Nr. 12431), S. 4 (ONB: ANNO)
  2. beispielsweise: Der Morgen am Montag, 19. Juli 1920 (11. Jg. – Nr. 29), S. 3 (ONB: ANNO);
    Salzburger Chronik, 16. September 1920 (56. Jg. – Nr. 211), S. 2 (ONB: ANNO);
    Volksblatt für Stadt und Land, 23. Mai 1920 (51. Jg. – Nr. 21), S. 3 (ONB: ANNO)
  3. beispielsweise: St. Pöltner Zeitung, 17. Juni 1920 (60. Jg. – Nr. 25), S. 2 (ONB: ANNO);
    Ybbstal-Zeitung, 8. Mai 1920 (9. Jg. – Nr. 19), S. 6 (ONB: ANNO)
  4. Bayer, Franz/Spreitzer, Hans: „Mistelbacher Chronik 1914-1964“ (1964) In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band I, S. 140;
    falsch nämlich mit 12. Mai 1920 wird das Datum der Ausgabe bei Exl, Mag. Engelbert (Hrsg.): 125 Jahre Stadt Mistelbach – Ein Lesebuch (1999), S. 78 angegeben
  5. Mistelbacher Bote, Nr. 25/1920, S. 2 (ONB: ANNO)
  6. als Beispiel, dass auch andernorts das Hauptmotiv für die Herausgabe der dabei für die Gemeinde erzielbare Gewinnn war: Mühlviertler Nachrichten, 1. Mai 1920, S. 3 (ONB: ANNO)
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