Kolpingstraße

Adolph Kolping wurde 1813 in Kerpen bei Köln geboren und aus einfachen Verhältnissen stammend erlernte er zunächst den Beruf des Schuhmachers. Erst später ermöglichten ihm Gönner ein Studium und damit eine Laufbahn als Geistlicher. Aufgrund seiner eigenen Biografie wusste er um die furchtbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in denen die einfachen Handwerker und die Arbeiter in den ab Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Fabriken leben mussten. Nach Abschluss ihrer Ausbildung gingen die Gesellen damals für längere Zeit auf Wanderschaft, die einen festen Bestandteil des Werdegangs eines Handwerkers bildete, und auch Kolping machte diese Erfahrung. Fernab von Familie und Freunden in der Fremde hatten es die jungen Handwerker besonders schwer leistbare und adequate Unterkunft sowie sozialen Anschluss zu finden. Nach seiner Priesterweihe 1845 kam Kolping als Kaplan nach Elberfeld (heute ein Ortsteil von Wuppertal) und hier wurde er im von einem seiner Priesterkollegen kurz zuvor gegründeten Gesellenverein aktiv. Er erkannte, dass ein solcher Verein den jungen Männern Unterkunft und Gemeinschaft bieten konnte und als er einige Jahre später nach Köln berufen wurde, gründete er dort seinen ersten „Katholischen Gesellenverein“, und es gelang ihm kurze Zeit später dank zahlreicher Spenden ein sogenanntes Gesellenhospiz zu eröffnen. Dieses Haus sollte nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern darüber hinaus familiären und geistlichen Rückhalt bieten. Er setzte sich mit großem Erfolg für die Gründung von Gesellenvereinen im deutschen Sprachraum ein und die Idee verbreitete sich rasch und hatte hunderte Vereinsgründungen zur Folge. Das Ziel jungen Menschen außerhalb ihres Elternhauses eine Art Ersatzfamilie zu bieten und ihre Entwicklung zu fördern, war und ist bis heute eine Hauptaufgabe der Kolpingbewegung und dies äußert sich auch in der Bezeichnung Kolpingsfamilie – so heißen die Gemeinschaften aus hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern vor Ort – und dem früher üblichen Namen Kolpingsöhne für die dort lebenden Handwerksburschen. Passend dazu wurde Kolping als „Gesellenvater“ bekannt und gilt als einer jener katholischen Geistlichen, die sich früh mit der „sozialen Frage“ auseinandersetzten. Kolpings Idee wirkt weit über seinen frühen Tod im Jahre 1865 hinaus bis heute und die von ihm begründete Bewegung – auch Kolpingwerk genannt – ist mittlerweile in einer Vielzahl von Bereichen im Sozialwesen aktiv und zählt zu den größten christlichen Sozialverbänden.

1894 wurde auch in Mistelbach ein katholischer Gesellenverein nach dem Vorbilde Kolpings gegründet1, dessen zeitweiliger Präses („geistlicher Begleiter“) der Barnabitenpater Don Clemens Czacha war2. Die Gründung des Gesellenvereins ist wohl auch als Reaktion auf die wenige Wochen zuvor erfolgte Gründung eines sozialdemokratischen Arbeitervereins in Mistelbach zu verstehen. Der Gesellenverein dürfte jedoch bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wieder erloschen sein3, und aufgrund dieser Kurzlebigkeit hatte er auch kein eigenes Heim. Der von einem Laien initiierte Versuch einer Neugründung im Jahr 1920 misslang4, sodass das Kolpingwerk in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Mistelbach nicht mehr in Erscheinung trat.

1954 sollte sich schließlich Gelegenheit für einen Neustart ergeben, als der damalige Bürgermeister Franz Bayer seinen ehemaligen Schulkollegen aus dem Hollabrunner Knabenseminar und damaligen Zentralpräses des Kolpingwerks Josef Gegenbauer traf und mit ihm die Möglichkeit der Errichtung eines Kolpinghauses für Lehrlinge und Gesellen in Mistelbach besprach. Der die Pfarre Mistelbach innehabende Salvatorianerorden stellte den Baugrund zu Verfügung und es bildete sich ein Kreis von alten Kolpingsöhnen, unter der Führung des Mistelbacher Sattlermeister Georg Göstl sen. – Vater des späteren Stadtrates Georg Göstl – der bereits 1920 erfolglos versucht hatte die Gründung eines Gesellenvereins zu initiieren. Diese Gemeinschaft bildete die Basis für die Kolpingsfamilie Mistelbach und das Amt des Präses, also des geistlichen Leiters, übernahm der damalige Kaplan und spätere Stadtpfarrer Pater Volkmar Kraus. Bereits am 8. September 1955 konnte die feierliche Grundsteinlegung erfolgen5, doch stand das Projekt zwischenzeitlich aus finanziellen Gründen immer wieder kurz vor dem Scheitern, und Pater Volkmar bat in seinen Gebeten um die Fürbitte des Gründers der Salvatorianer, Franziskus Maria vom Kreuze Jordan, der in seiner Jugend selbst Kolpingsohn gewesen war. Schon das Datum für die Grundsteinlegung wurde aus Dankbarkeit auf den Todestag des Ordensgründers gelegt und das Haus erhielt schließlich auch den Namen „Kolpinghaus Pater Jordan“.6 Der Grund auf dem das Kolpinghaus errichtet wurde befand sich seit Jahrhunderten im Besitz der Mistelbacher Pfarre, und die Barnabiten, die die Pfarre vor den Savlatorianern innehatten, betrieben hier einstmals eine Lehmgrube samt Ziegelofen. Das Gebäude wurde am oberen Ende dieses weitläufigen Areals errichtet, dass schon seit einigen Jahren den kirchennahen Jugendvereinen (Pfadfinder, Basketballer der UKJ, etc.) als Sport- und Spielplatz diente.

Die Segnung des Grundsteins durch Prälat Jakob Fried am 8. September 1955Die Segnung des Grundsteins durch Prälat Jakob Fried am 8. September 1955

Der Rohbau konnte bereits vor dem Winter 1955/56 fertiggestellt werdenDer Rohbau konnte bereits vor dem Winter 1955/56 fertiggestellt werden

Zur Veranschaulichung was unter einem Kolpinghaus zu verstehen ist bzw. wie das Kolpingwerk seine Einrichtungen selbst sah, nachstehend eine aus den 1950er Jahren stammende Beschreibung aus dem Kolpingsblatt, dem Organ des österreichischen Kolpingwerks:
„Was ist ein Kolpinghaus?
Es ist kein Internat – dort herrscht das Schema.
Es ist keine Kaserne – dort herrscht das Kommando.
Es ist keine Erziehungsanstalt – dort ist jeder Zögling ein pyschologisch interessanter Fall.
Es ist keine Stätte – wo man nur schläft.
Es ist kein Hotel – wo man nur zahlt.
Das Kolpinghaus ist das Vaterhaus in der Fremde

Zunächst schritten die Bauarbeiten rasch voran und schon im Herbst 1955 konnte der Rohbau fertiggestellt werden, allerdings gab es dann Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Baustahl und Dachziegeln, die zu erheblichen Verzögerungen führten. Außerdem war das Vorhaben zu Baubeginn keineswegs ausfinanziert und so konnte der Baufortschritt nur nach Maßgabe der vorhandenen finanziellen Mittel erfolgen. Schließlich konnten sämtliche Arbeiten im Frühjahr 1957 abgeschlossen werden und die Eröffnung und Einweihung des „Kolpinghauses Pater Jordan“ erfolgte am 1. Mai 1957 durch Erzbischof Dr. Franz König und im Beisein von Bundeskanzler Julius Raab – einem großen Förderer des Kolpingwerks. Das Kolpinghaus umfasste folgende Einrichtungen: 7 Vier-Bett-Zimmer und 4 Drei-Bett-Zimmer im Obergeschoß sowie einen Gemeinschaftswaschraum; im Erdgeschoß: Gemeinschaftsräume, das Büro des Präses und die Wohnung des Heimleiters. Im (Halb-)Kellergeschoß: Küche, Speisesaal, Waschküche und sonstige Wirtschaftsräume. Außerdem war im Keller ein Raum für die Pfadfinder untergebracht, der über einen gesonderten Eingang verfügte. Darüber hinaus verfügte das Kolpinghaus über einen Balkon, einen Garten samt Terrasse und bot Raum zu sportlicher Betätigung auf dem direkt daneben befindlichen Spiel- und Sportplatz der Pfarre („alter Pfadfinderplatz“).7 Das Gebäude wurde nach Plänen von Dr. Viktor Kraft, der auch durch zahlreiche andere von ihm entworfene Bauwerke bis heute das Stadtbild prägt, durch Baumeister Ing. Geyer erbaut.

Die treibende Kraft hinter dem Kolpinghausbau, der spätere Stadtpfarrer P. Volkmar Kraus gemeinsam mit Herrn Burisch auf der BaustelleEtwa 1957: Die treibende Kraft hinter der Errichtung des Kolpinghauses: der spätere Stadtpfarrer P. Volkmar Kraus gemeinsam mit Polier Karl Burisch auf der BaustelleEtwa 1957: Die treibende Kraft hinter der Errichtung des Kolpinghauses: der spätere Stadtpfarrer P. Volkmar Kraus gemeinsam mit Polier Karl Burisch auf der Baustelle

 

Das Kolpinghaus (Ostseite, sportplatzseitig) in der Pater Helde-Straße Nr. 10 im Jahr seiner Fertigstellung 1957Das Kolpinghaus (Ostseite, sportplatzseitig) in der Pater Helde-Straße Nr. 10 im Jahr seiner Fertigstellung 1957

Zunächst stand das Kolpinghaus hier noch allein auf weiter Flur, doch kurz nach seiner Fertigstellung begann in der Umgebung reger Siedlungsbau (zuerst „KOSMOS“-Siedlung und weitere folgten) und im Zuge der hierfür notwendigen Parzellierung und Errichtung von Straßen erhielt das Kolpinghaus die Adresse Pater Helde-Straße Nr. 10. Somit erinnert nicht nur der Name des Hauses an den Gründer des Salvatorianerordens, sondern auch in der Adresse findet sich der Name eines weiteren Salvatorianers und zwar des in Mistelbach von russischen Soldaten getöteten P. Titus Helde. In erster Linie diente das Kolpinghaus zur Unterbringung von Lehrlingen aus der Umgebung, während sie die Gewerbeschule (Vorläufer der Berufsschule) in Mistelbach besuchten, bzw. bot es auch jenen auswärtigen Lehrlingen und Gesellen Unterkunft, die in Mistelbach ihre Lehre absolvierten bzw. arbeiteten. Erst Anfang 1966 sollte ein eigenes Internat für die Schüler der Berufsschule unweit des Kolpinghauses errichtet werden und dies brachte mit sich, dass statt Lehrlingen und Gesellen vermehrt Schüler hier Quartier fanden. Schließlich war es Mistelbach nach jahrelangem Ringen gelungen mit der 1963 erfolgten Eröffnung des musisch-pädagogischen Realgymnasiums (heute BORG) endlich Standort einer höheren Schule zu werden und dies war erst der Beginn der Entwicklung Mistelbachs zur Schulstadt. Den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragend öffnete sich das Kolpingwerk, dessen Angebote sich bis in die 1960er Jahre ausschließlich an junge Burschen und Männer richtete, nun auch für Mädchen und Frauen und überhaupt erweiterte sich der Wirkungskreis des Kolpingwerks in den folgenden Jahrzehnten auch in andere Bereiche im Sozialwesen.

Eine neue Rolle erhielt das Kolpinghaus 1970 als mit dem Schuljahr 1970/71 in Mistelbach die Bundesbildungsanstalt für Kindergärtnerinnen mit zwei Jahrgängen in ihr erstes Schuljahr startete und es erstmals auch Schülerinnen als Quartier offen stand. Das Bundesschulzentrum wurde erst Jahre später 1978 geschaffen und bis dahin war die neue Schule im Gebäude der ehemaligen Badeanstalt im Stadtpark untergebracht. Dieses Gebäude, dass zuvor bereits von der Volksschule aufgrund der herrschenden Raumnot als eines von mehreren Ausweichquartieren genutzt wurde (der Volksschulneubau in der Bahnzeile wurde erst 1971 eröffnet) hatte den Namen „Parkschule“. Nachdem das Kolpingheim schon zuvor einige Volksschulklassen beheimatete8 wurden in weiterer Folge auch Klassen der Kindergärtnerinnenschule hier untergebracht und darüber hinaus, sollte es als Internat für die Schülerinnen dieser Anstalt, die aus dem gesamten östlichen Weinviertel kamen, dienen.9

1978 Eröffnung eines zweiten Kolpinghauses als Mädchen-Familienwohnheim in der Pater Helde-Straße Nr. 171978: Eröffnung eines zweiten Kolpinghauses als Mädchen-Familienwohnheim in der Pater Helde-Straße Nr. 17

Zusätzlich zu den oben bereits erwähnten Schulen wurde in Mistelbach 1976 auch eine Handelsakademie und -schule eröffnet und der Bedarf an Internatsplätzen, insbesondere für Mädchen stieg. Diesem Umstand Rechnung tragend wurde 1976 mit dem Bau eines Mädchen-Familienwohnheims des Kolpingwerks nahe dem Bundesschulzentrum und unweit des ersten Kolpinghauses an der Adresse Pater Helde-Straße Nr. 17 begonnen. Die Weihe im Rahmen der Eröffnung dieser zweiten Kolpingeinrichtung in Mistelbach nahm Erzbischof Koadjutor Dr. Franz Jachym am 9. Juni 1978 im Beisein zahlreicher Vertreter aus Politik sowie aus dem Bildungsministerium vor. Altbürgermeister Franz Bayer, der Initiator des ersten Kolpinghauses in Mistelbach, erhielt im Rahmen der Eröffnungsfeier das goldene Ehrenzeichen des Kolpingwerks Niederösterreich. Das Mädchen-Familienwohnheim bot Platz für 80 Mädchen, die in Gruppen zu je 20 mit einer Heimleiterin gemeinsam lebten. Ziel dieser Aufteilung in kleine Gruppen und der zahlreich vorhandenen Gemeinschaftseinrichtungen war es nicht nur ein Wohnheim, sondern ein „Familienheim“ zu bieten.10 Das Gebäude wurde nach den Plänen von Prof. Kajaba durch die Baufirma Menzel ausgeführt.11 Nachdem diese Einrichtung anfänglich ausschließlich Mädchen aufnahm, steht das nunmehrige „Kolpinghaus für SchülerInnen Mistelbach“ bereits seit eigenen Jahren beiden Geschlechtern offen.

Nachdem die Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen ab 1976 im neuen Bundesschulzentrum untergebracht war und das neue Mädchen-Familienwohnheim bereits seit Ostern 1978 bezugsfertig war, zog mit Beginn des Schuljahres 1978/79 die neun Jahre zuvor als selbstständige Schule gegründete und aufgrund der herrschenden Raumnot bisher auf mehrere Standorte verteilte Allgemeine Sonderschule Mistelbach mit sieben Klassen in das zweckmäßig umgebaute Kolpinghaus in der Pater Helde-Straße Nr. 10 ein.12 Nach Fertigstellung der umfassenden Umbauten an den Schulgebäuden in der Thomas Freund-Gasse im Jahre 1990 übersiedelte die Sonderschule in das neue Pflichtschulzentrum. Die Räumlichkeiten im ersten Kolpinghaus übernahm mit dem „VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche“, ein privater, gemeinnütziger Verein, der dort ein Ambulatorium für Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen einrichtete und betrieb. 25 Jahre war das VKKJ-Ambulatorium hier ansässig ehe diese Einrichtung 2017 in ein neu erbautes Gebäude in der Andreas Schreiber-Straße übersiedelte. Seither werden die Räumlichkeiten wieder von Kolping genutzt und zwar im Rahmen des „fit4job“-Projekts, dass jungen Menschen mit sonderpädagogischen Förderbedarf beim Berufseinstieg helfen soll.

Die Westseite des Kolpinghauses im Jahre 1979 als darin die Allgemeine Sonderschule Mistelbach untergebracht warDie Westseite des Kolpinghauses im Jahre 1979 als darin die Allgemeine Sonderschule Mistelbach untergebracht war

Nach zweijähriger Bauzeit konnte am 14. April 2000 schließlich die dritte Kolpingeinrichtung – ein Wohnhaus samt Werkstätte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen – im Beisein der Landeshauptmannstellvertreterin Liese Prokop feierlich eröffnet werden. Auch diese dritte Einrichtung befindet sich in der Pater Helde-Straße und zwar unter Hausnummer 21. Als Patin dieser Einrichtung fungierte Frau Hannelore Freibauer, die Gattin des vormaligen Mistelbacher Bürgermeisters und damaligen Präsidenten des niederösterreichischen Landtags Mag. Edmund Freibauer. Die Einrichtung bot ab ihrer Eröffnung 50 Personen einen geschützten Arbeitsplatz und drei Wohngemeinschaften für je 10 Personen sowie zwei Schwerstbehindertengruppen für je 6 Personen.13 Darüber hinaus bietet Kolping Österreich von Gewalt bedrohten Frauen seit 1991 auch in Mistelbach in Form eines Frauenhauses einen Ort der Zuflucht an.

Die im Jahr 2000 eröffnete, jüngste Kolpingeinrichtung in Mistelbach: Wohnhaus und Werkstätte für Menschen mit besonderen BedürfnissenDie im Jahr 2000 eröffnete, jüngste Kolpingeinrichtung in Mistelbach: Wohnhaus und Werkstätte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Darüber hinaus bietet Kolping von häuslicher Gewalt bedrohten Frauen und Kindern seit 1991 auch in Mistelbach in Form eines Frauenhauses einen Ort der Zuflucht. 2015 wurde ein neues Siedlungsgebiet beim Elisabethweg aufgeschlossen, das unmittelbar an die jüngste der drei Kolpingeinrichtungen angrenzte. Daher beschloss der Mistelbacher Gemeinderat in der Sitzung vom 1. Juli 2015 eine dort neu geschaffene Straße zum Gedenken an den Begründer dieser Sozialorganisation Kolpingstraße zu benennen.

Wo befindet sich die Kolpingstraße?

 

Bildnachweis:
-) P. Volkmar Kraus auf der Baustelle des Kolpinghauses: Stadt-Museumsarchiv
-) Bilder Grundsteinlegung, Rohbau und Kolpinghaus im Jahre 1957: Österreichisches Kolpingsblatt, Nr. 5/6 (Mai/Juni) 1957, S. 4-5
-) Foto Kolpinghaus 1979: Göstl-Archiv
-) Bild Mädchen-Familienwohnheim: Mitteilungen der Stadtgemeinde Mistelbach, Folge 206 – Juli 1978, Bildbogen
-) Kolping Wohnheim und Werkstätte: Thomas Kruspel, 2023

Quellen:

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Raue Sitten am Lanzendorfer Kirtag

Schon seit einigen Jahren gibt es in Mistelbach keinen Kirtag mehr und an dessen Stelle ist nunmehr das Stadtfest getreten in das die Tradition des „Ladumtragens“, das alle zwei Jahre im Zuge des Hauerkirtags stattfand, integriert wurde. Schon viele Jahrzehnte zuvor endete die Kirtagstradition in Lanzendorf und in der Großgemeinde Mistelbach wird einzig in Hörersdorf die Tradition des Kirtags und zwar in der überlieferten Form des Burschenkirtags noch hochgehalten. Das Wort „Kirtag“ ist eine mundartliche Verkürzung des Wortes „Kirchtag“, also des Kirchweihfests, dass jährlich rund um den Tag der Weihe der Ortskirche abehalten wurde. Der Kirtag war das größte Fest im Jahresverlauf und es wurde Sonntag und Montag ausgelassen gefeiert, wobei die Feierlichkeiten zumeist am darauffolgenden Sonntag mit einem „Nachkirtag“ ausklangen. Weniger vom religiösen Hintergrund des Fests bzw. vom Geist der christlichen Nächstenliebe geprägt war hingegen die früher weit verbreitete „Tradition“ exzessiver Raufereien bei Kirtagen. Der Ausspruch „Ausghalt’n die Paasdorfer tanzen“ ist jedenfalls schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt und verweist darauf, dass die Paasdorfer auch beim Besuch auswärtiger Kirtage auf eigens nur für sie gespielte Tänze bestanden und diesen Anspruch gegebenenfalls auch handfest durchzusetzen wussten. Schon in einem Bericht im „Bote aus Mistelbach“ über eine Schlägerei im Rahmen einer Tanzveranstaltung im Jahre 1898 meinte der Berichterstatter unter Bezug auf das obenstehende geflügelte Wort, dass es wohl besser „Ausghalt’n die Paasdorfer raufen“ heißen sollte, da die Paasdorfer passionierte Raufbolde seien, bei denen solche Auseinandersetzung selten ohne schwere Verletzungen bzw. eine Messerstecherei ausgehen würde.1 Das Tanzen war bei den spärlichen Festtagen im Jahr, die Anlass dazu boten, eine der wenigen gesellschaftlich institutionalisierten und akzeptierten Annäherungsmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern und dies erklärt auch, weshalb den Burschen das Vorrecht auf bestimmte Tänze derart wichtig war. Der Besuch der Kirtage der umliegenden Orte war damals üblich und zwischen der männlichen Jugend aus der Umgebung und den ortsansässigen Burschen kam es häufig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Doch auch innerhalb größerer Orte kam es zu handfesten Konflikten zwischen der männlichen Jugend verschiedener Ortsteile, schließlich gab es früher auch in manchen der heutigen Katastralgemeinden zwei Gasthäuser, die eigene Kirtagsveranstaltungen feierten und bei denen die Jugend dieses Ortsteils natürlich das Heimrecht für sich beanspruchte. Diese „Kirtagstradition“ sollte nicht bloß als harmlose Rauferei unter erheblichem Alkoholeinfluss abgetan werden, dazu arteten diese Konflikt allzu oft zu Massenschlägereien mit schweren Verletzungen und bedeutendem Sachschaden aus. Von den Behörden und der Gendarmerie wurden die „Raufereien“ in der Regel jedoch geduldet. Dies änderte sich erst 1938 mit dem „Anschluss“ als deutsche Zucht und Ordnung auch in der nunmehrigen Ostmark Einzug hielten. Wenig später wurden die jungen Männer reihenweise an die Front geschickt, und damit hatten sich die Kirtagsraufereien ohnedies erübrigt. Natürlich gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Raufereien bei Kirtagsfesten, aber die „Tradition“ der Kirtagsrauferei wie sie vor dem Krieg gepflogen wurde und die daraus entstandenen Gewaltexzesse gab es in der Form glücklicherweise nicht mehr.

Im Jahre 1958 findet sich ein Artikel in der Mistelbacher-Laaer Zeitung, der über den schwachen Besuch des Lanzendorfer Kirtags und den im Vergleich zu früherer Zeit verhaltenen Bierkonsum in diesem Jahr klagte. 1958 wurde der Kirtag, der natürlich im Gemeindewirtshaus (1969 von der Fam. Schuster gekauft) stattfand, offenbar erstmalig von der Lanzendorfer Feuerwehr organisiert. Damit endete die Tradition des Burschenkirtags, bei der die Burschen eines Jahrgangs sich gemeinsam um die Organisation des Kirtags kümmerten, was durchaus mit einer finanziellen Vorschussleistung bzw. einem gewissen Risiko verbunden war. Dazu waren die Lanzendorfer Burschen 1958 augenscheinlich nicht mehr bereit bzw. dazu nicht in der Lage, weshalb die Feuerwehr diese Aufgabe übernahm. Der ungenannte Autor des Artikels in der Mistelbacher-Laaer Zeitung blickt nach diesem mäßig verlaufenen Kirtag, wehmütig zurück und berichtet über ein zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 80 Jahre zurückliegendes Ereignis2:

„Kommen die Kirtage mit der Zeit ab? Manche glauben es. Das, was es einmal war, wird es sicher nicht mehr. Auch Lanzendorf blickt auf eine große Vergangenheit zurück, wenn auch nicht immer alles in Ordnung war. Gerauft wurde nämlich dort ziemlich häufig und nicht einmal wurde dem jeweiligen Wirt die Einrichtung demoliert. Ganz arg scheint es 1876 (oder 1879) gewesen zu sein. Nach der mündlichen Überlieferung brach nach dem “Dreintanzen” in einem Extratanz eine Keilerei los, die immer größeren Umfang annahm. Während sich ein Teil im “Stellungskrieg” mit Flaschen und Gläsern beschoß, bildete sich auf der Tanzbühne ein unentwirrbarer Klumpen von Gegnern. Die Exekutive foderte die Mistelbacher Feuerwehr an, deren Strahl wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirkte und die schließlich abziehen musste, um nicht ebenfalls “gedroschen” zu werden. (Die heutige Mistelbacher Feuerwehr, die zu den besten des Landes gehört, wurde auf eine solche Verwendung hin noch nicht beurteilt.) Hierauf wurde eine Kompagnie Infanterie eingesetzt, die von Manövern in der Nähe Mistelbachs abkommandiert, im Eilmarsch herankam. Auch die Soldaten waren erfolglos. Die Rauferei, die etliche Verletzte und einen Toten im Gefolge hatte, wurde schließlich doch beendet und zwar durch die “Weiber”. Dem Vernehmen nach sind die Lanzendorfer Frauen korporativ ausgerückt, haben ihre Männer einzeln herausgefischt und “hamblatt’”.“

Bei der inhaltlichen Bewertung von Geschichten, die mündlich über einen längeren Zeitraum überliefert wurden, ist grundsätzlich Vorsicht angebracht. In größeren, überregionalen Zeitungen fand die beschriebene Gegebenheit jedenfalls keinen Niederschlag und erst 1881 erschien das erste Lokalblatt für Mistelbach (siehe Historische Mistelbacher Lokalzeitungen). Die Prüfung der Authentizität kann sich daher nur auf bestimmte nachprüfbare Fakten beschränken. Traditionell dürfte der Lanzendorfer Kirtag etwa in der ersten Augusthälfte stattgefunden haben3, und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kirtag (oder zumindest der Nachkirtag) auch zur Zeit des geschilderten Ereignisses etwa Mitte August stattfand. Tatsächlich fanden Ende August bzw. Anfang September 1876 große Manöver im Raum Nikolsburg statt, deren Aufmarschgebiet sich bis in unsere Gegend bzw. bis ins Marchfeld zog. Rund 50.000 Soldaten verschiedenster Waffengattungen übten großräumige Gefechte zwischen zwei Armeekorps, und sogar der Kaiser inspizierte die Manöver in der Gegend zwischen Zistersdorf und Schrick. Zeitweilig war die Führung des südlichen Armeekorps in Wilfersdorf bzw. Poysdorf untergebracht und in Mistelbach befand sich das Hauptdepot für die Verpflegung dieses Korps. Darüber hinaus waren Versorgungseinheiten auch in Wilfersdorf, Poysdorf und Staatz stationiert.4 Da für dieses große Manöver zweifellos einige Vorbereitungsarbeiten zu leisten waren und auch die Anreise dieser großen Anzahl an Truppeneinheiten bestimmt einige Tage in Anspruch nahm, ist jedenfalls anzunehmen, dass bereits Mitte August – und damit zum Zeitpunkt an dem für gewöhnlich der Lanzendorfer Kirtag gefeiert wurde – Truppenteile in Mistelbach und Umgebung anwesend waren. In einem anderen Punkt gibt es allerdings eine Unstimmigkeit, denn die Freiwillige Feuerwehr Mistelbach wurde erst 1879 gegründet und in diesem Jahr fanden keine Manöver in der Umgebung statt. Natürlich gab es auch schon vor der Gründung der Feuerwehr Feuerlöschrequisisten, darunter auch eine Spritze, die von der Gemeinde in einem Zeughaus gelagert wurden und im Brandfall waren alle Einwohner verpflichtet bei der Brandbekämpfung mitzuhelfen. In Lanzendorf gründete sich übrigens erst 1925 eine eigene Freiwillige Feuerwehr. Eine Recherche im Sterbebuch der Pfarre Mistelbach (zu der auch Lanzendorf gehört) brachte für das Jahr 1876 (bzw. 1879) keinen Beleg für einen gewaltsamen Tod im fraglichen Zeitraum. Möglicherweise stammte das Opfer aus einem anderen Ort und/oder erlag erst später seinen Verletzungen.

Wie nicht anders zu erwarten, lässt sich knapp 150 Jahre später durch Prüfung einzelner Fakten heute nicht mehr feststellen, ob sich die Geschichte tatsächlich wie geschildert ereignet hat oder ob sie im Laufe der Jahre „ausgeschmückt“ wurde. Teils klingt die Geschichte, dass weder der Einsatz von Feuerwehr und Militär die Lanzendorfer zur Räson zu bringen vermag, sondern nur die Furcht vor ihren Frauen, doch sehr anekdotenhaft.

Abschließend ein paar Fotos etwa aus dem Jahr 1951 als es in Lanzendorf noch einen von den Burschen der Ortschaft organisierten Kirtag gab:

Die Kirtagsburschen ziehen mit Musikbegleitung durch den Ort (1. Kirtagsbursch v. r.: Walter Kruspel)Die Kirtagsburschen ziehen mit Musikbegleitung durch den Ort (1. Kirtagsbursch v. r.: Walter Kruspel). Im Hintergrund die an der Lanzendorfer Hauptstraße gelegene alte Kapelle Mariahilf.

Mehrmals wurde beim Zug durch den Ort Halt gemacht um den Honoratioren des Ortes Reverenz zu erweisen und natürlich für Tanz …Mehrmals wurde beim Zug durch den Ort Halt gemacht um den Honoratioren des Ortes Reverenz zu erweisen und natürlich für Tanz …

... und zwecks Stärkung mit einem Glas Wein (der mittlere der drei Burschen Walter Kruspel)… und zwecks Stärkung mit einem Glas Wein (der mittlere der drei Burschen Walter Kruspel)

Bildnachweis:
zVg von Marianne Kruspel

Quellen:

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Barnabitenstraße

Nach einem rund drei Jahrzehnte währenden Rechtsstreit konnte der Barnabitenorden, die ihm von Kaiser Ferdinand II. geschenkte, zuvor landesfürstliche, Pfarre Mistelbach schließlich 1661 in Besitz nehmen.1 Bis 1923 und damit mehr als 260 Jahre hindurch waren die Barnabiten Inhaber der Pfarre und bleibendes Zeugnis ihrer Präsenz in Mistelbach ist das Ende des 17. Jahrhunderts erbaute Kollegsgebäude („Kloster“) am Fuße des Kirchenbergs. Ein gesonderter Blogbeitrag wird sich näher mit dem Wirken des Barnabitenordens in Mistelbach befassen. Vor der Errichtung des repräsentativen Kollegs befand sich an dieser Stelle, belegtermaßen seit Ende des 15. Jahrhunderts, der Pfarrhof und vor diesem einst ein weitläufiger Platz, der sich weit über den heutigen Marienplatz hinaus auch auf das rechtsseitige Mistelufer erstreckte.2

Laut Prof. Spreitzer umfasste dieser rechteckige Platz den Bereich zwischen der linken Häuserzeile der Wiedenstraße und der rechten Häuserzeile der Barnabitenstraße, beziehungsweise zwischen (altem) Pfarrhof und Oserstraße, die die Grenze zum angrenzenden Spitalskomplex bildete. Dieser Platz war das Zentrum der Pfarrholdengemeinde – der zweiten Gemeinde, die damals neben dem liechtensteinischen Markt (=das Areal um den Hauptplatz) existierte – und selbiger dürfte im Zuge einer umfassenden Neuordnung des Ortsgebiets Anfang des 14. Jahrhunderts, also gemeinsam mit der Anlage des Spitalsviertels und des neuen Marktplatzes (=Hauptplatz) geschaffen worden sein. Für das 16. Jahrhundert ist jedenfalls die Bebauung des Areals zwischen Barnabitenstraße und Wiedenstraße mit einigen Häusern (Wiedenstraße Nr. 4, 6, 8, 10, 12, 14) bereits belegt, und diese Häuser wiesen aufgrund ihrer Lage zwei Hausnummern auf: an der Vorderseite eine gerade Nummer in der Wiedenstraße und „hintaus“ ungerade Nummern in der Barnabitenstraße.3

Die also im 16. Jahrhundert in ihrer heutigem Verlauf entstandene Barnabitenstraße führte vom Spitalsviertel (rund um den Kreuzungsbereich Mitschastraße/Oserstraße) zum 1700 fertiggestellten Barnabitenkolleg und stellte (unter Einbeziehung der Oserstraße) eine Verbindung zwischen den als „langer Zagel“ (Mitschastraße) und „kurzer Zagel“ (Liechtensteinstraße) bezeichneten Straßen her. Doch endet diese Straße nicht an der Kreuzung mit der Liechtensteinstraße, sondern sie führt rechts am Kloster vorbei bis an den Fuß des Kirchenbergs, wo sie vor einem alten, zur Kirche führenden, Fußsteig endet.

Die obere Barnabitenstraße etwa zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Fuße des Kirchenbergs aus aufgenommen. In der Bildmitte ist im Hintergrund das Johannes-Benefizium erkennbar.Die obere Barnabitenstraße etwa zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Fuße des Kirchenbergs aus aufgenommen. In der Bildmitte ist im Hintergrund das Johannes-Benefizium erkennbar.

Wie aus alten Plänen und Skizzen im Archiv des Barnabitenordens hervorgeht bestand an jener Stelle an der die Barnabitenstraße die Mistel kreuzt jedenfalls bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine fahrbare Brücke, während die Wiedenstraße lediglich einen Steg bzw. eine Furt aufwies. Die Barnabitenstraße war und ist bis heute Teil der Ost-West-Verkehrsachse durch die Stadt und damit eine wichtige Durchzugsstraße. Die Tatsache, dass der Verkehr (inkl. der Post) Richtung Wien bis ins 19. Jahrhundert über Wilfersdorf und weiter via der „Kaiserstraße“ genannten Brünnerstraße verlief, unterstreicht die große Bedeutung der Barnabitenstraße bzw. der Liechtensteinstraße. Schon seit vielen Jahren wird die Barnabitenstraße als Einbahn Richtung stadtauswärts geführt und sie teilt sich somit die Last des Durchzugsverkehrs mit der teils als Einbahn in die andere Richtung geführten Wiedenstraße.

Die Brücke der Barnabitenstraße während der Arbeiten zur Mistel-Regulierung im Jahre 1912 - im Hintergrund Wohnhaus und Lederfabrik der Familie Strasser in der LiechtensteinstraßeDie Brücke der Barnabitenstraße während der Arbeiten zur Mistel-Regulierung im Jahre 1912 – im Hintergrund Wohnhaus und Lederfabrik der Familie Strasser in der Liechtensteinstraße

Die untere Barnabitenstraße samt Brücke über die Mistel im Bereich des heutigen Marienplatzes im Jahre 1948. Aufgenommen aus der Perspektive eines der höheren Stockwerke des Klosters.Die untere Barnabitenstraße samt Brücke über die Mistel im Bereich des heutigen Marienplatzes im Jahre 1948. Aufgenommen aus der Perspektive eines der höheren Stockwerke des Klosters.

Wahrscheinlich schon seit langer Zeit, jedenfalls aber bereits im Jahre 1881 war der Name „Barnabitengasse“ für diese Straße gebräuchlich4, und somit wurde im Zuge der Einführung offizieller Straßennamen mit Beschluss des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) vom 13. April 1898 dieser Straße schließlich offiziell der Name Barnabitenstraße gegeben.5 Auch der heutige Marienplatz hieß übrigens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Barnabitenplatz, ehe er durch Gemeinderatsbeschluss vom 20. Dezember 1954 umbenannt wurde.

Wo befindet sich die Barnabitenstraße?

 

Bildnachweis:
-) sämtliche Fotos: Göstl-Archiv

Quellen:

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Bezirks-Katholikentage in Mistelbach

Mitte des 19. Jahrhunderts fand der erste Katholikentag als Protestkundgebung gegen die Unterdrückung der Katholiken in einigen proestantisch dominierten deutschen Staaten statt. Diese fortan turnusmäßig und stets an wechselnden Orten abgehaltene Zusammenkunft entwickelte sich zur öffentlichen Bekenntnisfeier, war Ausdruck von Volksfrömmigkeit und Festtag des katholischen Verbands- und Vereinswesens sowie eine Machtdemonstration der katholischen Kirche. Nach den anfangs gesamtdeutschen Katholikentagen fand, nach Verwirklichung des kleindeutschen Nationalstaats, ab dem Jahre 1877 nunmehr ein eigenständiger Österreichischer Katholikentag statt. Im kleineren Rahmen, also auf Bezirksebene, sind derartige Kundgebungen erstmalig Ende des 19. Jahrhunderts belegt und auch in der Erzdiözese Wien befasste man sich schon im Jahre 1913 mit der Idee der Abhaltung von Bezirks-Katholikentagen. Die große materielle Not in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verhinderte die Abhaltung eines regulären Katholikentags, wie er zuletzt 1913 stattgefunden hatte, und daher besann man sich in der Erzdiözese Wien (und natürlich auch in anderen Diözesen) wieder auf die Idee diese Feste im kleineren Rahmen, also auf Diözesan- bzw. Bezirksebene, abzuhalten. 1920 fand erstmalig ein Diözesan-Katholikentag in Wien statt und auch die ersten Bezirks-Katholikentage wurden in Teilen der Hauptstadt bzw. in der Provinz abgehalten. Im Mai 1920 fand in unserer Gegend der erste Bezirks-Katholikentag in Poysdorf statt, der eine Teilnehmerzahl von etwa 6.000 Personen aufwies.1 Für das Jahr 1922 wurde neuerlich ein Diözesan-Katholikentag in Wien und Bezirks-Katholikentage in allen Gebieten der Diözese geplant und erstmals war auch die Abhaltung eines Katholikentages in Mistelbach vorgesehen.2 Die Katholikentage hatten aber ob der in der ersten Republik engen Verbindung zwischen Kirche und den Vertretern der christlich-sozialen Partei stets auch politischen Charakter und sind daher zweifellos als politische Machtdemonstrationen anzusehen bzw. wurden als Plattform für (partei)politische Reden genutzt. Man wehrte sich zwar gegen den Vorwurf, die Katholikentage seien Wählerversammlungen (=Wahlkampfveranstaltungen im damaligen Sprachgebrauch), der politische Aspekt dieser Kundgebungen wurde jedoch von den damaligen Spitzenvertretern von Kirche und christlich-sozialer Partei, etwa dem damaligen Kanzler und Priester Dr. Ignaz Seipel, selbstbewusst gar nicht erst bestritten.3

Bezirks-Katholikentag 19224

Am 29. Juni 1922, zum Festtag Peter und Paul, fand der erste Katholikentag in Mistelbach statt zu deren Teilnahme die Gläubigen aus den Gerichtsbezirken Mistelbach, Laa a.d. Thaya, Poysdorf, Zistersdorf, Matzen, Wolkersdorf und Korneuburg aufgerufen waren. 30.000 Personen sollen bei der Festveranstaltung am Hauptplatz anwesend gewesen sein, eine Anzahl, die die Erwartungen der Organisatoren deutlich übertraf, und in der Berichterstattung des „Mistelbacher Bote“ wurde vermutet, dass wohl noch nie zuvor so viele Menschen in Mistelbach versammelt waren. Um den Transport der zahlreichen Teilnehmer zu bewerkstelligen wurden Sonderzüge auf den Lokalbahnstrecken eingerichtet bzw. verstärkte Züge auf der Staatsbahnstrecke geführt. Bereits am Vortag begannen die Festlichkeiten mit einem Begrüßungsabend der beim Katholikentag zahlreich vertretenen Mitglieder  der katholischen Studentenverbindungen des Cartellverbands (CV) unter Leitung des Hörersdorfer Pfarrers Viktor Klinger. Ursprünglich war als Zelebrant Kanzler Dr. Seipel vorgesehen, der jedoch verhindert war und deshalb wurde die Messe vom Mistelbacher Barnabiten-Propst und Stadtpfarrer Don Ludwig Schneck gehalten und der bereits erwähnte Pfarrer Klinger hielt die Festpredigt. Nach der Festmesse vor der Dreifaltigkeitssäule auf dem Hauptplatz folgten die Versammlungen der verschiedenen Teilnehmergruppen (Männer, Frauen, Burschen, Mädchen sowie christliche Arbeiterorganisation) in den großen Gasthöfen der Stadt, die meist von einem Geistlichen und einem christlich-sozialen Politiker geführt wurden. Die Versammlungen zielten auf eine Festigung und Ausbau der Standesorganisationen ab und unter anderem wurden Entschließungen zur Gründung weiterer katholischer Vereine und Organisationen (zB Volksbund, katholisch-deutsche Burschenvereine bzw. Gründung eines Gauverbands der Burschenvereine) gefasst. Am Nachmittag sammelten sich diese Gruppen dann an unterschiedlichen Plätzen der Stadt von wo sie zum Hauptplatz bewegten, um sich dort zu einem gemeinsamen Festzug zu vereinen.  Dieser imposante Festzug, der sich aus mehreren Musikkapellen, rund 30 Fahnen und 20.000 Personen zusammengesetzt haben soll, holte Kardinal Dr. Friedrich Gustav Piffl vom Bahnhof ab und geleitete ihn anschließend zum Hauptplatz wo die Festversammlung stattfand. Nach Begrüßungsworten von Loosdorfer Gutsherrn Piatti, dem Präsident des Katholikentages, folgten hauptsächlich politische Reden christlich-sozialer Politiker und Bundesminister Schmitz übermittelte die Grüße des leider verhinderten Kanzlers Seipel. Den Höhepunkte bildete selbstverständlich die Ansprache des Kardinals, die ebenfalls mehr politischen als religiösen Inhalt aufwies, und der von ihm zu Abschluss erteilte Segen. Nach dem Ende der Festveranstaltung auf dem Hauptplatz wurde der Oberhirte noch zum Kolleg begleitet, wo die zahlreichen Teilnehmer unter Ovationen an dem auf der Balustrade stehenden Kardinal vorüberzogen. Danach stattete Kardinal Piffl seinem „persönlichen Freund“ Bürgermeister Josef Dunkl einen Besuch ab, bei dem er mehrfach seine große Zufriedenheit über den gelungenen Verlauf dieser Festveranstaltung kundtat. Mit dem Abendzug kehrte Dr. Piffl schließlich wieder nach Wien zurück. Den offiziellen Abschluss des Festprogramms bildete ein von den katholischen Studentenverbindungen des CV im Saale des Gasthauses Putz (heute: Schillingwirt) veranstalteter Kommers, der aus allen Bevölkerungskreisen zahlreich besucht wurde.

Teilnehmerkarte für den Bezirks-Katholikentag in Mistelbach im Jahre 1922Teilnehmerkarte für den Bezirks-Katholikentag in Mistelbach im Jahre 1922

Vom Bezirks-Katholikentag 1922 waren bisher keine fotografischen Aufnahmen bekannt. Im Nachlass des Heimatforscher Georg Göstl, dem sogenannten Göstl-Archiv, findet sich allerdings nachstehende Fotografie zu der es nur rudimentäre Angaben gibt (Zeitpunkt Anfang 1920er Jahre) und die frappant an die weiter unten folgenden Fotos vom Katholikentag 1929 erinnert. Ein Abgleich mit den Fotos aus dem Jahr 1929 brachte jedoch die Erkenntnis, dass es sich definitiv nicht um ein Foto aus diesem Jahr handelt. Tatsächlich ist dies gut an den Bäumen im Bildhintergrund zu erkennen, die auf den Fotos aus dem Jahre 1929 noch kahl sind (bei kühler Witterung Anfang Mai durchaus möglich) im Gegensatz zu den bereits in vollem Blätterkleid stehenden Bäume auf den Aufnahmen dieser Aufnahme und wie für Ende Juni auch nicht anders zu erwarten.

Eine Aufnahme des Mistelbacher Fotografen Josef Plaschil jun. vom Katholikentag 1922 und das einzige überlieferte Foto dieses EreignissesEine Aufnahme des Mistelbacher Fotografen Josef Plaschil jun. vom Katholikentag 1922 und das einzige überlieferte Foto dieses Ereignisses

 

Bezirks-Katholikentag 19295

Der zweite Bezirks-Katholikentag in Mistelbach fand am 5. Mai 1929 statt und dieser war als besondere Huldigung für Papst Pius XI. gestaltet, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Priesterjubiläum feierte. Dieses Mal waren zur Teilnahme sämtliche Gemeinden des Verwaltungsbezirks Mistelbach, sowie die Pfarre der Dekanate Altlichtenwarth, Pyrawarth, Wilfersdorf und Zistersdorf eingeladen, da für diese Mistelbach teils leichter erreichbar war, als deren Bezirkshauptstadt Gänserndorf, wo vier Tage später ein Katholikentag stattfand.6 Erneut wurden Sonderzüge eingerichtet und auch das Programm entsprach exakt jenem des sieben Jahre zuvor abgehaltenen Katholikentags. Die Festmesse wurde diesmal von Prälat Dr. Franz Hlawati in Vertretung von Kardinal Piffl zelebriert und die Festpredigt hielt Stadtpfarrer P. Rhabanus Neumeier. Danach folgten die üblichen Versammlungen der Teilnehmergruppen („Standesversammlungen“ – Mädchen, Frauen, Burschen, Männer, Arbeiter) in den großen Gasthöfen der Stadt, bei denen Referenten über die Aufgaben und Pflichten der jeweiligen Stände sprachen. Bei der Versammlung der Burschen im Gasthof Filippinetti sollen 700 Teilnehmer vor Ort gewesen sein, bei jener der Männer über dreihundert. Nachmittags formierte sich der Festzug nach Ständen getrennt in den Straßen um die Elisabethkirche und zog in nachfolgender Marschordnung durch die Stadt und schließlich zum Hauptplatz: Musik, Feuerwehr, Veteranenvereine, Zunftfahnen, Burschenvereine, Mädchenvereine, Lehrervereine, Studentenschaft, Präsidium und Ehrengäste, Frauenvereine, Männervereine. Vereinsmäßig nicht organisierte Personen schlossen sich den jeweiligen Standeszügen an. Zur Festversammlung auf dem Hauptplatz, die wie der gesamte Katholikentag ein „Bekenntnis zur Treue und Anhänglichkeit zur Kirche“ sein sollte, versammelten sich laut Zeitungsberichten mehr als 10.000 Menschen. Nach den Begrüßungsworten lokaler Honoratioren folgten politische Ansprachen christlich-sozialer Politiker, Worte anlässlich des 50-jährigen Priesterjubiläums des Papstes und der Aufruf von Prälat Hlawati gemäß dem Wunsch des Heiligen Vaters in der Katholischen Aktion mitzuarbeiten. Am späten Nachmittag fand schließlich wieder ein Festkommers der katholisch-deutschen Studentenschaft des Cartellverbands im großen Saal des Gasthof „Zur goldenen Krone“ statt. Wie bereits 1922 hatten die Vertreter katholischer Studentenverbindungen in großer Anzahl an diesem Katholikentag teilgenommen haben und Unterrichtsminister Dr. Czermak und andere anwesende christlich-soziale Mandatare, von denen einige katholischen Studentenverbindungen angehörten, nahmen an dieser Abschlussveranstaltung teil.

Seitens des Präsidiums des Katholikentages, angeführt von dessen Präsidenten Bezirksschulinspektor Regierungsrat Schramm, wurde nach dem erfolgreichen Abschluss der Feierlichkeiten via der apostolischen Nuntiatur ein Glückwunsch-Telegramm an den Heiligen Vater gerichtet, auf das schließlich nachfolgende Antwort übermittelt wurde:
Seine Heiligkeit, erfreut über die ehrerbietigen Glückwünsche und die Huldigung der zum Katholikentag in Mistelbach versammelten Tausenden von Gläubigen, spendet denselben von Herzen seinen Apostolischen Segen zu ausdauernder Arbeite für die große katholische Sache.
Card. Gasparri“7

 

Einzug zur Festmesse: Dieses Foto zeigt vermutlich den Einzug der Vereine (hier Mädchenbund), die sich am Morgen vor dem Kolleg versammelt hatten und korporativ zur Festmesse am Hauptplatz einzogenEinzug zur Festmesse: Dieses Foto zeigt vermutlich den Einzug der Vereine (hier Mädchenbund), die sich am Morgen vor dem Kolleg versammelt hatten und korporativ zur Festmesse am Hauptplatz einzogen

 

Einzug zur Festmesse: Geistliche Schwestern ziehen hier gerade von der Barnabitenstraße in die Oserstraße und dann weiter Richtung Hauptplatz zur Festmesse. Das Foto wurde aus einem Fenster des Gasthauses Filippinetti (heute: Schillingwirt) aufgenommen.Einzug zur Festmesse: Geistliche Schwestern ziehen hier gerade von der Barnabitenstraße in die Oserstraße und dann weiter Richtung Hauptplatz zur Festmesse. Das Foto wurde aus einem Fenster des Gasthauses Filippinetti (heute: Schillingwirt) aufgenommen.

 

Dieses Bild zeigt den damaligen Stadtpfarrer P. Rhabanus Neumeier, der die Festpredigt hieltFestmesse: Dieses Bild zeigt den damaligen Stadtpfarrer P. Rhabanus Neumeier, der die Festpredigt hielt

 

Festmesse: Wie auf diesem Bild ersichtlich ist, nahmen zahlreiche Vertreter von Studentenverbindungen des Cartellverbands (CV) in Form von Chargierten in der studentischen Festtracht am Katholikentag teil. In der Bildmitte ist Prälat Dr. Franz Hlawati zu sehen, der die Messe zelebrierte.Festmesse: Wie auf diesem Bild ersichtlich ist, nahmen zahlreiche Vertreter von Studentenverbindungen des Cartellverbands (CV) in Form von Chargierten in der studentischen Festtracht am Katholikentag teil. In der Bildmitte ist Prälat Dr. Franz Hlawati zu sehen, der die Messe zelebrierte. Als Superior des Ordens der Barmherzigen Schwestern, dürfte er ein sogenannter infulierter Prälat gewesen sein, also ein Prälat dem durch päpstliche Erlaubnis das Tragen der bischöflicher Insignien – hier die Mitra – erlaubt war.

 

Auch die Feuerwehr nahm mit ihrer erst zwei Jahre zuvor angeschafften Motor-Spritze, einem Austro-Fiat, (siehe Bildmitte) am Katholikentag teil. Die Feuerwehrmänner übernahmen gemeinsam mit den Mitgliedern des Veteranenvereins auch den Ordnerdienst bei diesem Fest (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)Auch die Feuerwehr nahm mit ihrer erst zwei Jahre zuvor angeschafften Motor-Spritze, einem Austro-Fiat, (siehe Bildmitte) am Katholikentag teil. Die Feuerwehrmänner übernahmen gemeinsam mit den Mitgliedern des Veteranenvereins auch den Ordnerdienst bei diesem Fest (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Unter den vielen Vereinen und Organisationen die am Fest teilnahmen waren auch die Pfadfinder vertreten, die hier in der Hafnerstraße Richtung Hauptplatz marschieren. Woher diese Pfadfindergruppe stammte ist jedoch unklar, denn in Mistelbach wurden die Pfadfinder erst 1930 gegründet und auch in Laa a.d. Thaya traten die Pfadfinder im Herbst des Jahres 1929 erstmals öffentlich auf. (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)Einzug zur Festmesse oder Festzug: Unter den vielen Vereinen und Organisationen die am Fest teilnahmen waren auch die Pfadfinder vertreten, die hier in der Hafnerstraße Richtung Hauptplatz marschieren. Woher diese Pfadfindergruppe stammte ist jedoch unklar, denn in Mistelbach wurden die Pfadfinder erst 1930 gegründet und auch in Laa a.d. Thaya traten die Pfadfinder erst im Herbst des Jahres 1929 erstmals öffentlich auf. (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Festmesse?: Auf dieser Amateuraufnahme ist erkennbar, dass die Menschenmenge auf dem Hauptplatz nicht so dicht ist, wie sie teilweise auf den professionellen Aufnahmen (bewusst?) dargestellt wird (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)Festmesse?: Auf dieser Amateuraufnahme ist erkennbar, dass die Menschenmenge auf dem Hauptplatz nicht so dicht war, wie sie teilweise auf den professionellen Aufnahmen (bewusst?) dargestellt wird (Amateuraufnahme aus dem Nachlass der Familie Schödl)

 

Den Festzug begleiteten auch mehrere Musikkapellen, unter anderem die Stadtkapelle Mistelbach, die zuvor auch die Festmesse musikalisch umrahmte.Auszug nach der Messe?: Den Festzug begleiteten auch mehrere Musikkapellen, unter anderem die Stadtkapelle Mistelbach, die zuvor auch die Festmesse musikalisch umrahmte.

 

Vermutlich eine Aufnahme von der nachmittäglichen Festversammlung auf dem HauptplatzVermutlich eine Aufnahme von der nachmittäglichen Festversammlung auf dem Hauptplatz

Bezirks-Katholikentag 19518

Der dritte und bislang letzte Bezirks-Katholikentag in Mistelbach fand am Sonntag, 10. Juni 1951 unter dem Motto: “Christus gestern, Christus heute, Christus morgen, Christus in Ewigkeit” statt. Zur Teilnahme waren die Gläubigen der Dekanate Ernstbrunn, Gaubtisch, Laa a.d. Thaya, Pirawarth, Pillichsdorf, Staatz und Wilfersdorf aufgerufen.  Ein Teil des Verwaltungsbezirks fehlte diesmal und zwar hielten die Dekanate Poysdorf und Altlichtenwarth ihren Katholikentag drei Wochen später in Poysdorf ab.9 Seitens der sowjetischen Besatzungsmacht wurde diese Veranstaltung mit Argusaugen beobachtet, da man kirchlichen Großveranstaltungen grundsätzlich kritisch gegenüberstand und hinter diesen gegen die Besatzer gerichtete Demonstrationen vermutete.10 Am Morgen des Festtages standen dichte Wolken über Mistelbach und ob die Veranstaltung wie geplant auf dem Hauptplatz abgehalten werden könnte war mehr als ungewiss. Doch die Massen strömten dennoch herbei und wurden belohnt – die Sonne vertrieb die Regenwolken. Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym war von Landwirtschaftsminister Josef Kraus, Bezirkshauptmann Dr. Karl Mattes und dem Präsidenten des Katholikentages, Bürgermeister Franz Bayer empfangen und zum abermals vor der Dreifaltigkeitssäule aufgebauten Altar geleitet worden. Dr. Jachym zelebrierte die Messe und Pater Volkmar übernahm die Funktion des Vorbeters und -sängers am Mikrofon, während die musikalische Begleitung durch die Stadtkapelle besorgt wurde. Im Zuge der Messe erfolgte auch die vom Mistelbacher Zweigverein des ÖAMTC organisierte St. Christophorus Fahrzeugweihe, bei der mehr als 300 Fahrzeuge vom Roller über Motorräder und PKW, bis LKW, schwere Traktoren und Sonderfahrzeuge von Dr. Jachym gesegnet wurden.11 Danach fanden wieder die üblichen Standesversammlungen in den Gasthöfen bzw. im Saal des Internats der landwirtschaftlichen Fachschule statt, und diese waren derart gut besucht, dass die vorgesehenen Säle zu klein waren und die Versammlungen kurzerhand ins Freie verlegt werden mussten. Nachmittags um 14 Uhr erfolgte die Aufstellung zum Festzug in der „Straße des 12. Februar 1934“ (damaliger Name der Franz Josef-Straße) vor der Gewerbeschule. Nach dem kurzen Festzug der via Bahnstraße und Hafnerstraße direkt zum Hauptplatz führte, folgte dort der als „Bekenntnisfeier“ bezeichnete Festakt. Im Gegensatz zu den Katholikentagen der Zwischenkriegszeit folgten keine Ansprachen von Politikern, sondern lediglich von Geistlichen und Funktionären katholischer Verbände und mit den Schlussworten und dem sakramentalen Segen von Erzbischof-Koadjutor Jachym fand der Festakt seinen Abschluss. Das gute Wetter hielt genau für die Dauer der Veranstaltung an, denn knapp eine Viertelstunde nach Schluss der Feier ging ein Regenguss nieder. Die mit deutlich über 10.000 Personen angegebene Anzahl von Teilnehmern bei der Festkundgebung am Nachmittag scheint in Anbetracht der Tatsache, dass die vom Roten Kreuz für die Veranstaltung eingerichtete Rettungsstelle den ganzen Tag über 250 Mal Hilfe leisten musste – von leichteren bis zu schwereren Fällen (Überhitzungen und Herzanfälle) – durchaus plausibel.12

 

Dr. Jachym vor dem Kolleg mit der zum Katholikentag versammelten GeistlichkeitDr. Jachym vor dem Kolleg mit der zum Katholikentag versammelten Geistlichkeit

 

Der festlich geschmückte Hauptplatz mit den zur Weihe bereits bereitstehenden Kraftfahrzeugen

Eine Aufnahme vom Rathausturm zeigt die zur Festmesse versammelten Menschenmassen und die am Südende des Hauptplatzes für die St. Christophorus-Weihe bereitgestellten KraftfahrzeugenEine Aufnahme vom Rathausturm zeigt die zur Festmesse versammelten Menschenmassen und die am Südende des Hauptplatzes für die St. Christophorus-Weihe bereitgestellten Kraftfahrzeugen

 

Erzbischof-Koadjutor Jachym bei der FahrzeugweiheErzbischof-Koadjutor Jachym bei der Fahrzeugweihe

 

Vereinzelt existieren auch Farbfotos von diesem Festtag, wie dieses dass den Altar vor der Dreifaltigkeitssäule zeigtVereinzelt existieren auch Farbfotos von diesem Festtag, wie dieses dass den Altar vor der Dreifaltigkeitssäule zeigt

 

Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym segnet die Teilnehmer des Katholikentags bei seinem Auszug, möglicherweise nach Ende der BekenntnisfeierErzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym segnet die Teilnehmer des Katholikentags bei seinem Auszug, möglicherweise nach Ende der Bekenntnisfeier

 

Sammlung zum Festzug in der "Straße des 12. Februar 1934" (Franz Josef-Straße) im Bereich vor der Gewerbeschule (heute Polytechnische Schule)Sammlung zum Festzug in der „Straße des 12. Februar 1934“ (Franz Josef-Straße) im Bereich vor der Gewerbeschule (heute Polytechnische Schule)

Das letzte Foto stammt ebenfalls aus dem Göstl-Archiv und ist lediglich mit „1948 unklar“ beschriftet. Göstl dürfte einen Zusammenhang mit der 1948 abgehaltenen Gewerbeausstellung vermutet haben. Tatsächlich lassen sich aber im Vergleich zu den anderen Fotos vom Katholikentag 1951 viele der Fahnen wiedererkennen und bei genauerer Betrachtung sind auch die weißen Festabzeichen erkennbar. Nachdem auch der abgebildete Ort auch mit dem Treffpunkt für die Sammlung zum Festzug übereinstimmt, dürfte es sich wohl um ein Foto des Katholikentages 1951 handeln.

Bildnachweise:
Fotos: Göstl-Archiv (Katholikentag 1922, Katholikentag 1951), zVg von Frau Kalser (Amateuraufnahmen der Familie Schödl vom Katholikentag 1929), zVg von Herrn Dr. Stoiber (Profiaufnahmen vom Katholikentag 1929),  zVg von Herrn RegRat Englisch (Festzug zum Hauptplatz Katholikentag 1929 – Barnabitenstraße, „Frohnerkreuzung“ und Festversammlung 1929), Stadt-Museumsarchiv (Teilnehmerkarte Katholikentag 1922)

Quellen:

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Meeß-Häuser – Liechtensteinstraße 8 und 10 & Oserstraße 15, 17, 19, 21 und 23

Als Meeß-Häuser (umgangssprachlich zumeist fälschlicherweise „Mess-Häuser“ genannt) sind älteren Mistelbachern die Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10 bekannt. Diese Häuser wurden 1908 (Nr. 10)1 bzw. 1909 (Nr. 8)2 vom Bautechniker Otto Meeß (*1861, †?) errichtet. Meeß, dessen Beruf gelegentlich auch als Architekt angegeben wurde, stammte ursprünglich aus Karlsruhe, war jedoch jedenfalls seit dem Jahr 1890 in Wien ansässig.3 Er wohnte in Hernals4 und heiratete dort 1892 Henriette Saulik (*1866, †1956), die Tochter eines Bürstenmachers.5 In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts scheint Meeß als Bauherr einiger Bauprojekte in Wien-Ottakring auf6, und 1905 war er bereits im Besitz von drei Häusern in Ottakring bzw. eines Hauses in Währing.7 Doch dürfte er sich bei diesen Projekten finanziell übernommen haben, denn im Mai 1905 wurde ein langwieriges Konkursverfahren über sein Vermögen vor dem Wiener Landesgericht eröffnet, dass schließlich zwei Jahre später mangels Vermögens eingestellt werden musste.8

Dieser wirtschaftliche Rückschlag, der natürlich auch den Verlust seiner Immobilien bedeutete, zwang ihn offenbar seine selbständige bzw. freiberufliche Tätigkeit gegen ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis zu tauschen und ab März 1908 tritt er als Geschäftsführer der neueröffneten Mistelbacher Filiale des Hernalser Zimmereibetriebs Johann Horak hierorts erstmalig in Erscheinung.9 Gemeinsam mit seiner Gattin war er nach Mistelbach übersiedelt und hier wohnhaft, obwohl sie bis etwa 1913 weiterhin auch einen Wohnsitz in Wien unterhielten.10 Doch offenbar konnte und wollte er sich, trotz des erlittenen Rückschlags, nicht ganz aus dem Immobiliengeschäfts zurückziehen, denn bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Mistelbach taucht der Name Meeß bereits in Zusammenhang mit dem Bau der eingangs erwähnten Wohnhäuser in der Liechtensteinstraße auf. Allerdings scheint nicht Otto Meeß, sondern stets dessen Gattin Henriette als Grund- bzw. Hausbesitzerin bei diversen Eingaben an die Gemeinde auf.11 Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass die rechtliche Konstruktion das Eigentum seiner Gattin zu überlassen, durch seinen vorherigen Konkurs bedingt ist. Nachem das Konkursverfahren mangels Vermögens eingestellt wurde, wäre es im Falle, dass Meeß wieder zu Vermögen gekommen wäre, zu einem Wiederaufleben der (Rest)Forderungen seiner Gläubiger gekommen. Die Nennung von Frau Meeß in Zusammenhang mit den Mistelbacher Immobilienprojekten dürfte schließlich zur vereinzelt geäußerten Annahme geführt haben, Frau Meeß sei Architektin bzw. Planerin dieser Bauten gewesen.12 Dem war jedoch nicht so, sie dürfte aus oben genannten Gründen vielmehr als „Strohfrau“ für die Bauprojekte ihres Gatten agiert haben. Dafür spricht schließlich auch die Tatsache, dass trotzdem die Häuser formell im Eigentum von Henriette Meeß standen, bei späteren Verkaufsanzeigen stets Otto Meeß als Kontaktperson angeführt wurde.13

Rechts im Bild die beiden zweistöckigen Meeß-Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10 etwa um 1910Rechts im Bild die beiden zweistöckigen Meeß-Häuser Liechtensteinstraße Nr. 8 und 10. Nachdem die neben Nr. 8 in die Liechtensteinstraße einmündende Karl Fitzka-Gasse auf dem Foto noch in keinster Weise zu erkennen ist, dürfte die Aufnahme aus der Zeit zwischen 1909-1912 stammen.

Das Haus Liechtensteinstraße Nr. 8 umfasste 15 Wohnungen mit Gas- und Wasseranschlüssen am Gang14 und das unmittelbar zuvor errichtete Haus Nr. 10 dürfte wohl ähnlich ausgestattet gewesen sein. Noch vor Fertigstellung seiner beiden Wohnbauten in der Liechtensteinstraße, wagte sich Meeß bereits an das nächste Bauprojekt und zwar die Errichtung von Wohnhäusern in der Oserstraße. Auch diese Häuser sollten später als „Meeß-Häuser“ bezeichnet werden, allerdings hielt sich diese Bezeichnung nicht so lange im kollektiven Gedächtnis, wie etwa bei jenen in der Liechtensteinstraße. Die Gründe an der linken Seite der Oserstraße zwischen Schulgasse (heute: Thomas Freund-Gasse) und Gartengasse gehörten damals Bürgermeister Thomas Freund, der sie 1909 als Baugründe aufschließen ließ und anschließend an Meeß verkauft haben dürfte.15 Die ersten beiden Häuser Oserstraße Nr. 15 und 17 waren jedenfalls bereits im Oktober 1910 fertiggestellt worden16 und diesen sollten in den Jahren 1911 und 1912 noch drei weitere Häuser (Nr. 19, 21, 23) folgen.17

Die in den Jahren 1910-1912 erbauten Meeß-Häuser in der Oserstraße, kurz nach ihrer Errichtung ...Die in den Jahren 1910-1912 erbauten Meeß-Häuser in der Oserstraße, kurz nach ihrer Errichtung …

... und in ihrem heutigen Erscheinungsbild… und in ihrem heutigen Erscheinungsbild… und in ihrem heutigen Erscheinungsbild

Im Dachgesims des in der Mitte dieser Häuserreihe gelegenen Hauses Nr. 19 findet sich das Jahr der Erbauung (Anno 1911) sowie der Name der Besitzerin in Form eines Steinreliefs verewigt. Die Bezeichnung als „Henrietten-Heim“ ist allerdings nicht als Name einer (sozialen) Einrichtung oder ähnlichem zu missinterpretieren, sondern es war um die Jahrhundertwende durchaus üblich prachtvollen Bauten bzw. Villen Frauennamen (die Namen ihrer Besitzerin oder Bewohnerin) in Verbindung mit den Begriffen Heim, Haus oder Villa zu geben. Ein anderes Mistelbacher Beispiel dafür ist das wenige Jahre zuvor erbaute Haus an der Adresse in der Hugo Riedl-Straße Nr. 11 auf dem einst „Villa Therese“ zu lesen war (siehe Abbildung im Beitrag zur Hugo Riedl-Straße).

Das Dachgesims des Hauses Oserstraße Nr. 19 nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Hauses und sein Namen leitete sich von jenem der einstigen Besitzerin Henriette Meeß abDas Dachgesims des Hauses Oserstraße Nr. 19 nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Hauses und sein Name leitete sich von jenem der einstigen Besitzerin Henriette Meeß ab

Ein 1911 von Otto Meeß gestelltes Ersuchen um Konzessionersteilung betreffend das Gewerbe der Realitätenvermittlung im politischen Bezirk Mistelbach wurde seitens des Gemeindeausschusses (=Gemeinderat) in Ermangelung eines Bedarfs für die Stadt Mistelbach negativ beurteilt.18 Im selben Jahr versuchte Meeß „ein stockhohes Eck- und Mittelhaus in der Oserstraße“ (vermutlich Nr. 15 und 17) zu verkaufen und hatte über einen längeren Zeitraum im Mistelbacher Bote bzw. zeitweilig auch in überregionalen Zeitungen Verkaufsanzeigen inseriert.19 Im Häuserverzeichnis in Fitzkas Ergänzungsband, dass den Hausbestand aus dem Jahr 1912 wiedergibt, scheint als Besitzerin der Häuser Oserstraße Nr. 15 und Liechtensteinstraße Nr. 8 bereits eine Frau Louise Markl auf, weshalb der Verkauf der Häuser im Jahre 1911 erfolgt sein dürfte.20 1912 scheint Henriette Meeß noch als Besitzerin der Häuser Liechtensteintraße 10 und Oserstraße 17, 19, 21 und 23 auf.21 Doch schon im Oktober 1912 kam es auf Betreiben der Mistelbacher Sparkasse zur gerichtlichen Versteigerung der Häuser Oserstraße 15, 19, 21 und 2322 und im Jahre 1915 schließlich auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 1723. Interessant, dass es auch zur Versteigerung des Hauses Oserstraße 15 (korrekte heutige Hausnummer), dass sich ja wie bereits geschildert nicht mehr im Besitz der Familie Meeß befand. Augenscheinlich hatte sich Otto Meeß erneut verkalkuliert und konnte die bei der städtischen Sparkasse aufgenommenen Schulden zur Realisierung dieses Immobilienprojekts nicht mehr bedienen. Somit scheint der Familie Meeß lediglich ihr erstes Wohnhaus Liechtensteinstraße Nr. 10 verblieben zu sein – zumindest finden sich keine gegenteiligen Hinweise.

Nachdem die Immobilienprojekte offenbar nicht wie geplant verlaufen waren und ihm kein Leben als Privatier, der von den Verkaufserlösen bzw. Mieteinnahmen seiner Häuser lebt, ermöglichten, musste Otto Meeß seinen Unterhalt wieder mit Erwerbsarbeit bestreiten und daher scheint er ab Anfang der 1920er Jahre als Ziegeleiverwalter (offenbar bei der Mistelbacher Ziegelwerksgesellschaft) auf.24 Ein Bericht über das Jubiläum der goldenen Hochzeit des Ehepaares Meeß im Jahre 1942 ist die letzte öffentliche Erwähnung der beiden.25 Nachdem Henriette Meeß 1956 in Mistelbach verstarb, ist davon auszugehen, dass auch ihr Gatte, dessen Todesjahr nicht bekannt ist, ebenfalls bis zu seinem Tode in Mistelbach lebte. Durch die Erbauung dieser prachtvollen Wohnhäuser prägt das Ehepaar Meeß bis heute das  Erscheinungsbild der Liechtensteinstraße sowie der Oserstraße und durch die umgangssprachliche Benennung nach deren Erbauer hat sich der Name Meeß mehr als hundert Jahre im Sprachgebrauch der Bevölkerung erhalten.

Bildnachweise:
-) alte Ansichtskarten (Oserstraße und Liechtensteinstraße): Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Foto Dachgesims „Henrietten-Heim“: Thomas Kruspel, 2015
-) Häuser Oserstraße: Thomas Kruspel, 2023

Quellen:

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Der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904

Wohl aufgrund der bevorstehenden Weihe der neuerbauten Eibesthaler Pfarrkirche erschien im Sommer 1951 im “Mistelbacher Bote” eine mehrteilige Artikelreihe unter dem Titel “Aus der Geschichte des Ortes Eibesthal”. Leider wird der Verfasser dieser gut aufbereiteten Beitragsreihe nicht angeführt. In der 3. Fortsetzung (Mistelbacher Bote, Nr. 28/1951 (14. Juli 1951), S. 2 (ONB: ANNO)) dieser Artikelserie wird der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904 ausführlich beschrieben und die anschauliche Darstellung der damaligen Geschehnisse soll an dieser Stelle wiedergegeben werden:

„Eine schwere Katastrophe brach am 29. März 1904 über den Ort Eibesthal herein. Noch heute berichten unsere Großeltern von dem Riesenbrand. Um ¼ 5 Uhr nachmittags brach in der Scheune des Hauses Nr. 155 ein Großfeuer aus, das durch spielende Kinder angefacht worden war. Vom Mittelorte aus gesehen meinte man, die kleine Zeile, eine östlich zum Straßenzuge sich parallel ziehende Häuserreihe, stehe in Flammen. Mehrere Männer der Freiwilligen Feuerwehr trafen bald nach Ausbruch des Feuers beim Zeughaus ein und versuchten, so gut es eben auf dem holprigen Wege ging, die Spritzen der kleinen Zeile zuzuschieben. Der tief durchfurchte Feldweg, der mit Zugtieren fast unpassierbar war, wurde von den wenigen Männern mit der Karrenspritze genommen; ein Bauer raste mit seinen Pferden aus der Straße daher, die zweite Spritze zu holen. Auf der Höhe der kleinen Zeile angelangt, musste man mit Schrecken erkennen, dass man den falschen Weg eingeschlagen hatte: Es brannte nicht auf der kleinen Zeile, sondern seitlich im Oberdorf. Dieses dreht sich derart gegen Osten, daß vom Mittelorte aus gesehen, die kleine Zeile und das Oberdorf in der Richtung sich decken. Dieser Umweg hatte eine schwer ins Gewicht fallende Zeitverzögerung gebracht. Der herrschende Südoststurm hatte, als die Feuerwehr endlich auf dem Brandplatz erschien, die Flammen über mindestens 20 Objekte gejagt. Alle Strohbedachung längs der östlichen Seite des Oberdorfes war entzündet, der Feldfahrweg zwischen den einzelnen Häusern absolut unpassierbar. Der heulende Sturm peitschte die Stichflammen am Erdboden dahin, Rauch, Qualm und Höllenglut erfüllte alle Hofteile, Gassen und Gässchen. Die Feuerwehr musste vor allem versuchen, den Riesenbrand einzudämmen, ansonsten eine ganze Flucht von Häusern der westlichen Straßenseite in Flammen ausgegangen wäre. Ein Augenzeuge aus dieser Zeit weiß zu berichten: „Weiber und Kinder standen jammernd, schreiend und betend auf der noch sicheren Straße: dort stürmte eine Kuh daher, ihrer Bande ledig, mitten hinein in den klagenden Haufen, dort eine zweite, dritte, ängstlich brüllend, in tollem Kreisen einen Ausweg aus dem Höllenpfuhle suchend. Nur mit großer Mühe gelang es einigen beherzten Männern, die scheuen Tiere einzufangen. “Weiber, Kinder, hinaus ins sichere Feld! Fort von hier, auf dass das Unglück nicht noch größer werde!” erschallte es von den zuckenden Lippen der Männer, denn wahrlich, die Gefahr war groß und vorderhand bei dem grässlichen Sturm an einen Stillstand der Flammen gar nicht zu denken.

In fast allen brennenden Stallungen waren noch die Haustiere, da ja beim Ausbruche des Feuers außer einigen kränklichen Frauen und kleineren Kindern niemand zu Hause war, Männer und Burschen befanden sich vielfach noch draußen im Felde bei den Arbeiten. Die verfügbaren männlichen Kräfte mussten auf die Rettung der bedrohten Haustiere bedacht sein. In einer Reihe von Häusern mussten die verschlossenen Haus- und Hoftüren eingerannt werden, um zu den Ställen zu kommen. Das war ein hartes Stück Arbeit. Die Höfe und Treppen mit stickendem Rauch erfüllt, neben den Ställen der brennende Düngerhaufen, zu Häupten das brennende Haus, der brennende Stallboden, nach vorne hin unsägliche Hitze und qualmender Rauch von Seite der mit Futtervorräten gefüllten und nun in Flammen stehenden Scheuer – dieser Feuerpfad musste Haus für Haus von mutigen Männern und Burschen genommen werden, ehe unter unsäglichen Anstrengungen man endlich in den mit Qualm erfüllten Stall kam. So mancher Beherzte musste aber, seines freien Atems beraubt, wieder unverrichteter Dinge zurück, stürzte auf der Treppe zusammen und wurde unter Mühe und Not von anderen Wackeren auf die Straße geschafft. In einer 1/4 Stunde war das Vieh mit den unbeschreiblichsten Anstrengungen geborgen worden. Aus einem brennenden Hause wurden Kinder, welche sich in ihrer Angst eingesperrt hatten, herausgeholt. Ein 17-jähriges Mädchen versuchte im eigenen Hause zu retten, was zu retten noch möglich war, fing aber mit seinen Kleidern Feuer. Die Flammen konnten von einem Feuerwehrmann noch rechtzeitig erstickt werden. Derselbe Wehrmann rettete auch einem armen Weibe das Leben. Diese Frau wollte ihre einzige Ziege aus dem brennenden Stalle retten. Die Flammen schlugen aber derart in den Stall hinein, dass sie nicht mehr zurück konnte und jämmerlich um Hilfe schrie. Der Wehrmann wagte sein Leben und brachte glücklich Weib und Ziege in Sicherheit. Leider war auch ein Menschenleben zu beklagen. Der Kleinhäusler Sebastian Schwenk, der beim Ausbruch des Brandes im Felde arbeitete, kam ins Dorf, als sein Häuschen, der Stall und die Scheuer in Flammen stand. Die einjährige Kalbin gelang es ihm, noch aus dem Stall zu schaffen. Als er in allzu großem Wagemut noch die Schweine bergen wollte, fingen seine Kleider Feuer und brennend stürzte er hinaus auf den Fahrweg, wo ihn die Flammen zu Boden schlugen. Sein Sohn, sowie noch andere Personen, versuchten dem Brennenden nahe zu kommen. Doch links und rechts zu beiden Seiten des nur 3 Meter breiten Fahrweges standen Strohobjekte in hellen Flammen, welche, vom Winde getrieben, den Weg in eine Feuerzeile verwandelten. Ein mehrmaliger Anlauf in diesen Feuerrachen wurde gewagt, doch alles vergebens. Der Rettungsversuch hätte vielleicht noch andere Opfer verschlungen. Ungefähr nach einer Stunde trafen Feuerwehren aus den umliegenden Ortschaften ein. Bei 70 Objekte standen bereits in Flammen, eine weitere Menge von Objekten war schon bedroht. Als der Abend hereinbrach, kamen aus den umliegenden Orten in großen Haufen Leute herbeigeströmt, zu Fuß, zu Rad, per Wagen oder Fiaker, um das grässliche Schauspiel in Augenschein zu nehmen. Die Plätze, Wege und Straßen füllten sich mit Leuten, von denen die wenigsten zu den Spritzen traten, sie waren ja gekommen um zu staunen, sich zu entsetzen, aber nicht um zu helfen. Abends traf der Herr Bezirkshauptmann Freiherr Alfons Klezl von Norberg auf der Brandstätte ein, besichtigte dieselbe eingehend, ließ sich über den entstandenen Schaden berichten und versprach den Abgebrannten seine Unterstützung. Der damalige Oberlehrer Rudolf Wedra veranstaltete Sammlungen in Wien und in vielen Gemeinden Niederösterreichs. Eibesthal war ja durch die Passionsspiele weit und breit bekannt. Die Sammlungen brachten einen so hohen Geldbetrag zustande, so dass sämtliche vom Brandunglück betroffene Eibesthaler ihre Häuser wieder aufbauen konnten, und zwar größer und schöner, als sie vorher waren.“

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„Der Mensch im Stein“ – kein (!) Rechtsdenkmal

Ein häufiges Problem der Lokalgeschichtsforschung ist es, dass Informationen oftmals ungeprüft und lediglich auf eine einzelne Quelle gestützt übernommen werden. Im Falle Mistelbachs kommt hinzu, dass immer wieder auf die vor mehr als hundert Jahren erschienenen Bände der „Geschichte der Stadt Mistelbach“ von Karl Fitzka, zurückgegriffen wird, obwohl seither viele Publikationen erschienen sind, die Fitzkas Darstellungen widersprechen bzw. richtigstellen oder neue Informationen aufgreifen. Zum Teil sind diese von fachkundiger Hand verfassten geschichtlichen Beiträge allerdings nicht in Buchform erschienen, sondern als Beiträge in heimatkundlichen Schriftenreihen (Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Heimat im Weinland) oder in Form vom Artikelserien in Lokalzeitungen erschienen und daher heute weniger bekannt bzw. etwas schwieriger zugänglich. Besonders hartnäckig hält sich eine falsche Information betreffend eine im Stadt-Museumsarchiv befindliche Steinskulptur, die auch in Publikationen der jüngsten Vergangenheit – einmal mehr unter Berufung auf die Angaben bei Fitzka – fälschlicherweise als Rechtsdenkmal („Schandbock“) bezeichnet wird.1 Nachfolgend soll das Publikationsgeschehen rund um diese Skulptur dargestellt und alle verfügbaren Informationen zusammengefasst werden. Dabei wird sich zeigen, dass bereits vor mehr als hundert Jahren die Fehleinschätzung zur Bedeutung dieser Skulptur seitens des Urhebers derselben revidiert und richtiggestellt wurde – eine Tatsache, die in Mistelbach allerdings leider nicht zur Kenntnis genommen wurde.

In den 1891 erschienenen „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ (Band XXVIII) veröffentlichte Dr. Karl Lind einen Beitrag zum Thema „Einige ältere Kirchen in Niederösterreich“ und in diesem wird unter anderem auch die 1904 abgebrochene alte Mistelbacher Spitalskirche beschrieben. Anlässlich eines Lokalaugenscheins im Zuge der Arbeit an diesem Beitrag dürfte der Autor auf eine in nächster Nähe zur Spitalskirche befindliche Steinskulptur aufmerksam gemacht worden sein, und auch diese wird in dem Beitrag mit einer Skizze abgebildet und wie folgt beschrieben:
„An der Ecke eines Privathauses befindet sich eine merkwürdige Sculptur, man könnte sie ein Wahrzeichen des Ortes nenne. Sie hat die Gestaltung einer zusammenkauernden Figur, der Kopf mit lockigem Haupthaar ist ganz deutlich zu erkennen. Füsse und Hände sind ausser allem Verhältnisse klein, der Leib nicht dargestellt, sondern ein fast viereckig behauener Steinklotz“2

Die älteste bildliche Darstellung der Steinskulptur an einer Hausecke aus "Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien" des Jahres 1891Die älteste bildliche Darstellung der Steinskulptur an einer Hausecke aus „Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien“ des Jahres 1891

In dem 1899 erschienenen Buch „Wahrzeichen Niederösterreichs“ von Dr. Anton Kerschbaumer wird die Beschreibung und Abbildung aus der Publikation des Alterthums-Vereins Wien exakt gleich wiedergegeben.3 Die obige Beschreibung bzw. bildliche Darstellung scheint insofern irreführend als sich die Figur tatsächlich nicht an der Außenseite einer Haus-/Mauerecke, sondern an deren Innenseite bzw. hofseitig befand und diese versteckte Lage dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass die Skulptur in Mistelbach tatsächlich kaum bekannt war. Deshalb erscheint die in Dr. Linds Beitrag getätigte Behauptung es handle sich um ein Wahrzeichen Mistelbachs keineswegs nachvollziehbar. Es ist unklar, ob die vorstehend genannten Veröffentlichungen in Mistelbach registriert wurden, schließlich kam es erst 1898 zur Gründung des städtischen Museums und in der Folge zu einem ersten Aufarbeiten der Geschichte der Stadt. Ein gesteigertes Interesse an der Skulptur dürften sie jedenfalls nicht verursacht haben, schließlich gab es außer der Beschreibung bislang auch keinerlei Einschätzung worum es sich bei diesem Steindenkmal überhaupt handelt.

Im Zeitraum 1903-1906 wurden im Rahmen einer Beitragsreihe teilweise unter dem Titel „Landeskundliche Mitteilungen“ bzw. „Landes- und ortskundliche Mitteilungen“ regelmäßig heimatkundliche Beiträge in der Zeitung „Der Bote aus dem Waldviertel“ veröffentlicht. Der Autor dieser Beiträge war Franz Xaver Kießling, der sich nach einer Erkrankung aus seiner beruflichen Tätigkeit als Ingenieur zurückziehen musste und sich seither intensiv als Heimatforscher betätigte. Kießling war glühender Deutsch-Nationaler, Schönerianer, fanatischer Antisemit, und geradezu besessen von allem was mit den Germanen zu tun hatte. Diese Obsession Kießlings, der im Wiener Turnverein früh einen beispielgebenden Arierparagrafen durchsetzte, führte auch zu seinen Bestrebungen germanische Bräuche bzw. pseudoreligiöse Riten innerhalb der deutsch-nationalen Bewegung zu etablieren. In einem Anfang Juni 1904 erschienenen Beitrag widmete sich Kießling unter Bezugnahme auf die Schilderungen in den Mitteilungen des Alterthums-Vereins Wien und Kerschbaumers „Wahrzeichen Niederösterreichs“ der gegenständlichen Steinskulptur. Laut eigenem Bekunden betrieb er zu jener Zeit eine Studie zu mittelalterlichen Rechtsdenkmälern und daher versuchte er nähere Informationen zu dieser Steinskulptur einzuholen. Er schrieb darin, dass er vor einigen Jahren Mistelbach besucht habe und ihm dieses Denkmal bei seinem Besuch nicht untergekommen sei.4 Er hatte auch versucht Erkundigungen zu dieser Figur in Mistelbach einzuholen, aber sein Mistelbacher Kontakt (ein nicht namentlich genanntes Mitglied des hiesigen Deutschen Turnvereins) vermeldete lediglich, dass eine solche Figur in Mistelbach nicht existiere bzw. nichts darüber bekannt sei. Daher äußerte Kießling Zweifel ob es sich nicht um eine Verwechslung der Örtlichkeit handelte oder alternativ vermutete er, dass das Denkmal mittlerweile abgekommen sei. Aufgrund der oben abgebildeten Zeichnung vermutete Kießling hinter der gestauchten quaderförmigen Figur, die Darstellung einer Person, die auf einem Straf- bzw. Schandbock gespannt war. Der Bock (auch Stock genannt) war eine Holzkonstruktion (Holzklotz oder -gestell) mit Ausnehmungen für Arme, Beine und den Kopf, die den Verurteilten in eine unangenehme gebückte bzw. hockende Körperhaltung zwang. Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert waren derartige „Ehrenstrafen“ durchaus üblich und der Bock/Stock soll eine Strafe für Männer gewesen sein, die sich Raufereien, üble Nachrede, Ehezänkereien, Ungehorsam gegenüber der Ortsobrigkeit, etc. zu Schulden kommen ließen. Ähnlich der Schandfiedel (Halsgeige), bei der Kopf und Hände in ein Brett eingezwängt wurden und die bei den oben genannten Delikten für die Bestrafung von Frauen vorgesehen war, handelte sich um eine Bestrafung, die an einem öffentlichen Ort abgebüßt werden musste. Gerade die Öffentlichkeit und die damit verbundene Schande und Demütigung war ein wesentlicher Teil dieser meist einige Stunden dauernden Tortur. Daher wurden derart bestrafte Personen an prominenten Plätzen, etwa dem Marktplatz bzw. an der Prangersäule oder an sonst stark frequentierten Plätzen und Straßen, zur Schau gestellt. Die obige Zeichnung der Skultpur, die die Anbringung an einer Hausecke nahelegt dürfte Kießling auf die Idee gebracht haben, dass es sich bei dem Steinbildnis um ein Rechtsdenkmal (ähnlich einem Pranger) handelte mit dem eine Häuserecke markiert worden sein könnte, an der die geschilderte Strafe verbüßt werden musste.5 Wie sich in einem Nachtrag in der folgenden Ausgabe herausstellte, waren die Informationen seines Mistelbacher Vertrauten nicht korrekt und Kießling hatte zwischenzeitlich einen Brief vom Leiter des Mistelbacher Museums Karl Fitzka erhalten in dem dieser erläuterte, dass sich das gegenständliche Steinbildnis nicht an einer Straßenecke befinde, sondern sich ursprünglich an der „inneren Garten- und Hof-Mauer des ebenerdigen Hauses in der Bahnstraße Nr. 1“ befunden habe. Aber schon vor Jahren sei die Skulptur vom Besitzer des Hauses dem städtischen Museum übergeben worden. Nachdem nun der Verbleib der Figur geklärt war, blieb Kießling bei seiner Rechtsdenkmal-These und vermutete den Ursprung des Steinbildnisses im 16. oder 17. Jahrhundert.6 Ein drittes und letztes Mal findet sich in der Beitragsreihe dann noch ein Verweis auf die Mistelbacher Skulptur und zwar in Zusammenhang mit einem kurzen Beitrag mit dem Titel „Über Schandsteine und Schand-Ecken“. Kießling vermutete in einer Fußnote zu diesem Beitrag, dass auch dieses Steinbildnis einst über einer solchen „Schandecke“ angebracht war. Er mutmaßt weiter, dass das Denkmal von einem späteren Hausbesitzer abmontiert worden sein dürfte, schließlich konnte ein solches Bildnis in späterer Zeit als ehrenrührig empfunden worden sein bzw. Anlass für Spott geboten haben. So sei es dann schließlich an seinen letzten Standort und zwar die Innenseite einer Garten- bzw. Hofmauer gekommen.7

Links neben dem 1873 errichteten Schulgebäude in der Bahnstraße (heute Teil des Gebäudekomplexes der Mittelschulen) das alte bis ca. 1904 bestehende Gebäude mit der für ein Eckhaus üblichen Doppeladresse Bahnstraße 1/Mitschastraße 2Links neben dem 1873 errichteten Schulgebäude in der Bahnstraße (heute Teil des Gebäudekomplexes der Mittelschulen) das alte bis ca. 1904 bestehende Gebäude mit der für ein Eckhaus üblichen Doppeladresse Bahnstraße 1/Mitschastraße 2

Der Blick vom Schulgebäude in der Bahnstraße über die Dächer des Wiedenviertels hinweg auf die am Kirchenberg thronende Pfarrkirche. Auf dieser Aufnahme aus der Zeit zwischen 1898 und 1904 (möglicherweise 1903) ist am unteren Bildrand teilweise das Haus Bahnstraße Nr. 1 und ein Teil des Gartens, sowie die diesen umgebende Mauer abgebildet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Skulptur bereits in den Beständen des Museums und es ist ersichtlich, dass die Gartenmauer in die die Skulptur einst eingemauert gewesen sein soll, recht niedrig war und ihre Innenseite ansonsten ohne jegliche sonstige Zierde gestaltet war.Der Blick vom Schulgebäude in der Bahnstraße über die Dächer des Wiedenviertels hinweg auf die am Kirchenberg thronende Pfarrkirche. Auf dieser Aufnahme aus der Zeit zwischen 1898 und 1904 (möglicherweise 1903) ist am unteren Bildrand teilweise das Haus Bahnstraße Nr. 1 und ein Teil des Gartens, sowie die diesen umgebende Mauer abgebildet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Skulptur bereits in den Beständen des Museums und es ist ersichtlich, dass die Gartenmauer in die die Skulptur einst eingemauert gewesen sein soll, recht niedrig war und ihre Innenseite ansonsten ohne jegliche sonstige Zierde gestaltet war.

Fitzka meldete sich jedoch nicht nur bei Kießling, sondern informierte auch die „k.k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der kunst- und historischen Denkmale“ in Wien darüber, dass sich die Skulptur mittlerweile in den Beständen des damals im Rathaus untergebrachten Mistelbacher Heimatmuseums befand.8 Die Kommission ersuchte daraufhin um Übermittlung zweier Fotografien (Front- und Seitenansicht) und diesem Ersuchen leistete Fitzka selbstverständlich umgehend Folge.

Wahrscheinlich die älteste fotografische Darstellung der Skulptur und möglicherweise eines der Fotos, die für die Zentral-Kommission angefertigt wurdenWahrscheinlich die älteste fotografische Darstellung der Skulptur und möglicherweise eines der Fotos, die für die oben erwähnte Zentral-Kommission angefertigt wurden

 

Vorderansicht der Steinskulptur - Höhe: 45 cm, Breite: 27 cmVorderansicht der Steinskulptur – Höhe: 45 cm, Breite: 27 cm

 

Seitenansicht der Steinskulptur - Tiefe: 21 cm; beim rauhen Teil rechts handelt es sich um Mörtelreste aus der Zeit als die Figur Teil einer Mauer warSeitenansicht der Steinskulptur – Tiefe: 21 cm; beim rauhen Teil rechts handelt es sich um Mörtelreste aus der Zeit als die Figur Teil einer Mauer war

Fitzka griff die Deutung Kießlings in seiner im „Mistelbacher Bote“ erschienenen Artikelserie „Nachträge und Ergänzungen zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ unter dem Titel „Ein altertümliches Rechtsdenkmal“ 1907 auf und lieferte eine Zusammenfassung der zu diesem Steinbildnis bekannten Informationen bzw. auf Kießlings Einschätzung gestützt Beschreibungen von Gerätschaften zur Bestrafung.9 Die in den Jahren 1907-1908 veröffentlichten Nachträge und Ergänzungen wurden später zu einem 1912 vollendeten, jedoch erst 1913 erschienenen „Nachtrags- und Ergänzungsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach“ (Band II) zusammengefasst.10 Schon in Fitzkas auszugsweise als Replik auf Kießlings Beitrag im „Bote aus dem Waldviertel“ abgedruckten Brief schreibt er, dass es sich um eine Figur aus Marmor handle. Allerdings um keinen echten Marmor, sondern sogenannten „salzburgischen Marmor“. Dabei handelt es sich um im Flachgau abgebauten hochwertigen Kalkstein, der aufgrund seiner hohen Dichte eine marmorähnliche Polierfähigkeit aufweist und daher bei Bildhauern sehr beliebt war.11 Die Farbe der Steinfigur schwankt je nach Lichteinfall zwischen rosa und beige. Fitzka gibt den Zeitpunkt an dem die Steinskulptur dem Museum durch den Besitzer des Hauses Bahnstraße 1/Mitschastr. 2, Stadtsekretär Alexander Zickl, übergeben wurde mit dem Jahr 1899 an.12 Zickl, der 1915 nach dem Tod Fitzkas die Leitung des städtischen Museums übernahm, sorgte also dafür, dass diese Skulptur bereits einige Jahre vor dem um etwa 1904 erfolgten Abbruch des alten Hauses Bahnstraße 1 und dessen Neuerrichtung als prachtvolles Wohn- und Geschäftshaus in die Bestände des Mistelbacher Heimatmuseums kam. Den Hausbesitzern des Jahres 1900 sind in Fitzkas Geschichte der Stadt Mistelbach auch jene im Jahr 1799 gegenübergestellt und damals scheint als Besitzer des Eckhauses Bahnstraße/Mitschastraße (=Konskr. Nr. 379)  ein Maurermeister namens Franz Poller auf13 und Fitzka mutmaßt, dass dieser die Steinskulptur aufgrund des wertvollen Materials in sein Haus integriert haben könnte. Fitzka schildert die Standortgeschichte soweit nachvollziehbar wie folgt: der Interpretation Kießlings vertrauend vermutete er dass sich das Bildnis einst an einer Häuserecke befand, ob dies tatsächlich die Ecke Bahnstraße/Mitschastraße gewesen sei – lässt er offen. Erwiesenermaßen sei sie dann an der Innenseite der Gartenmauer des Hauses Bahnstraße 1 eingemauert gewesen und später in die Hofmauer desselben Hauses versetzt worden. Dies war der letzte Standort der Skulptur ehe sie dem Heimatmuseum übergeben wurde.

In falscher Deutung des rauhen, kreisförmigen Endes über dem Kopf der Figur bzw. einer Fehlinterpretation der gezeichneten Darstellung aus 1891 ließ Fitzka einen spitzen steinernen „Aufsatz“ für die Skulptur anfertigen.

Die in Fitzkas Nachtrags- und Ergänzungsband veröffentlichte Fotografie des Denkmals mit der „falschen Spitze“

Es ist erstaunlich, dass trotzdem sich die Figur offenbar bereits 1899 in den Beständen des städtischen Museums befand, selbige weder von Fitzka in seiner 1901 erschienenen Geschichte der Stadt Mistelbach, noch im von Don Clemens Cžácha verfassten Mistelbach-Beitrag im Rahmen der Topographie des Vereins für Landeskunde Erwähnung findet. Dies deutet darauf hin, dass man offenbar so rein gar nichts mit der Skulptur anzufangen wusste.

1914, also im Jahr nachdem Fitzkas zweiter Band zur Geschichte Mistelbachs erschien, veröffentlichte Kießling einen Teil seiner zuvor im „Bote aus dem Waldviertel“ erschienen Beiträge in Buchform unter dem Titel: „Altertümische Kreuz- und Quer-Züge“.14 Darin fasst er auf den Seiten 85-86 nochmals die bisherigen Erkenntnisse zu diesem Steinbildnis inklusive seiner Deutung der Skulptur als Rechtsdenkmal zusammen. Ebenso erneuerte er seine Datierung auf das 16. – 17. Jahrhundert und widersprach damit einer offenbar von Fitzka geäußerten (oder nur übermittelten) Vermutung, die das Steinbildnis ins 12. – 13. Jahrhundert verortete und zwar mit der Begründung, dass derartige Darstellungen im deutschen Sprachraum zu jener Zeit schlicht nicht gegeben habe. Durch seine Behandlung der Skulptur hatte er ihr jedenfalls einiges an Aufmerksamkeit beschert, denn unter Bezugnahme auf Korrespondenz mit Fitzka schreibt er, dass selbige seither das Interesse vieler Fachleute auf dem Gebiet der Archäologie und Altertumskunde gefunden habe, die Experten aber keine Erklärung zu ihre Bedeutung bzw. Herkunft gehabt hätten.15 Die wirklich bedeutende neue Information findet sich allerdings erst im Anhang, in dem er zu verschiedenen Beiträgen Nachtragsnotizen liefert und hier ist auf Seite 627 zu lesen: „Zu Seite 85: Mistelbach (Merkwüridge Skulptur): Gelegentlich einer Besichtigung der Burg Lichtenstein (sic!) bei Mödling, im Laufe des Monats Mai 1909, bemerkte der Verfasser eine „Skulptur“, die der zu Mistelbach ähnlich erscheint. Sie befindet sich auf dem Kapitäle einer aus Stein gemeißelten Säule, die das linksseitige Gewände einer Tür bildet, die aus dem im ersten Stockwerke gelegenen Büchereizimmer auf einen kleinen Söller hinausführt, der in der Richtung gegen den Gasthof Hodwagner angebracht ist. Möglicherweise ist auch das Mistelbacher, für manche Forscher noch rätselhafte Bildwerk, als ein dem 15. Jahrhunderte zuzuzählendes „Kapitäl“ anzusprechen. …“16 Es erstaunt, dass Kiesling diese wesentliche Erkenntnis, auf die er offenbar schon fünf Jahre vor Erscheinen des Buches gestoßen ist, nicht direkt in den Beitrag aufnahm, sondern selbige im sehr umfangreichen und zahlreiche Nachträge enthaltenden Anhang versteckt. Bedeutsam ist allerdings vielmehr der Inhalt, und zwar, dass der Urheber der „Rechtsdenkmaltheorie“ diese selbst verworfen hat und als erster nunmehr die Skulptur als Teil einer Säule interpretierte. Durch die Tatsache, dass dieses Buch zu spät erschien, um noch in Fitzkas zweiten Band einfließen zu können und den Umstand, dass diese bedeutende Information im Anhang versteckt war, wurde sie in Mistelbach leider nicht zur Kenntnis genommen.

Die nächste Erwähnung findet die Figur in einem Artikel des „Mistelbacher Bote“ zu Beginn des Jahres 1924, wo der Volkskundler Anton Mailly selbige unter dem Titel „Mistelbacher Skulptur“ wie folgt beschreibt und interpretiert:
„Die sogenannte „Mistelbacher Skulptur“ im Museum zu Mistelbach hat die Gestalt einer wie etwa in einem barocken Block eingezwängten Figur, von der nur der Kopf und die verkümmerten Hände und Beine sichtbar sind. Der gelockte Kopf hat ein knabenhaftes Aussehen. Oberhalb des Kopfes ist das Standbild glatt und wagrecht (sic!) abgemeißelt. Die sonderbare Kopfbedeckung wurde in neuerer Zeit in der Meinung angebracht, daß sie zur Vervollständigung der Figur gehöre, weil sie für ein Rechtssymbol (einen in Bock gespannten Mann) gehalten wurde. Das jugendliche, schalkartige Gesicht und vor allem die Platte sprechen schon gegen diese Annahme. Die Figur ist eine gewöhnliche Sockelfigur einer Säule, eines Pfeilers oder eines Bogens gewesen, wie man solche originelle Darstellungen, die den Druck einer schweren Last gar trefflich zum Ausdruck bringen in alten Klöstern, Kirchen und Burgen oft findet. Als Beispiele hiefür könnte man unter anderen den knieenden Mann im Millstätter Klostergang, der auf dem Kopfe eine Säule trägt, und den Träger eines Bogens im Kreuzgang zu Königslutter erwähnen.
Anton Mailly (Wien)“17

Mailly veröffentlichte 1927 ein kleines Büchlein mit dem Titel „Sagen aus dem Bezirk Mistelbach“ und es erscheint wahrscheinlich, dass er bei den Recherchen zu diesem Werk auf die Steinskulptur aufmerksam wurde und sich veranlasst sah eine Richtigstellung bezüglich deren Bedeutung zu veröffentlichen. Doch leider blieb auch Maillys Richtigstellung nicht dauerhaft im Geschichtsgedächtnis der Stadt bzw. fand offenbar nicht den Weg in die Aufzeichnungen des Heimatmuseums.

Univ.-Prof. Dr. Herbert Mitscha-Märheim, der seit den 1930er Jahre selbst im Heimatmuseum als wissenschaftlicher Berater wirkte, widmete der Skulptur, die er als „Mensch im Stein“ titulierte  im Jahre 1976 einen Beitrag in der heimatkundlichen Schriftenreihe „Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart“ in dem er (in Unkenntnis der Richtigstellung Kießlings und der Darstellung Maillys) selbst zu dem Schluss kam, dass es sich um die Sockelskulptur einer Säule („Säulenfuß“) handelte. Die 16 cm messende kreisrunde, rauhe Fläche über der Figur deutete für ihn klar darauf hin und würde daher für eine Säule ebensolcher Stärke sprechen. Unter Beiziehung von Experten kam er zu dem Schluss, dass es sich um ein Bildnis aus der (Spät)Renaissance handeln dürfte, und zwar vermutlich um den (Sockel-)Fuß eines Portal-/Türpfeilers aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Mitscha-Märheim stellt die bemerkenswerte und durchaus plausible These auf, dass es sich hierbei um einen Überrest der alten, romanischen Pfarrkirche handeln könnte, die zuletzt als Wallfahrtskirche genutzt wurde und Ende des 18. Jahrhunderts abgetragen werden musste (mehr dazu im Beitrag Wallfahrtsort Mistelbach). Er mutmaßt, dass die Figur einst einen Torpfeiler beim Abgang in die unterhalb der alten Pfarrkirche gelegene Gruftkapelle gestützt haben könnte und interpretiert die Figur folgendermaßen: „Der in seine Sündenlast eingeschlossene tote Mensch blickt aus seiner Gruft sehnsuchtsvoll auf Vergebung und Erlösung hoffend dem göttlichen Gericht am Jüngsten Tag entgegen.“ Diese Deutung würde jedenfalls zum düsteren und morbiden, von zahlreichen Schädeln und Knochen geprägten, Erscheinungsbild der Gruftkapelle gepasst haben. Nachdem die Datierung in die Zeit des 30-jährigen Krieges fällt, dessen Schrecken und Verwüstungen auch Mistelbach heimsuchte, scheint es laut Mitscha-Märheim durchaus denkbar, dass vom damaligen Dechant und Pfarrer Paul Pörsi Reparaturen, wie etwa die Wiederherstellung eines Portals, in Auftrag gegeben werden mussten. 18 Wie viele andere Wallfahrtskirchen musste auch die Gruftkapelle mit der samt der darüber befindlichen Kirche 1783 aufgrund eines kaiserlichen Erlasses abgebrochen werden. Möglicherweise war der bei Fitzka erwähnte Maurermeister Poller an den Abbrucharbeiten der alten Pfarrkirche beteiligt und sicherte sich dieses Bildnis, dass er als Zierrat in seine Gartenmauer einbaute. Wenn dem so war, so ist es ihm zu verdanken, dass ein Stück Bausubstanz der alten Pfarrkirche bzw. der Gruftkapelle die Jahrhunderte überdauert hat.

Die Skulptur im Jahre 2019 im StadtmuseumsarchivDie Skulptur im Jahre 2019 im Stadt-Museumsarchiv

Bildnachweise:
-) älteste Abbildung 1891: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien, Band XXVIII (1891), S. 60 (online bei Google Books)
-) altes Haus Bahnstraße 1: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Ansicht Innenhof Bahnstraße 1: zVg von Frau Christa Jakob aus der Dokumentation „Verdrängt und Vergessen- Die jüdische Gemeinde in Mistelbach“ (Buch und Dauerausstellung)
-) vermutlich älteste Fotografie: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach
-) Front und Seitenansicht der Skulptur: Göstl-Archiv
-) Foto der Skultpur mit „Aufsatz“: Stadt-Museumsarchiv Mistelbach bzw. Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1912), zw. S. 66-67
-) Foto 2019: Thomas Kruspel, 2019

Quellen:

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Wedra, Rudolf

Reichsratsabgeordneter Kommerzialrat Rudolf Wedra

* 21.3.1863, Littau, Mähren
† 15.3.1934, Hanfthal

Rudolf Wedra wurde als Sohn des Schuhmachermeisters und Wirtschaftsbesitzers Stefan Wedra und dessen Gattin Johanna, geb. Wachler, 1863 im mährischen Littau geboren.1 Sein Vater war zwischen den 1860er Jahren und 1900 mehrere Perioden hindurch erster Gemeinderat und damit Bürgermeisterstellvertreter der Stadt Littau.2 Nach dem Besuch von Volksschule und Unterrealschule absolvierte Rudolf Wedra die vier Jahrgänge umfassende Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt im nordböhmischen Trautenau, wo er 1883 die Reifeprüfung erfolgreich ablegte. Vermutlich leistete er im Anschluss seinen Militärdienst, denn erst ab 1885 ist eine Tätigkeit als Lehrer belegt. Seine erste Station als Probelehrer führte ihn nach Altlichtenwarth und am 3. April 1886 legte er in Wien, damals auch die Hauptstadt des Kronlandes „Österreich unter der Enns“ (=Niederösterreich), erfolgreich die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen ab. An seinem ersten Dienstort lernte Wedra seine spätere Ehefrau, die Landwirtstochter Maria Marchhart (*1865, †1937), kennen, mit der er schließlich am 2. August 1887 in der Pfarre St. Johann Nepomuk in Wien-Leopoldstadt den Bund der Ehe schloss.3 Doch dem Ehepaar Wedra war kein Familienglück beschieden, da in den folgenden Jahren die fünf dieser Ehe entstammenden Kinder allesamt im Säuglings- bzw. frühen Kleinkindalter verstarben.4 Kurz nachdem 1893 das letzte Kind Wedras verstarb, wurden drei Kinder der Familie Gillich aus Altlichtenwarth, dem Heimatort von Wedras Gattin und seinem vormaligen Dienstort, binnen eines Jahres zu Vollwaisen5 und die Wedras nahmen sich der Gillich-Kinder Josef (7 Jahre)6, Maria (5 Jahre)7 und Theresia (2 Jahre)8 als Zieheltern an. Zwar scheint keine formalrechtliche Adoption erfolgt zu sein, denn eine Änderung des Namens der Kinder blieb aus, aber die Wedras zogen die Gillich-Kinder in der Folge wie ihre eigenen Kinder groß.9 Immer wieder findet sich in verschiedenen Zeitungsberichten auch die Information, dass es sich bei den Kindern um Nichten bzw. einen Neffen Wedras gehandelt hätte, allerdings konnte im Zuge der Recherchen für diesen Beitrag kein wie auch immer geartetes, tatsächliches Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Familien Gillich und Wedra bzw. Marchhart festgestellt werden.10

Bereits vor seiner Eheschließung im Sommer 1887 wechselte Wedra als Unterlehrer an die Volksschule im nahegelegenen Hohenau, bevor er schließlich 1888 als Oberlehrer (=Schulleiter) an die drei Klassen umfassende Volksschule nach Eibesthal kam.11 Seine Gattin Maria war ab 1890 als Industrielehrerin (=Handarbeitslehrerin) ebenfalls an dieser Schule tätig. An seinem neuen Dienstort entfaltete Wedra in vielen Bereichen sehr rege Aktivitäten: Er zählte 1889 zu den Initiatoren der Gründung der Raiffeisenkasse Eibesthal, die zu den ersten im Weinviertel zählte, und übernahm ab dem Zeitpunkt der Gründung über 18 Jahre hinweg – unentgeltlich – das Amt des Zahlmeisters.12 Ende der 1880er bzw. in den 1890er Jahren litt der Weinbau in unserer Gegend unter der eingeschleppten Reblaus und Pflanzenkrankheiten wie der Peronospora (falscher Mehltau) und Oberlehrer Wedra versuchte den Eibesthaler Weinbauern mittels Vorträgen und Schulungen das notwendige Wissen für den Kampf gegen diese Plagen zu vermitteln und leistete somit einen Beitrag zur Abwehr dieser existenziellen Bedrohungen für den Hauerstand. Nachdem Wedra sich bereits während seiner Hohenauer Zeit bei der dortigen Freiwilligen Feuerwehr engagiert hatte, wurde er unmittelbar nach seiner Ankunft auch bei der drei Jahre zuvor gegründeten Freiwilligen Feuerwehr Eibesthal aktiv und war von 1895 bis 1903 Hauptmannstellvertreter dieser Wehr.13 Außerdem gehörte er dem Ausschuss des Feuerwehrbezirksverbands Mistelbach (= ehemaliger Gerichtsbezirk Mistelbach) an und stand dem Bezirksverband von 1899 bis 1903 auch als Obmann vor.14 Darüber hinaus erfüllte er auch seine Aufgaben als Schulleiter mustergültig und ließ auf eigene Kosten einen Schulgarten sowie einen Schnittweingarten und kleine Nebengebäude (Wagenschupfen, Stall, …) zum Schulhaus errichten.15

Wie für die damalige Zeit üblich übernahm Wedra als Dorflehrer auch die Leitung der Kirchenmusik als sogenannter „regens chori“ und diente als Organist, wodurch sich natürlich eine enge Zusammenarbeit mit dem damaligen Pfarrer von Eibesthal, Franz Riedling, ergab. Auf Anregung des Pfarrers studierte Wedra ab Beginn der 1890er Jahre mit seinen Schulkindern im Dialekt geschriebene Krippenspiele ein, die an den Weihnachtsfeiertagen im Schulgebäude aufgeführt wurden. Es ist Wedras großer Leidenschaft und seinem Einsatz für dieses Projekt geschuldet, dass diese Aufführungen bald auch Besucher aus den Nachbarorten anlockten und der zunehmende Erfolg ließ in Pfarrer Riedling die Idee reifen, ob aus diesen kleinen Anfängen nicht etwas Großes, nämlich geistliche Festspiele in Form eines Passionsspiels, entstehen könnte. Die Einnahmen aus solch einem Vorhaben würden vielleicht auch den Traum des Pfarrers von einem Neubau der alten, feuchten und ohnedies zu kleinen Eibesthaler Kirche ermöglichen. Auch für die Idee der Etablierung von Passionsspielen fand Riedling in Wedra einen begeisterten Verbündeten. Die Bevölkerung war hingegen zunächst nur schwer von dieser Idee zu überzeugen, aber nach mühsamer Überzeugungsarbeit konnten Pfarrer und Lehrer mit vereinten Kräften siebzig der wohlhabenderen Ortsangehörigen dafür gewinnen, die zu Beginn eines solchen Großprojekts anfallenden Kosten vorzufinanzieren.16 Die Eibesthaler Passionsspiele fanden zwischen den Jahren 1898 bis 1911 insgesamt neun Mal  mit wechselhaftem wirtschaftlichen Erfolg (dazu noch später mehr) statt. Nachdem zu Beginn die Leidensgeschichte aufgeführt wurde, wurden später auch andere Begebenheiten aus dem Leben des Jesus von Nazareth bzw. biblische Szenen dargeboten und somit ist die damals verwendete Bezeichnung „Geistliche Festspiele“ tatsächlich passender. Sogar eine rund 800 Personen fassende Festspielhalle wurde eigens zu diesem Zweck in Form einer Holzkonstruktion errichtet. Bis 1905 wirkte Oberlehrer Wedra als Spielleiter und damit als Hauptverantwortlicher der Aufführungen, die im Laufe ihres Bestehens auch von zahlreicher Prominenz aus der Reichshauptstadt (Bgm. Dr. Lueger, Kardinal Nagl, Erzherzöge, etc.), sowie teils von internationalen Gästen besucht wurden. Sein Ausscheiden, das wohl auch gesundheitlichen Rücksichten geschuldet war, hätte beinahe auch das Ende der Passionsspiele bedeutet, doch glücklicherweise bildete sich nach einiger Zeit der Inaktivität, 1907 ein Komitee das sich erfolgreich um die Fortführung der Festspiele bemühte.17

Nachfolgend zwei Bilder aus der Zeit während der Wedra als Spielleiter wirkte:

"Das Heilige Abendmahl" aus einer Aufführung im Jahre 1899„Das Heilige Abendmahl“ aus einer Aufführung im Jahre 1899

 

"Die Kreuzigung Christi" aus einer Aufführung im Jahre 1904„Die Kreuzigung Christi“ aus einer Aufführung im Jahre 1904

Am 29. März 1904 wütete im Eibesthaler Oberort ein durch den an diesem Tag herrschenden Sturm begünstigter, verheerender Brand bei dem zweiunddreißig Kleinbauernfamilien ihre Wohnhäuser verloren und auch zahlreiche Wirtschaftsgebäude teils samt Nutzvieh, Futtervorräten und landwirtschaftlichen Geräten, wurden vernichtet. (Näheres zu dieser Brandkatastrophe im Beitrag „Der Großbrand in Eibesthal im Jahre 1904„) Ein Todesopfer war zu beklagen, doch es standen auch jene, die mit dem Leben davon gekommen waren vor dem Nichts, da ein Großteil der betroffenen Familien überhaupt nicht oder nur unzureichend versichert war. Unter rastlosem Einsatz organisierte Wedra zusammen mit der Gemeindevertretung und dem Pfarrer von Eibesthal eine Hilfsaktion und mittels der dabei gesammelten Geld- und Sachspenden konnte den Brandopfern geholfen und der Wiederaufbau ihrer Häuser bewerkstelligt werden.18

Wedras große Leidenschaft galt der Musik und sein diesbezüglicher Wirkungsbereich beschränkte sich nicht nur auf Eibesthal, sondern auch im Musikleben der nahegelegenen Stadt Mistelbach war er als Mitglied beider damals dort bestehenden Musikvereine19: „Verein der Musikfreunde“, der sich ab 1908 „Gesangs- und Musikverein Mistelbach“ nannte und dessen Obmannstellvertreter Wedra von 1908 bis 1910 war20, und Männergesangsverein Mistelbach aktiv (1934 fusionierten diese beiden Vereine schließlich). Er war für seine „abgrundtiefe“ Bassstimme bekannt und betätigte sich gelegentlich auch als Komponist. Wedra erteilte in Eibesthal während seiner Zeit als Lehrer auch privaten Musikunterricht und war somit für die Heranbildung des musikalischen Nachwuchses im Ort verantwortlich. Außerdem war er auch Mitglied im Wiener Männergesangsverein und zwar schon lange bevor ihn seine politische Karriere nach Wien führte. Er war es auch der sich tatkräftig dafür einsetzte, dass die Maifahrt des Wiener Männergesangsvereins im Jahre 1909 nach Mistelbach führte.21 Mehr zu diesem Großereignis im Beitrag Mistelbach in der Zeitung – Teil 3 (1908-1918). An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass neben vielen anderen Bereichen auch das Sängerwesen damals ideologisiert und stark deutsch-national geprägt war. Auch nach dem Ende seiner Tätigkeit als Leiter der Kirchenmusik, vermutlich anlässlich seines Übertritts in den Ruhestand, gehörte Wedra weiter dem Eibesthaler Kirchenchor an und zwar bis zu seinem Abschied aus diesem Ort.22

Bevor Wedras politisches Engagement nachfolgend näher beleuchtet wird, ist es notwendig, ein wenig auf seine Herkunft einzugehen, die seine politischen Ansichten sicherlich maßgeblich geprägt hat. Während die Deutschen in Littau zur Mitte des 19. Jahrhunderts, also zur Zeit der Geburt Wedras, klar die Bevölkerungsmehrheit stellten, wandelte sich dieses Verhältnis, sodass die Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehrheitlich von Tschechen bewohnt wurde. In dieser Zeit tobte in der Monarchie bereits der Nationalitätenkonflikt, im besonderen zwischen Deutschen und Tschechen bzw. ihren jeweiligen nationalistischen Exponenten, der sich unter anderem an Fragen von Amtssprache und Unterrichtssprache vor allem in den Gebieten an der Sprachgrenze entzündete und der die Monarchie in den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens politisch lähmte. Letztlich ging es wie in allen Nationalitätenkonflikten darum, wer die älteren Anrechte auf bestimmte Gebiete hatte, die sich dann in der Wahrnehmung der Volksgruppen entweder als „Verteidigung gegen (schleichende) Tschechisierung“ oder „Beendigung Jahrhunderte währender Unterdrückung der tschechischen Nation“ bzw. „Rückabwicklung der Germanisierung“ manifestierte. Insgesamt sahen sich die Deutschen in der Monarchie aufgrund der politischen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer privilegierten Stellung bzw. dem Bestand ihrer seit Jahrhunderten bewohnten Siedlungsgebiete bedroht und zur Unterstützung der „Grenzlanddeutschen“ wurden sogenannte Schutzvereine gebildet, die bspw. deutschsprachige Schulen an Orten finanzierten, in denen (nunmehr) lediglich deutsche Minderheiten existierten, und die sich stark für das Deutschtum einsetzten. Diese stark national ausgerichteten, nicht selten auch bereits auf Basis völkischer Ideologie agitierenden, Vereine trugen gemeinsam mit der forsch auftretenden tschechischen Nationalbewegung zur immer weiteren Eskalation des Konflikts bei. Wie eingangs bereits geschildert war Wedras Vater in der Gemeindepolitik seiner Heimatstadt engagiert und zusätzlich in zahlreichen deutschen Schutzvereinen aktiv, etwa als Obmann der Littauer Ortsgruppe des „Bundes der Deutschen Nordmährens“ oder als Mitglied im „Deutschen Schulverein“ und weiterer nationaler Vereine.23 Die demografische Veränderung in seiner Heimatstadt nahm er als “Verlust der Heimat” wahr, wie er dies in verschiedenen Reden immer wieder eindrücklich darlegte24, und diese einschneidende Erfahrung war zweifellos die bedeutendste Triebfeder seines späteren politischen Handelns. Mit Sicherheit haben auch die politische Sozialisierung in einem deutsch-nationalen Elternhaus bzw. der väterliche Einfluss maßgeblich zu Wedras politischer (Vor-)Prägung als Deutsch-Nationaler beigetragen.

Wedra bezeichnet sich selbst als einen treuen Katholiken und wurde, insbesondere ob seines Einsatzes für die Eibesthaler Passionsspiele von Zeitgenossen daher zunächst politisch eher in der Nähe der Christlich-Sozialen gesehen. Zweifellos jedoch stets deutschbewusst – ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend – zeigt sich sein politisches Wesen erst eher spät. In einer medial vielbeachteten, wütenden Rede bei einer Volksversammlung im Vorfeld des Lehrertages des niederösterreichischen Landeslehrervereins 1901 in Klosterneuburg wetterte er heftig gegen die Schulpolitik der damals in Niederösterreich (inkl. Wien) regierenden Christlich-Sozialen bzw. deren Umgang mit den Lehrern. Die Schule war damals ideologisches Kampfgebiet, denn als „freisinnig“ bzw. „freiheitlich“ bezeichnete Lehrer (= Sozialdemokraten und Deutsch-Nationale) kämpften seit vielen Jahren dafür den Einfluss der Kirche aus den Schulen zurückzudrängen. Die christlich-soziale Partei, die der katholischen Kirche sehr nahe stand, nutzte ihren Einfluss um politisch anders gesinnte Lehrer zu maßregeln und trachtete deren Einfluss als Teil der Intelligenz auf dem Land einzuschränken. In der Lehrerschaft gärte es ohnedies bereits aufgrund sich seit Jahren verschärfender Missstände: schlechte Bezahlung im Vergleich zu anderen Beamten, der Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeiten während der Ferienzeit, der unzureichenden Ruhestandsversorgung, und darüber hinaus empfanden die Lehrer, dass ihr oftmals vielfältiges gemeinnütziges Wirken in den Ortschaften (als Chronist, bei Raiffeisenkasse, Feuerwehr, Chormusik, …) zu wenig geschätzt und gewürdigt werde. Wedras wutentbrannte Rede entzündete sich insbesondere an einer kurz zuvor stattgefundenen Diskussion im niederösterreichischen Landtag in der es um die Maßregelung von Lehrerkollegen aus politischen Gründen ging und bei der seitens der Christlich-Sozialen eine Beschränkung der Lehrer in ihren Grundrechten (zB den Auftritt bzw. die Teilnahme bei politischen Veranstaltungen) angedacht wurde. Im Zuge dieser Debatte äußerten sich führende Christlich-soziale, darunter auch der Wiener Bürgermeister Lueger, abschätzig über die von den politisch motivierten Maßregelungen betroffenen Lehrer. Diese Ereignisse und deren mediale Darstellung in der christlich-sozialen Parteipresse brachte für Wedra das Fass zum Überlaufen und er traf mit seinen von großem Applaus begleiteten Ausführungen den Nerv zahlreicher Lehrerkollegen.25

Dieser erste öffentliche politische Auftritt Wedras markiert einen Wendepunkt in seinem Leben, denn er zog damit den Zorn einflussreicher Christlich-Sozialer auf sich und wurde in der dieser Partei nahestehenden Presse heftig angegriffen. Auch in seinem beruflichen Alltag dürfte er danach einigen Schikanen ausgesetzt gewesen sein. Der vielbeachtete Auftritt beim Lehrertag – seine Rede wurde in allen großen Zeitungen teils wörtlich wiedergegeben – hatte jedoch auch Konsequenzen für die von ihm initiierten Passionsspiele, denn die Christlich-Sozialen und die von ihnen beherrschten Medien wollten ihm sein Verhalten durch einen Boykott dieser Veranstaltung spüren lassen. Da der Ort viel investiert hatte, stand Wedra damit natürlich unter Druck, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass eben genau die Leser christlich-sozialer Zeitungen die maßgebliche Zielgruppe für „geistliche Festspiele“ waren.26 Die Saison 1901 endete jedenfalls mit einem Defizit und nachdem die Spiele von 1898 bis 1901 jährlich stattfanden, war das Pausieren in den Jahren 1902-1903 wohl auch eine Folgeerscheinung des Boykotts, und der Beginn eines unregelmäßigen Spielbetriebs in den Folgejahren. Diese Erfahrungen in Folge seines Auftritts beim Lehrertrag ließen ihn zweifellos zu einem entschiedenen Gegner der Christlich-Sozialen werden und festigte die in ihm, die wohl ohnedies bereits angelegte deutsch-freiheitliche Gesinnung.

Ende April 1906 wurde Wedra auf eigenes Ersuchen in den Ruhestand versetzt, aufgrund eines wohl durch Überarbeitung zugezogenen Nervenleidens („hochgradige Nervosität“).27 Allerdings erholte er sich aufgrund seiner guten Konstitution bald wieder und widmete sich fortan dem Aufbau seines Weinhandels, den er bzw. seine Gattin bereits seit 1904 betrieben.28 Er handelte nicht nur mit Weinen, sondern trieb auch seit einigen Jahren selbst Weinbau und baute seinen Besitz an Weingärten sukzessive aus.29 Entsprechendes Fachwissen dürfte er sich im Zuge seines eingangs bereits geschilderten Engagements im Kampf gegen die Reblaus schon in den 1890er Jahren angeeignet haben. Sein Weinhandel, mit dem er von 1910 bis Ende Juli 1924 im Handelsregister eingetragen war florierte30 und in der Folge ließ er die sogenannte Wedra-Villa samt einem großen Kellerei- und Weinhandelsbetrieb erbauen.

Nach seinem Übertritt in den vorzeitigen Ruhestand konnte sich Wedra auch ohne Furcht vor beruflichen Konsequenzen politisch engagieren und er wurde bei den Gemeindeausschusswahlen des Jahres 1906 als Gemeindebeirat in den Eibesthaler Gemeindeausschuss (=heutiger Gemeinderat) gewählt. Dieses Mandat übte er jedenfalls bis zu seiner Wahl in den Reichsrat im Jahre 1911, vermutlich jedoch sogar bis über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum Ablauf der sechsjährigen Amtsperiode, aus. Nicht Listen oder Parteien, sondern einzelne Persönlichkeiten konnten damals gewählt werden, und somit spielten politische Ideologien insbesondere in kleinen Dörfern, wie etwa Eibesthal, faktisch keine Rolle.

Wedras politische Arbeit erstreckte sich zunächst auf die Betätigung in den deutschen Schutzvereinen, und so war er 1908 etwa an der neuerlichen Gründung einer Mistelbacher Ortsgruppe des „Deutschen Schulvereins“ beteiligt31, nachdem eine solche zuvor bereits in den 1890er Jahren für einige Zeit existiert hatte. Ebenso kam es im Frühjahr 1908 auch zur Gründung einer Ortsgruppe des “Bundes der Deutschen in Niederösterreich”32 und ab deren Gründung hatte Wedra das Amt des Obmanns inne33. Der Schutzverein „Bund der Deutschen in Niederösterreich“ war 1903 von Georg Ritter von Schönerer, dem Führer der radikalen Deutschnationalen, explizit zur Abwehr des tschechischen Einflusses auf Niederösterreich ins Leben gerufen worden. Wedra zählte jedoch nicht zu den Anhängern Schönerers, der sich übrigens bereits 1906 im Streit von diesem Bund trennte, und kann wohl eher zu den gemäßigten Deutsch-Nationalen gezählt werden. Als 1909 ein Gau (=Bezirksverband) des „Bundes der Deutschen in Niederösterreich“ für Mistelbach gegründet wurde, übernahm Wedra zunächst das Amt des Obmannstellvertreter auf Bezirksebene34, ehe er kaum ein halbes Jahr später bereits als Obmann genannt wird.35 Übrigens existierte auch eine selbständig organisierte Mädchen- und Frauen-Ortsgruppe in Mistelbach36, und 1910 gelang unter seiner Federführung auch die Gründung einer Ortsgruppe in Eibesthal, wobei Wedra hier lediglich die Funktion eines Beirates übernahm37. Obwohl Wedra auch einigen weiteren Schutzvereinen, etwa dem Schulverein Südmark, angehörte und sich in anderen lokalen deutsch-nationalen Vereinigungen (zB „Deutscher Ortsvolksrat Mistelbach“; regelmäßiger Redner beim Deutschen Turnverein Mistelbach) engagierte, bildete die Arbeit für den „Bund der Deutschen in Niederösterreich“, den Schwerpunkt seiner damaligen nationalen politischen Arbeit und aufgrund der Tatsache, dass er immer wieder auch als „Bundesrat“ tituliert wird, dürfte er wohl auch auf Verbandsebene Funktionen innegehabt haben.38

Der Brennpunkt des Nationalitätenkampfes im Bezirk Mistelbach war die Ortschaft Unter-Themenau in dem nur eine kleine deutsche Minderheit lebte. Nachdem neben den Deutschen hier ursprünglich vor Jahrhunderten angesiedelte Kroaten und Slowaken lebten, wuchs die Bevölkerung des Dorfes Ende des 19. Jahrhunderts massiv durch Zuzug tschechischer Arbeiter, die in der liechtensteinische Glasurziegelfabrik Arbeit fanden. Demgemäß sank der Anteil der deutschen Bevölkerung zusehends und lag zur Jahrhundertwende bei etwa zehn Prozent. Seitens deutsch-nationaler Kreise wurde der zunehmende Zuzug von Tschechen in diese (und andere) Grenzorte, die seit jeher Teil Niederösterreichs waren, als nationale Expansionsbestrebungen seitens der Tschechen gesehen. Als negatives Beispiel wurde Wien angesehen, wo die tschechische Bevölkerung über Jahrzehnte massiv angewachsen war und das gerade die Wiener Sokolvereine – die tschechisch-nationale Turnbewegung – im August des Jahres 1909 eine Großveranstaltung in Unter-Themenau abhalten wollten, wurde als Provokation angesehen. Für zusätzliche Brisanz sorgte die Tatsache, dass in Unter-Themenau kurz zuvor eine tschechische Schule errichtet worden war, der allerdings aufgrund eines Beschlusses der niederösterreichischen Landesregierung bald darauf das Öffentlichkeitsrecht entzogen wurde. Einem Unterstützungsaufruf der deutschen Vereine in Unter-Themenau folgend sollte zeitgleich zur Sokol-Kundgebung eine Gegenveranstaltung abgehalten werden, die sowohl von christlich-sozialen als auch deutsch-nationale Politikern unterstützt und besucht wurde. Auch Wedra beteiligt sich als Funktionär des „Bundes der Deutschen in Niederösterreich“ an der Organisation des Gegenprotests und nahm in seinem Heimatbezirk natürlich auch an vorderster Front teil. Die im Vorfeld befürchteten gewaltsamen Zusammenstöße blieben zwar aus, wohl aber nur aufgrund eines seitens des Mistelbacher Bezirkshauptmanns angeordneten massiven Gendarmerieaufgebots, dass die beiden Lager trennte. Dennoch entwickelte sich phasenweise eine sehr aufgeheizte und aggressive Stimmung und Wedra und seine Kollegen waren bemüht ihre Gefolgsleute zu beruhigen, um eine Eskalation zu vermeiden.39 Die deutsch-nationalen Schutzvereine und ihre Vertreter zeigten sich enttäuscht, dass nur etwa 600 Personen mobilisiert werden konnten, und empfanden den „Tag von Unter-Themenau“ als Niederlage. Allerdings dürfte diese „Niederlage“ bzw. generell die Berichterstattung über diesen Vorfall, als eine Art Weckruf gewirkt haben, der das Mobilisierungspotential für die „nationale Sache“ weit über die üblichen Kreise hinaus erweitert haben dürfte. Unter-Themenau (Poštorná) ist heute ein Vorort von Lundenburg (Břeclav) und musste 1919 gemeinsam mit Feldsberg, Garschönthal, Bischofswarth und Ober-Themenau (die allesamt seit Jahrhunderten ein Teil Niederösterreichs waren), gemäß dem Vertrag von St. Germain aus verkehrstechnischen Gründen an die neu gegründete Tschechoslowakei abgetreten werden.

Wedras oben geschilderte und auf vielfältige Weise erlangte Bekanntheit und das hohe Ansehen, das er weit über Eibesthal bzw. die Region um Mistelbach hinaus genoss, ließen in ihm weitere politische Ambitionen reifen. Durch das Ableben des christlich-sozialen Reichsrats- und Landtagsabgeordneten Ignaz Withalm aus Gaweinstal – ein Großvater des späteren ÖVP-Vizekanzlers Hermann Withalm – ergab sich unerwartet die Möglichkeit einer Kandidatur. Aufgrund des damals vorherrschenden Persönlichkeitswahlrechts, gab es im Gegensatz zum heutigen Listenwahlrecht, keine automatisch nachrückenden Mandatare und somit waren im Falle des Ausscheidens eines Abgeordneten Ersatzwahlen abzuhalten. Wie aus der Doppelfunktion Withalms hervorgeht, war es damals möglich sowohl dem Landtag als auch dem Reichsrat anzugehören und somit war auch eine gleichzeitige Kandidatur für beide Mandate möglich. Nachdem Withalm im September 1910 verstorben war, waren Ergänzungswahltermine für seine Wahlkreise (Landtag: Landgemeinden Mistelbach-Poysdorf; Reichsrat: Landgemeinden Mistelbach-Matzen) für das Frühjahr 1911 angesetzt worden. Doch schon vor der offiziellen Ausschreibung der Ersatzwahlen hatte sich Wedra als selbständiger deutsch-nationaler Wahlwerber in Stellung gebracht und hatte bereits im November 1910 mehrere Wählerversammlungen an verschiedenen Orten abgehalten.40 Seine politische Ausrichtung war zwar hinlänglich bekannt, aber er kandidierte ohne von irgendeiner Partei oder Wahlkomitees nominiert worden zu sein. Wedra wird im Zuge des Wahlkampfes teils als deutsch-sozialer41, aber mehrheitlich als deutsch-freiheitlicher Kandidat tituliert. Die unterschiedlichen politischen Strömungen innerhalb der Deutsch-Nationalen unterschieden sich etwa in ihrer Haltung zu einem eigenständigen österreichischen Staat bzw. zum Herrscherhaus, zur römisch-katholischen Kirche und der Ausprägung des Antisemitismus. Der permanente (zum Teil auch begriffliche) Wandel der sich innerhalb des nationalen Lagers vollzog und die Tatsache, dass sich die Fraktionen zum Teil in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden, verunmöglicht eine konkrete politische Einordnung aus heutiger Sicht. Der Begriff „deutsch-freiheitlich“ diente damals wie auch heute noch als Überbegriff für die deutsch-nationale Bewegung mit ihren diversen Strömungen und Wedra kann, wenn man sein gesamtes politisches Wirken betrachtet, vermutlich als gemäßigter Deutsch-Nationaler bezeichnet werden.

Im Zuge des Wahlkampfs positionierte sich Wedra als Vertreter der Gewerbetreibenden, Kleinbauern, Lehrer und Beamten und seine Wahlkampfauftritte in den Wahlkreisen brachten ihm durchaus Zustimmung und Anerkennung. Obwohl er sich – für einen deutsch-nationalen Politiker ungewöhnlich, aber zu seiner Biografie natürlich passend – für den Religionsunterricht und religiöse Übungen in der Schule aussprach, stieß er auf starken Widerstand der in den ländlichen Gemeinden einflussreichen Geistlichkeit, die für den christlich-sozialen Gegenkandidaten, den Asparner Bürgermeister Josef Bogendorfer, warben.42

Rudolf Wedra im Jahr 1911, als er die große politische Bühne betrat

Nachdem der Reichsrat im Frühjahr des Jahres 1911 vorzeitig aufgelöst und Neuwahlen angesetzt wurden, war eine gesonderte Ergänzungswahl für das Mandat des Abgeordnetenhauses des Reichsrats nicht notwendig. Somit kam es im April 1911 lediglich zur Ersatzwahl betreffend das vakant gewordene Landtagsmandat und das Reichsratsmandat sollte im Zuge der für Juni anberaumten Neuwahlen nachbesetzt werden. Unabhängig von der Landtagswahl und deren späteren Ausgang meldete Wedra jedenfalls seine Kandidatur für die Reichsratswahl bereits Anfang April 1911 an.43 Vielleicht ist die Meldung der Kandidatur für den Reichsrat auch einem Eingeständnis der schlechten Ausgangslage für die Landtagswahl geschuldet. Denn trotz grundsätzlichen Wohlwollens sah er sich einer Übermacht der Christlich-Sozialen gegenüber und auch die Tatsache, dass er als selbständiger Kandidat keine organisierte Unterstützung hatte war ein gewaltiger Nachteil, aber auch eine lehrreiche Lektion in Sachen Wahlkampf. Dementsprechend fiel auch das Ergebnis der Landtagswahl im Landgemeinden-Wahlbezirk Poysdorf-Mistelbach aus: Wedra erhielt lediglich 75 von 4171 abgegebenen gültigen Stimmen, oder anders ausgedrückt 1,8%, während der christlich-soziale Kandidat Bogendorfer triumphierte.44

Nach diesem ernüchternden Wahlausgang erkannte Wedra, dass er sich unbedingt die Unterstützung der Wahlkomitees des traditionell in viele Fraktionen zersplitterten deutsch-nationalen Lagers sichern musste, um überhaupt Chancen zu haben. Natürlich bot die politische Gemengelage im Zuge der Neuwahl des Abgeordnetenhauses des Reichsrats eine völlig andere Ausgangslage als die auf einen Wahlkreis beschränkte Ersatzwahl und es bot sich die Möglichkeit Teil der großen Wahlbewegung des nationalen Lagers zu sein. Es gelang ihm schließlich in mühsamer Überzeugungsarbeit bei zahlreichen Wahlmännerversammlungen in der Region sich große Unterstützung zu sichern und im Zuge einer Versammlung der Deutsch-Nationalen Niederösterreichs, die am 19. April 1911 in Wien stattfand, wurde Wedra als Kandidat für die Reichsratswahl nominiert.45 Ursprünglich beabsichtigte er eine Kandidatur im  54. niederösterreichischen Reichsratswahlkreis (Landgemeinden Mistelbach-Matzen), dem vormaligen Wahlkreis Withalms, schließlich hatte er seinen bereits seit einigen Monaten laufenden Wahlkampf darauf ausgerichtet. Im Zuge dieser Nominierungsveranstaltung wurde er jedoch für den 38. Städtewahlkreis (Städte Mistelbach, Bruck/Leitha, Retz, Oberhollabrunn, Poysdorf, Zistersdorf, Hainburg, Feldsberg und Laa/Thaya) aufgestellt46 und wie hieraus klar ersichtlich ist, waren  Städte (und andere größere Gemeinden, wie zB Poysdorf) und Landgemeinden nach dem damals gültigen Wahlrecht in unterschiedliche Wahlkreise eingeteilt. Es galt das Mehrheitswahlrecht, also pro Wahlkreis wurde nur ein Abgeordnetensitz vergeben und zwar an jenen Kandidaten, der die absolute Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte.

Durch den Wechsel des Wahlkreises hieß sein Gegner nun nicht Bogendorfer (der auch für den Reichrat kandidierte), sondern Dr. Albert Geßmann – ein ganz anderes politisches Kaliber. Geßmann zählte zu den Gründern der christlich-sozialen Partei, gehörte seit 1891 dem Reichsrat an, war zeitweilig Minister gewesen und seit 1910 Führer des christlich-sozialen Verbands (=Klub) im Reichsrat. Geßmann hatte zwar keinen heimatlichen Bezug zu diesem Wahlkreis, war allerdings nach den umfassenden Änderungen des Wahlrechts und der Schaffung dieses Wahlkreises im Jahre 1907 hier mit großem Erfolg gewählt worden. Auch heute ist es noch üblich, dass die Spitzenkader einer Partei auf „sicheren“ Plätzen kandidieren und das Weinviertel galt als schwarzes Kernland und daher als eine Bank. Der Reichsratswahlkampf 1911 wurde auch auf lokaler Ebene mit erbitterter Härte geführt, und selbst die Mistelbacher Barnabiten mischten sich zugunsten der Christlich-Sozialen in den Wahlkampf ein. Es kam sogar zu Boykottdrohungen bzw. -aufrufen im Geschäftsleben der Stadt, und die Geschehnisse in diesem Wahlkampf hatten in Form mehrerer Privatanklagen schließlich ein gerichtliches Nachspiel.47

Ein Werbeeinschaltung für den Kandidaten Wedra im Mistelbacher BoteEin Werbeeinschaltung für den Kandidaten Wedra im Mistelbacher Bote48

Der erste Wahlgang am 13. Juni 1911 brachte nachfolgendes Ergebnis49:

Kandidat Stimmenanteil in %
Dr. Albert Geßmann (christlich-sozial) 46,3%
Rudolf Wedra (deutsch-freiheitlich) 37,1%
Adolf Laser (sozialdemokratisch) 16,6%

Nachdem es Geßmann nicht gelungen war die absolute Mehrheit zu erlangen, musste er in eine Stichwahl mit dem Zweitplatzierten Wedra, die am 20. Juni 1911 abgehalten wurde. Die aus dem Rennen ausgeschiedenen Sozialdemokraten mobilisierten nunmehr für Wedra, da ihnen Geßmann als Führer der Christlich-Sozialen besonders verhasst war und mit vereinten Kräften gelang es Sozialdemokraten und Deutschnationalen für eine Sensation zu sorgen.

Der zweite Wahlgang am 20. Juni 1911 brachte folgendes Ergebnis50:

Kandidat Stimmenanteil in %
Rudolf Wedra (deutsch-freiheitlich) 52,6%
Dr. Albert Geßmann (christlich-sozial) 47,4%

Insgesamt verlief die Wahl für die Christlich-Sozialen wenig erfreulich, doch die Niederlage des Parteiführers Geßmann im Mistelbacher Wahlkreis war ein Debakel und hatte mit dem Rückzug Geßmanns aus der Politik erhebliche Auswirkungen weit über den Regionalwahlkreis hinaus. Die Begeisterung von Wedras Anhängern über dessen Wahlsieg war riesig, viele Häuser in Mistelbach zeigten sich in schwarz-rot-goldenem Fahnenschmuck, und bei der abendlichen Siegesfeier im Hotel Rathaus wurde Wedra mit begeisterten Ovationen gefeiert. Die Eibesthaler Feuerwehrmusikkapelle zog mit Fackeln nach Mistelbach und brachte dem Wahlsieger mehrere Ständchen dar bzw. sorgte diese später für die musikalische Umrahmung der Feier. Doch auch in der Mistelbacher Gemeindepolitik hatte dieses politische Erdbeben Auswirkungen und führte schließlich zum Rücktritt von Bürgermeister Thomas Freund. Der ursprünglich Deutsch-Nationale Freund, der seit mehr als 20 Jahren das Amt des Bürgermeisters bekleidete, war im Zuge des Landtagswahlkampfes 1908 zu den Christlich-Sozialen übergetreten und vertrat diese seither im Landtag. Dieser Wechsel hatte natürlich für Unmut bei seinen früheren Gesinnungsgenossen geführt und seinen Rückhalt im Gemeindeausschuss geschwächt. Nach dem Wahlsieg Wedras musste Freund, der sich für seinen christlich-sozialen Parteikollegen Geßmann stark eingesetzt hatte, erkennen, dass er aufgrund der geänderten politischen Stimmungslage, nicht mehr das Vertrauen der Mehrheit im Gemeindeausschuss genoss und er zog hieraus die Konsequenzen.

Der Reichsratsabgeordnete Rudolf Wedra bei der Eröffnung der groß angelegten Feierlichkeiten zu "500 Jahre Bestätigung der Marktprivilegien der Stadt Laa" im Jahre 1912Der Reichsratsabgeordnete Rudolf Wedra bei der Eröffnung der groß angelegten Feierlichkeiten zu „500 Jahre Bestätigung der Marktprivilegien der Stadt Laa“ im Jahre 1912

Im Reichsrat schloss sich Wedra dem Parlamentsklub „Deutscher Nationalverband“, dem erst kurz zuvor gegründeten Sammelbecken der deutsch-nationalen Politiker im Reichsrat, an. Sein Betritt zu diesem Klub im Falle einer erfolgreichen Wahl, war übrigens Bedingung für seine Nominierung durch die oben erwähnte Wahlmännerversammlung gewesen. Allerdings gab es innerhalb dieses Verbands zahlreiche Untergruppierungen der unterschiedlichen deutsch-nationalen Strömungen und Wedra gehörte im Laufe seiner Tätigkeit als Abgeordneter verschiedenen Vereinigungen an:
Ab Oktober 1912 der jungdeutschen Vereinigung (die sich ab 1914 Deutschvölkische Vereinigung nannte) und ab September 1916 bis zu deren Auflösung im Oktober 1917 zusätzlich der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft“ – einer Sammlungsbewegung innerhalb der Sammlungsbewegung. Das Ende der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft“ läutete schließlich auch das Ende des „Deutschen Nationalverbands“ ein und es kam zu einer neuerlichen Aufsplittung des deutsch-nationalen Lagers, und in weiterer Folge zur Gründung der „Deutschnationalen Partei“, zu deren Gründern auch Wedra später zählte.51 Im Zuge der Konstituierung des Abgeordnetenhaus im Herbst des Jahres 1911 wurde Wedra in den Weinkulturausschuss und den Geschäftsordnungsausschuss gewählt.52

Wie bereits dargestellt war das deutsch-nationale Lager traditionell tief gespalten und Wedra beteiligte sich an Einigungsversuchen bzw. den Bestrebungen einen politischen Verband auf Landesebene zu schaffen. Daher beteiligte er sich 1913 maßgeblich an der Gründung des „Niederösterreichischen Volksbundes“ und war später auch dessen Obmann.53 1915 gelang dann ein bedeutender Schritt zu Einigung durch die Schaffung der „Deutsch-Nationalen Vereinigung Niederösterreichs“, innerhalb der sich die deutsch-freiheitlichen Parteien Niederösterreichs zusammenschlossen und bei dessen Gründung Wedra als Obmann gewählt wurde.54 Der Reichsrat wurde im Frühjahr 1914, also bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieg, wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund der heillos zerstrittenen Abgeordneten der verschiedenen Nationalitäten, durch den Kaiser vertagt. Die Vertagung dauerte mit Ausnahme einer kurzen Phase im Frühjahr bzw. Sommer 1918 bis zum Ende des  Krieges bzw. der Monarchie an.

Nachdem sich der Zerfall der Monarchie bereits deutlich abzeichnete versammelten sich am 21. Oktober 1918 die 1911 gewählten deutschen Reichsratsabgeordneten zur konstituierenden Sitzung der „provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich“ im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse. Dieses Gremium schuf in den folgenden Wochen den neuen Staat Deutschösterreich (erst ab Herbst 1919: Österreich) in Form einer Republik, wählte eine provisorische Staatsregierung und traf Vorbereitungen für die konstituierenden Nationalversammlung, die ab Februar 1919 tagte.

Die provisorische Nationalversammlung am 21. Oktober 1918, wahrscheinlich handelt es sich bei der mit dem roten Pfeil markierten Person um Wedra (Foto: Charles Scolik jun.)Die provisorische Nationalversammlung am 21. Oktober 1918, wahrscheinlich handelt es sich bei der mit dem roten Pfeil markierten Person um Wedra (Foto: Charles Scolik jun.)

Bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 führte Wedra die Liste der deutsch-nationalen Kandidaten im Wahlkreis für das Viertel unter dem Manhartsberg (=das heutige Weinviertel) an. In der Republik galt im Gegensatz zur Monarchie das bis heute gültige Listen- und Verhältniswahlrecht und er wurde als einziger Vertreter der Deutschnationalen aus diesem Wahlkreis in die Nationalversammlung gewählt.55 Den Eibesthaler Wählern hat Wedra seine Wahl jedenfalls nicht zu verdanken, denn hier erhielt er lediglich 80 von 490 Stimmen, also knapp 16%, während die überwiegende Mehrheit christlich-sozial wählte.56 In der konstituierenden Nationalversammlung schlossen sich die deutsch-nationalen Abgeordneten, darunter natürlich auch Wedra, zum Parlamentsklub “Großdeutsche Vereinigung” zusammen, aus der im Sommer 1920 die Großdeutsche Volkspartei hervorgehen sollte. Nachdem die konstituierende Nationalversammlung das Bundesverfassungsgesetz 1920 beschlossen hatte und damit auf Bundesebene neue gesetzgebende Organe (Nationalrat und Bundesrat) geschaffen wurden, hatte die Nationalversammlung ihren Zweck erfüllt und wurde aufgelöst. Für die erste Nationalratswahl im Oktober 1920 verzichtete Wedra auf eine neuerliche Kandidatur und zog sich aus der Politik zurück.57

Karikatur aus dem sozialdemokratischen Blatt "Volksbote" im Jahr 1919Karikatur aus dem sozialdemokratischen Blatt „Volksbote“ im Jahr 191958: Wedra hoch zu Roß auf einem Spielzeugpferd im Kreise weiterer „illustrer“ deutsch-nationaler Abgeordneter. Besonders auffällig das an der Seite baumelnde Programm „Autonomie von Mistelbach“ und der Fliegenpracker mit dem Schriftzug „Los von Wien“ in Anspielung an das Deutsch-Nationale Mantra „Los von Rom“.

Tatsächlich gehörte Wedra nicht nur dem Gründungsgremium der neuen Republik an, sondern auch der provisorischen Landesversammlung für Niederösterreich. Die Landesversammlung setzte sich aus den Landtagsabgeordneten, die bei der letzten Wahl 1908 gewählt wurden (allerdings ohne die ständischen Vertreter von Kirche, Großgrundbesitz und Handelskammern), und den bei der letzten Reichsratswahl 1911 in Niederösterreich gewählten Abgeordneten, zusammen. Insgesamt sollten der provisorischen Landesversammlung somit 120 Personen angehören, von denen sich allerdings zunächst lediglich 71 (unter ihnen auch Wedra) am 5. November 1918 zur konstituierenden Sitzung dieses Gremiums im Landtagssitzungssaal im niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse einfanden.59 Vordringlichste Aufgabe der provisorischen Landesversammlung war es, die bisherige landesfürstliche Verwaltung in die Hände einer zu wählenden Landesregierung, mit einem Landeshauptmann an der Spitze, zu übertragen.60 Neben der Klärung drängender Fragen, wie der Versorgung mit Nahrungsmitteln und der Grenzziehung zu den neuen Nachbarstaaten, war es außerdem notwendig eine Landtagswahlordnung zu beschließen und weitere Vorkehrungen für die Abhaltung einer Landtagswahl zu treffen. Nach Erfüllung dieser Aufgaben löste sich die provisorische Landesversammlung am 2. Mai 1919 damit und wenige Tage vor der Landtagswahl auf.61 Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur provisorischen Landesversammlung zählte im Dezember 1918 zu den Gründern des deutschnationalen Landtagsklubs im niederösterreichischen Landtag und wurde zu dessen Schriftführer gewählt.62 Auch die Einigungsarbeit innerhalb des deutsch-nationalen Lagers setzte er in der jungen Republik fort und Wedra wurde in die vorläufige Leitung des „Zusammenschlusses der deutschnationalen Parteigruppen Niederösterreichs“ gewählt.63

Aus Anlass seines 60. Geburtstags beschloss der Eibesthaler Gemeinderat 1923 dem vormaligen Abgeordneten des Reichsrats bzw. der National- und Landesversammlung aufgrund seiner vielfältigen Verdienste um das Gemeinwohl in Eibesthal das Ehrenbürgerrecht zu verleihen64 und in Würdigung seiner erfolgreichen wirtschaftlichen Tätigkeit wurde ihm einige Zeit später außerdem der Titel eines Kommerzialrates verliehen.65

Nach dem Rückzug aus der Politik hatte sich Wedra wieder intensiv seinen Geschäften im Weinhandel gewidmet und er zählte im November 1923 zu den Gründern der „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ (ÖWA), wobei er ab der Gründung auch dem Verwaltungsrat dieses Unternehmens angehörte. Zweck dieses geschäftlichen Zusammenschlusses zahlreicher bedeutender Weinhändler war die gemeinsame Erschließung neuer Absatzmärkte.66 Doch bereits im Mai 1924 schlitterte der Weingroßhändler Friedrich Teltscher, der maßgeblich an der „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ beteiligt war, in die Insolvenz bzw. wurde er kurz darauf wegen des Verdachts auf betrügerische Krida festgenommen. Der gewaltige Finanzbetrug rund um Teltscher, bei dem es um zig Milliarden Kronen ging, und der damit verbundene Ausfall eines Hauptanteilseigners stürzte die ÖWA in erhebliche finanzielle Turbulenzen, und nur die Aunfahme von Krediten in Milliardenhöhe verhinderte den unmittelbar drohenden Zusammenbruch. Im Frühjahr 1925 wurde Wedra als Direktionsmitglied der „Österreichische Weinproduzenten und Händler AG“ eingetragen67, allerdings war absehbar, dass das Unternehmen, dass seit Anbeginn unter einer gewaltige Schuldenlast und einer gesamtwirtschaftlich schwierigen Lage litt, keine erfolgreiche Tätigkeit mehr entfalten würde. Es scheint vielmehr, dass versucht wurde die Firma geordnet zu liquidieren, was schließlich auch im Februar 1926 geschah.68

Wedra dürfte mit Teltscher auch abseits der ÖWA geschäftlich verbunden gewesen sein und er zählte wie viele andere zu den Opfern dieses Betrugsskandals. Durch die dabei erlittenen, offenbar massiven Verluste, schlitterte er selbst in die Insolvenz und über Wedras Vermögen und das seiner Gattin wurde schließlich im Herbst 1924 ein Ausgleichsverfahren eröffnet.69 Durch den bereits kurz zuvor erfolgten Verkauf seiner Eibesthaler Villa und der freiwilligen Versteigerung der Ausstattung seines Weinhandelsgeschäfts und seines Hausrates, in Verbindung mit erheblichem Forderungsverzicht seitens der Gläubiger, konnte schließlich ein außergerichtlicher Ausgleich erzielt werden und die über das Ehepaar Wedra eröffneten Ausgleichsverfahren wurden geschlossen.70 Seit Ende der 1930er Jahre befindet sich die Wedra-Villa samt Weinkellerei im Besitz der Fleischhauerfamilie Schöfbeck, und während der Weinhandel 1984 aufgegeben wurde, besteht der Fleischereibetrieb bis heute hier.71

Die wirtschaftliche Verflechtung eines ehemaligen deutsch-nationalen Politikers mit einem jüdischen Weinhändler, der durch betrügerische Machenschaften diesen in wirtschaftliche Schieflage brachte, sorgte bei den den (einstigen) politischen Gegnern für Spott und Häme. In den in diesem Zusammenhang erschienenen Artikeln wurde Wedra als strammer Antisemit oder gar als „Judenfresser“ dargestellt, und eine derartige Einstellung war unter den Deutsch-Nationalen tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme. Dokumentierte antisemitische Agitation seitens Wedra wurde im Zuge der Recherche zu diesem Beitrag allerdings kaum vorgefunden72, von manchen Hardlinern wurde er allerdings gar als „Anhängsel“ von Juden dargestellt73 bzw. behaupteten christlich-soziale Blätter, dass nach deren Boykott (siehe hierzu weiter oben Wedras Auftritt in Klosterneuburg), die „Judenzeitungen“ für die Eibesthaler Passionsspiele geworben hätten um den Christlich-Sozialen (die sich damals auch explizit Antisemiten nannten) eins auszuwischen.74 Wie oben bereits geschildert profilierte sich Wedra vor allem im „Volkstumskampf“ mit den Tschechen und da sich die Juden in Böhmen und Mähren in der Nationalitätenfrage größtenteils als Deutsche bekannten könnte sie Wedra in diesem Kontext durchaus als wichtige Verbündete angesehen haben. In der Berichterstattung über Wedras Verwicklungen in diesen Betrugsfall finden sich auch Behauptungen, dass er für einige der lokalen Bankinstitute in Mistelbach (die von ihm mitbegründete Lehrer-Spar und Vorschusskasse – aus der später die Volksbank hervorgehen sollte – und die Raiffeisenkasse (Eibesthal und/oder Mistelbach?)) Gelder angelegt hätte, die nun ebenfalls verloren seien. Außerdem seien auch die Gelder einiger Bauernbündler verloren gegangen.75

Der Abschied Wedras aus Eibesthal im September 1924 war überschattet von dessen finanziellen Problemen und erfolgte völlig sang- und klanglos. Kein Bericht über eine offizielle Verabschiedung, keine Feier oder ähnliches – die einzige Spur ist eine Abschiedsanzeige im Mistelbacher Bote.76 Dies deutet daraufhin, dass der Pleitier Wedra durch seinen wirtschaftlichen Niedergang im Ansehen der Menschen stark eingebüßt hatte und vermutlich ist auch ein Zusammenhang mit jenen Geldern zu sehen, die angeblich im Vertrauen auf Wedra investiert und nunmehr verloren waren. Dies erscheint besonders bitter in Anbetracht der Tatsache, dass Wedra noch im Jahr zuvor mit großem Zeremoniell zum Ehrenbürger ernannt worden war, und seine Gattin wenige Monate zuvor im April 1924 noch als Glockenpatin bei der Weihe der neuen Kirchenglocken (Ersatz für die im Ersten Weltkrieg zur Rüstungszwecken abgelieferten Glocken) fungierte.77 Von politischen Gegner wurde sein hastiger und unrühmlicher Abschied gar als Flucht gedeutet vor jenen die im Zuge des Finanzskandals geschädigt worden waren. Nach seinem Abschied aus Eibesthal lebten Wedra und seine Gattin in einer Wohnung in der Wassergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Erstaunlicherweise findet sich Wedra kurz nachdem er selbst ein Ausgleichsverfahren über sich ergehen lassen musste, auf der von der Handelskammer herausgegebenen Liste der Ausgleichsverwalter und war hier für das Fachgebiet Weinbau bzw. -handel in der Periode 1925 bis 1930 gelistet.78 Tatsächlich dürfte er auch noch in der Folgeperiode auf dieser Liste gestanden habe, ehe er Wien 1933 verließ. Zwar sind seine Fachkenntnisse in diesem Gebiet unbestritten, aber dass jemand über den wenige Woche zuvor noch ein Ausgleichsverfahren eröffnet worden war, nun selbst als Ausgleichsverwalter tätig sein sollte sorgte für einige Irritation. Wohl nicht zu unrecht wurde hier das Zuschanzen der durchaus lukrativen Tätigkeit als Ausgleichsverwalter für einen Gesinnungsgenossen vermutet.79 Vielleicht konnte er die Erfahrungen als Auslgeichsverwalter bereits einige Monate später im Zuge seiner Tätigkeit als Direktionsmitglied der hochverschuldeten „Österreichische Weinproduzenten und -händler Aktiengesellschaft“ einsetzen, schließlich ging es bei der Führung dieser Gesellschaft augenscheinlich auch um die geordnete Abwicklung des Unternehmens.

1928: Die letzte bekannte Aufnahme Wedras zeigt ihn im Kreise der noch lebenden Mitglieder des ehemaligen "Deutschen Nationalverbands" im Reichsrat - 10 Jahre nach der Republiksgründung1928: Die letzte bekannte Aufnahme Wedras zeigt ihn im Kreise der noch lebenden Mitglieder des ehemaligen „Deutschen Nationalverbands“ im Reichsrat – 10 Jahre nach der Republiksgründung

Als Rudolf Wedra und seine Gattin 1933 Wien verließen zogen sie zum Ehepaar Frank nach Hanfthal. Ihre Ziehtochter Therese hatte den Lehrer Rudolf Frank geheiratet, der seit 1923 als Oberlehrer in Hanfthal wirkte80 und an deren Wohnsitz im Hanfthaler Schulhaus fand das mittlerweile betagte und vermutlich zum Teil bereits pflegebedürftige Ehepaar Wedra nun Aufnahme. Der Schwiegersohn Rudolf Frank war als Sohn eines liechtensteinischen Hegers in Eibesthal aufgewachsen und einst selbst Schüler Wedras, und es scheint durchaus plausibel, dass er Einfluss auf dessen spätere Berufswahl hatte bzw. ihn auf seinem Weg zum Lehrerberuf unterstützte.

Nach langem schweren Leiden erlag Wedra am 15. März 1934 den Folgen einer Gehirnblutung und wurde zwei Tage später im Hanfthaler Ortsfriedhof beigesetzt.81 Trotz des eher unrühmlichen Abschieds aus Eibesthal wurde seitens des Eibesthaler Lokalberichterstatters ein seine Verdienste würdigender Nachruf im Mistelbacher Bote veröffentlicht.82

Im Zuge der Einführung offizieller Straßenbezeichnungen in Eibesthal im Jahre 1983 beschloss der Mistelbacher Gemeinderat die zur ehemaligen Wedra-Villa führende Zufahrtsstraße im Gedenken an den Initiator der Passionsspiele und Ehrenbürger Eibesthals Wedragasse zu benennen.

Wo befindet sich die Wedragasse (Eibesthal)?

 

Bildnachweise:
Portrait: biografischer Beitrag zu Wedra auf der Webseite des Österreichischen Parlaments
Passionsspielszenen:
Das interessante Blatt, 22. Juni 1899, S. 4 (ONB: ANNO)
Wiener Bilder, 31. August 1904, S. 4 (ONB: ANNO)
Portrait 1911: Das interessante Blatt, 29. Juni 1911, S. 5 (ONB: ANNO)
Feierlichkeit in Laa 1912: Fürnkranz, Dr. Rudolf: „Das große Fest 1912“, Kulturhefte Laa Nr. 6 (November 1988), S. 6
provisorische Nationalversammlung: Charles Scolik jun. – Das interessante Blatt, 31. Oktober 1918 (37. Jg. – Nr. 44), S. 3 (ONB: ANNO)
Karikatur: Volksbote – Wochenblatt für das Viertel unter dem Manhartsberg, 12. Juli 1919 (Nr. 28), S. 3
Wedra im Kreise der Mitglieder des ehemaligene Deutschen Nationalverbands: Wiener Bilder, 15. Juli 1928 (33. Jg. – Nr. 29), S. 11 (ONB: ANNO)

Quellen:
-) allgemeine Biografische Infos: Der Bezirksbote für den politischen Bezirk Bruck an der Leitha, 13. Jg. – Nr. 299 (16. Juli 1911), S. 2 (ONB: ANNO)
-) zur Reichsratswahl 1911: Fitzka, Karl: Ergänzungs- und Nachtragsband zur Geschichte der Stadt Mistelbach (1912), S. 206ff

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Sklenař, Försterfamilie

Von 1850 bis 1975, also 125 Jahre lang und in drei Generationen, bekleideten Mitglieder der Familie Sklenař das Amt des Mistelbacher Gemeindeförsters und waren somit für die Pflege einer der wichtigsten natürlichen Ressourcen im Besitz der Gemeinde verantwortlich. Nachfolgend eine kurze biografische Darstellung der Sklenař Förster und ihrer Leistungen im Dienste der Stadt. Obwohl sich auch der später in Mistelbach wohnhafte berühmte Bienenköniginnenzüchter Guido Sklenar ursprünglich Sklenař schrieb, bestand kein verwandtschaftliches Verhältnis zur gleichnamigen Försterdynastie. Auch bei der Försterfamilie ging der Hatschek im Familiennamen, der eine deutlich andere Aussprache signalisiert, im Laufe der Zeit jedenfalls in den schriftlichen Quellen „verloren“.

Martin Sklenař sen. (*1821, †18971) stammte aus Holleschau in Mähren und war zunächst Forstgehilfe („Jägerjung“) bei der Herrschaft Asparn an der Zaya. Am 14. Oktober 1850 wurde er als Revierförster („Gemeindejäger“) bei der Gemeinde Mistelbach angestellt und ab Beginn des Jahres 1851 wurde ihm die Mistelbacher Jagd für die Dauer des Dienstverhältnisses unentgeltlich überlassen.2 Schon 1850 heiratete er Franziska Ehrenreich, die Tochter des Schafmeisters der Gutsverwaltung Asparn3 und das Ehepaar erwarb 1859 das Haus Wiedenstraße Nr. 144. Nach dem Tod seiner ersten Gattin ehelichte Sklenař 1863 die aus Wilfersdorf stammende Kaufmannstochter Theresia Himmelbauer5 Mit Ende des Jahres 1894 trat Sklenař in den Ruhestand über und verstarb drei Jahre später.6

 

Martin Sklenař jun. (*18707, †1940) folgte seinem gleichnamigen Vater beruflich nach und war ab 1884 zunächst als Praktikant und später als Adjunkt bei der Mistelbacher Forstverwaltung beschäftigt. Erste forstwirtschaftliche Prüfungen legte er 1888 ab8 und nachdem sein Vater Ende des Jahres 1894 in den Ruhestand übertrat, folgte er ihm als Leiter der Forstverwaltung nach.9 Im selben Jahr ehelichte er Magdalena Hofecker, die Tochter eines Mistelbacher Landwirts10 und gemeinsam erbauten sie im Jahr 1900 das Haus an der Adresse Oberhoferstraße Nr. 99, in dem später auch die Forstverwaltung untergebracht war. Zur Erinnerung an die einst hier wohnhafte Oberförster Martin Sklenař wurde 1978 der neben diesem Haus verlaufende Verbindungsweg zwischen Oberhoferstraße und Franz Josef-Straße mittels Gemeinderatsbeschluss „Försterweg“ benannt.11

Das Haus von Forstmeister Martin Sklenař jun. in der Oberhoferstraße Nr. 99, das an den Försterweg angrenzt, war bis 1957 auch Sitz der Forstverwaltung der Gemeinde. Der Hirschkopf über der Toreinfahrt weist noch heute auf den einstigen Wohnsitz des Gemeindeförsters hin.Das an den Försterweg angrenzende Haus Oberhoferstraße Nr. 99 – Wohnhaus von Martin Sklenař jun. und ehemals auch Sitz der Forstverwaltung

Der Kirchenberg diente einst als Hutweide und war daher in früherer Zeit nahezu ohne Baumbewuchs – also etwas was man gemeinhin als „Gstettn“ bezeichnet. Diese Bezeichnung für den Kirchenberg findet sich übrigens auch in Zusammenhang mit der einst hier befindlichen Wallfahrtskirche “Maria in der Gstetten” dokumentiert (siehe den Beitrag Mistelbach Wallfahrtsort). Erst nachdem das Areal, das sich einst großteils im Besitz der Fürstenfamilie Liechtenstein befand, der Gemeinde übergeben wurde, schritt man in den 1880er Jahren unter Federführung des Verschönerungsvereins zur Schaffung einer Parkanlage. Beginnend mit dem „Liechtenstein-Anlage“ benannten Park rund um die einstige Burganlage wurden zahlreiche Waldbäume, Akazien und Sträucher vom damaligen Forst-Adjunkt Sklenař jun. angepflanzt und von hier nahm die weitere Begrünung des Kirchenbergs ihren Ausgang.

Doch auch ein weiteres Naherholungsgebiet verdankt die Stadt Martin Sklenař jun. und zwar den Stadtwald – vor dem Zweiten Weltkrieg zumeist als Stadtwäldchen bezeichnet – der nach einer alten Flurbezeichnung auch Totenhauer (Wald) genannt wird. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem einige Kilometer weiter nördlich gelegenen großen Mistelbacher Gemeindewald, obgleich beide Gebiete durch einen langgezogene Grüngürtel entlang der Viehtrift (ebenfalls ein Werk Sklenařs) miteinander verbunden sind. Diese begriffliche Trennung ist insofern wichtig, da zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Stadtwald in seiner heutigen Form noch nicht oder lediglich als Jungwald existierte, auch der große Gemeindewald häufig als Stadtwald bezeichnet wurde. Das bebaute Stadtgebiete endete damals im Bereich der Steinernen Brücke (=Brücke beim Kreuzungsbereich Oberhoferstraße/Waldstraße/Grüne Straße) und nördlich davon, im Gebiet der heutigen Stadtwaldsiedlung, befanden sich ausgedehnte Viehweiden. Ähnlich dem Kirchenberg fanden sich daher auch hier einstmals kaum Sträucher oder Bäume und das weitläufige Weidegebiet wurde unter anderem durch die einst hier gelegene liechtensteinische Schäferei – den Schafflerhof – genutzt. Die Aufforstung des Totenhauers ist das Werk Sklenařs, der in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts beginnend dieses Gebiet sukzessive bepflanzte.12 Bereits 1904 hatte der hiesige Verschönerungsverein die Pflanzung einer Allee, vom Stadtrand entlang der Viehtrift über den Totenhauerwald hinaus zum Gemeindewald angeregt. 1906 wurde schließlich ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss gefasst13 und die Durchführung  erfolgte unter fachkundiger Leitung von Forstmeister Sklenař. Seither gibt es einen durchgängigen Grüngürtel der etwa ab der Kirche Maria Rast bis in den Gemeindewald führt. Einer gewissen Romantik bzw. einem gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnung tragend wurden Ausflüge in den Wald Ende des 19. Jahrhunderts sehr populär und somit ist die Schaffung des Totenhauer Waldes neben forstwirtschaftlichen Überlegungen, bestimmt auch aus diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Die in der Folge immer zahlreicher werdenden Waldbesucher wollten auch verpflegt werden und deshalb eröffnete Forstmeister Sklenař im Juni 1906 in der im Besitz der Gemeinde befindlichen ersten Jägerhütte im Gemeindewald das Ausflugslokal „Restauration zur Waldhütte“, wo den Ausflüglern Getränke und kalte Speisen gereicht wurden.14 Schon bald etablierte sich jedoch die Bezeichnung Waldschenke für dieses Lokal15 und auch heute noch findet sich an dieser Stelle (so gerade ein Pächter vorhanden ist) eine Gaststätte mit dem selben Namen. Die Waldschenke im Gemeindewald entwickelte sich in der Folge zu einem beliebten Ausflugsziel und der Deutsche Turnverein errichtete wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gleich neben dem Lokal einen Waldturn- und Spielplatz auf dem regelmäßig Turnübungen abgehalten werden sollten.16

Eröffnungsanzeige der ersten Waldschenke im Mistelbacher Gemeindewald aus dem Jahre 1906Eröffnungsanzeige der ersten Waldschenke im Mistelbacher Gemeindewald aus dem Jahre 190617

Die von Sklenar begründete erste Waldschenke im Mistelbacher Wald unmittelbar nach ihrer Eröffnung im Jahr 1906Die von Sklenar begründete erste Waldschenke im Mistelbacher Wald unmittelbar nach ihrer Eröffnung im Jahr 1906

Die Waldschenke im Mistelbacher Wald - in der Bildmitte (rotes X) vermutlich Oberförster Martin SklenarLaut dem Buch „Mistelbach in alten Ansichten Band II“ angeblich die Waldschenke im Mistelbacher Wald etwa zu Beginn der 1910er Jahre. In der Bildmitte (rotes X) vermutlich Oberförster Martin Sklenař, rechts neben ihm in schwarz gekleidet Bürgermeister Freund

Dem aufmerksamen Beobachter werden einige Unterschiede zwischen den beiden obigen Fotos auffallen, obgleich sie das selbe Gebäude zeigen sollen und nur wenige Jahre zwischen deren Aufnahme liegen dürften. Nachdem die erste Aufnahme von einer im Jahr 1908 gelaufenen Ansichtskarte stammt, dürfte es sich um zweifellos um das ältere der beiden Bilder handeln, insbesondere da bei zweiterem Bild konkrete und gesicherte Anhaltspunkte zur Datierung fehlen. Nicht nur die Aufnahmeperspektive ist ein andere (darüber hinaus ist eine falsche Spiegelung eines der Bilder aber auch nicht auszuschließen), sondern jedenfalls auch betreffend den Dachstuhl sind Unterschiede augenscheinlich. Letztere lassen sich vermutlich durch einen Brand in der Waldschenke im Jahre 1909 erklären, in dessen Zuge der Dachstuhl der Hütte abbrannte und ein Mann in den Flammen auf tragische Weise ums Leben kam.18 Schwieriger zu erklären sind allerdings die Unterschiede in dem die Hütte umgebenden Baumbestand – die Bäume scheinen auf der oberen, älteren Aufnahme deutlich dicker und dichter zu sein, als auf der unteren, späteren Aufnahme. Auch erscheint das Gebäude auf dem obigen älteren Bild deutlich größer. Handelt es sich entgegen den Angaben im Buch „Mistelbach in alten Ansichten, Band II“19 beim unteren Bild vielleicht doch um ein Foto der zweiten, erst 1920 gegründeten Waldschenke im Totenhauer (der späteren Martinsklause)? Der junge Baumbestand könnte dies durchaus nahelegen. Die Beschreibung auf der unteren Ansichtskarte „Gastwirtschaft „zur Waldhütte“ im Mistelbacher Stadtwald“, ist aufgrund der oben geschilderten sehr wechselhaften Verwendung des Begriffs „Stadtwald“ leider nicht eindeutig. Zwar wurde ursprünglich die Jägerhütte im Gemeindewald als „Gaststätte zur Waldhütte“ bezeichnet, aber 1921 taucht die ansonsten unübliche Bezeichnung „Waldhütte“ auch einmal für die Waldschenke im Totenhauer auf.20 Eher unwahrscheinlich scheint hingegen eine weitere Möglichkeit nämlich, dass es sich bei der ersten Aufnahme mit der Beschreibung „Schutzhütte im Mistelbacher Stadtwald“ gar nicht um die erste Jägerhütte (=Waldschenke) im Gemeindewald sondern um eine andere (die zweite?) Jägerhütte im Gemeindewald handeln könnte.

Ab 1912 erhielt Sklenař jedenfalls auch die Konzession zur Durchführung von Personentransporten mittels großem Pferde-Stellwagen zu der von ihm gepachteten Jägerhütte im großen Wald.21 und das Fahrangebot war natürlich ebenso wie auch der Saisonbetrieb der Waldschenke auf den Zeitraum April bis September beschränkt. In dieser Zeit hatte die Waldschenke stets an Sonn- und Feiertagen, sowie teilweise auch wochentags geöffnet, wobei sich die Öffnungszeiten im Laufe der Jahre natürlich immer wieder änderten. Aufgrund seiner Verdienste bei der vollständigen Aufforstung der Viehtrift und der Grundstücke am Totenhauer wurde Sklenař seitens des Gemeindeausschusses 1912 der Titel eines Oberförsters samt einer Gehaltsaufbesserung verliehen. Für das Frühjahr 1913 wurden hochtrabende Pläne bezüglich des Neubaues einer Waldschutzhütte in Fitzkas Nachtrag- und Ergänzungsband zur Geschichte Mistelbachs angekündigt und zwar sollte diese Schutzhütte Platz für 500 Personen bieten.22 Vermutlich hätte diese anstelle der Waldschenke errichtet werden sollen, aber die Pläne für das Projekt, dass hauptsächlich großteils über Spenden finanziert werden sollte, dürften sich bald zerschlagen haben und spätestens der wenig später entfesselte Erste Weltkrieg hätte einem derartigen Projekt wohl ohnedies ein Ende bereitet. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Oberförster Sklenař entlang des zum Totenhauer führenden Teils der Viehtrift im Abstand von je sieben Metern eine Eiche für jeden im 1. Weltkrieg gefallenen Sohn der Stadt. Ursprünglich war auch angedacht an die Bäume, wenn sie entsprechend groß gewachsen waren, Tafeln mit den Namen der Krieger anzubringen.23 Noch heute bestehen viele dieser regelmäßig angeordneten Eichenbäume im Grüngürtel entlang der Viehtrift, das Vorhaben diese mit Namenstafeln zu versehen wurde jedoch nie in die Tat umgesetzt.

Die Jägerhütte, die die alte Waldschenke beherbergte, wurde im Laufe der Jahre immer wieder neu errichtet, behielt dabei allerdings stets ihre rustikale Schlichtheit. Heute befindet sich an ihrer Stelle das 1958 fertiggestellte Forsthaus der Stadtgemeinde Mistelbach24 und durch die in diesem Gebäude untergebrachte Waldschenke lebt von die Sklenař begründete Tradition eines Ausflugslokals im Mistelbacher Wald seit bald 120 Jahren fort. Bis 1939 und somit über mehr als drei Jahrzehnte war Martin Sklenař jun. Pächter der Waldschenke, wobei er das Lokal teilweise durch einen seiner Heger führen ließ.25 Während seiner Dienstzeit stand Oberförster Sklenař, selbst begeisterter Waidmann, den jeweiligen Jagdpächtern stets als Jagdbetreuer und Fachmann für Wald und Wild zur Verfügung.

Nachdem das Stadtwäldchen nunmehr bereits gediehen war und als Naherholungsgebiet genutzt werden konnte, errichtete Oberförster Sklenař 1919 auf eigene Kosten und eigenem Grund eine Waldschenke im Totenhauer. Seitens der Gemeinde hatte man keine Einwände gegen eine zweite Waldschenke26, seinem Ansuchen dadurch die gemeindeeigene Waldschenke im Gemeindewald zu ersetzen bzw. diese an den Standort im Totenhauer zu verlegen stimmte man allerdings nicht zu.27 Somit gab es nunmehr zwei Waldschenken, denn auch jene im Gemeindewald wurde wie weiter oben beschrieben weiterhin von Sklenař gepachtet und betrieben. Zum oben bereits geschilderten missverständlichen Gebrauch des Wortes Stadtwald, gesellt sich nunmehr die Tatsache hinzu, dass die beiden Ausflugslokale den selben Namen „Waldschenke“ tragen, allerdings ist durch eine recht konsequente Verwendung der Zusätze Stadtwäldchen bzw. Totenhauer oder Stadtwald (Gemeindewald bzw. großer Wald) in er zeitgenössischen Berichtersattung zumeist nachvollziehbar um welchem Standort es sich handelt28 Nachdem Sklenař zunächst einen Erdkeller und darauf eine (Holz-)Hütte erbaut hatte29, konnte er seine Waldschenke im Totenhauer (den Vorläufer der späteren Martinsklause) im Mai endlich 1920 eröffnen.30

Der Totenhauer Wald und mit ihm die dortige Waldschenke wurden ein äußerst beliebter Ausflugs- und Veranstaltungsort (Vereinsfeiern, Konzerte, Sonnwendfeiern, …) 31, und sogar dem Kegelspiel konnte dort gefrönt werden.32 Trotz der Nähe zur Stadt wurden auch hierher Fahrten ab dem Hauptplatz angeboten. Wie geschildert befand sich dieses später erheblich ausgebaute Ausflugslokal – im Gegensatz zur Waldschenke im Gemeindewald, die  Sklenař weiterhin gepachtet hatte – in seinem Besitz und ab 1933 bis jedenfalls 1939 hatte er die Waldschenke im Totenhauer an den Gastwirt Filippinetti verpachtet33 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vermutlich in Zusammenhang mit der Entwicklung vom Ausflugslokal zum vollwertigen Gasthaus im Gefolge der Errichtung der naheglegenen Totenhauersiedlung Anfang der 1950er Jahre dürfte der Gasthof unter Bezugnahme auf seinen Begründer den Namen „Martinsklause“ erhalten haben.34 Jedenfalls dürfte die Martinsklause bis Ende der 1960er Jahre weiterhin im Besitz der Familie Sklenař gewesen sein.35

Die von der Familie Sklenar begründete Martinsklause in den 1960er JahrenDie von Martin Sklenař begründete Martinsklause in den 1960er Jahren

Mit Ablauf des Jahres 1934 trat Oberförster Martin Sklenař nach 40-jähriger Dienstzeit in den Ruhestand über und er verstarb nach längerer Krankheit am 24. Juni 1940 im 70. Lebensjahr.

Nachdem Sklenařs Verdienste ausführlich gewürdigt wurden, soll gegen Ende des Beitrags zu seiner Person noch ein Vorfall aus dem Jahr 1902 rund um einem Kirschendiebsthal thematisiert werden, der aufzeigt, dass der Oberförster selbst bei kleinen Eingriffen in seine Besitzrechte alles andere als zimperlich vorging. Als Sklenař, zufällig in Begleitung des Bürgermeisters und mehrerer weiterer Mitglieder der Gemeindevertretung, auf dem Heimweg aus dem Wald entdeckte, dass zwei Frauen aus dem ärmeren Teil der Bevölkerung, sich an von ihm gepachteten Kirschenbäumen bedienten, verlor er völlig die Fassung und verprügelte beide auf brutale Weise. Niemand aus der honorigen Begleiterschaft des Rasenden, versuchte diesen zu bremsen bzw. einzuschreiten, lediglich der zufällig an der Szenerie vorbeifahrende Gemeinderat Strasser versuchte erfolglos Sklenař zur Vernunft zu mahnen. Die Sache hatte ein Nachspiel vor dem hiesigen Bezirksgericht und im Zuge des von Sklenař angestrengten Prozesses wegen Diebstahls wurden zwar die beiden Frauen wegen einfachen Diebstahls zu geringen Arreststrafen verurteilt, allerdings wurde Forstmeister Sklenař aufgrund des Gewaltexzesses zu deutlich höheren Strafen (Arrest- und Geldstrafe), sowie zur Leistung von Schmerzensgeld und Übernahme der Prozesskosten verurteilt. 36 Diese Begebenheit ist (bislang) lediglich durch die Berichterstattung im sozialdemokratischen „Volksbote“, in der der Förster als eingefleischter Christlich-Sozialer dargestellt wird, dokumentiert und natürlich beinhaltet diese damit auch eine politische Komponente. Obwohl am grundsätzlichen Sachverhalt der Körperverletzung und der daraus folgenden Verurteilung wohl nicht zu zweifeln ist, ist insbesondere in Ermangelung weiterer Quellen, bei ideologisch aufgeladener Berichterstattung wie im vorliegenden Fall stets eine kritische Quellenwürdigung angebracht.

 

Ing. Oskar Sklenař (*191037, †1998)
Nach der Pflichtschulbildung absolvierte Oskar Sklenař, der Sohn von Martin Sklenař jun., die einjährige Försterschule und daran anschließend die Höhere Forstlehranstalt für österreichische Alpenländer (=Forstakademie) in Bruck a.d. Mur. Nach der Forstpraxis in verschiedenen Forstbetrieben des Bezirks legte er im Herbst 1934 die Staatsprüfung für Forstwirte ab. Mit dem Beginn des Jahres 1935 folgte er seinem Vater als Leiter des Forstbetriebs der Stadt nach und übte dieses Amt, unterbrochen lediglich in den Jahren 1940-1945 aufgrund von Kriegsdienst und britischer Gefangenschaft, bis zu seinem Übertritt in den Ruhestand im Juni 1975 aus.38 1947 ehelichte Oskar Sklenař die Kriegerwitwe Katharina Franz (geb. Sobek) und gemeinsam mit seiner Gattin und deren Schwester Leopoldine Sobek lebte er im Haus Karl Fitzka-Gasse Nr. 9.

Während seiner Amtszeit erfolgte die Umstellung der Bewirtschaftung der Wälder von Brennholz- auf die Nutzholzwirtschaft und die Rationalisierung der Forstarbeit durch Einsatz von Maschinen und Einführung effizienterer Arbeitsmethoden. Als Forstfachmann war er über die Grenzen Österreichs auch in Deutschland anerkannt und immer wieder war der von ihm geführte Mistelbacher Wald, in dem auch von ihm geleitete forstwirtschaftliche Versuche durchgeführt wurden, Ziel von Exkursionen aus dem Ausland. Weiters war Sklenař als Experte für die Mittelwaldbewirtschaftung an der Entwicklung neuer forstwirtschaftlicher Maschinen beteiligt, etwa gemeinsam mit der Firma Heger. In Anerkennung seiner Verdienste wurde Ing. Sklenař 1971 schließlich zum Oberforstmeister ernannt.39
Neben seiner Tätigkeit für die Stadt Mistelbach war Ing. Sklenař jedenfalls von 1948 bis 1965 Forstverwalter der damals noch selbstständigen Gemeinde Hüttendorf.40 Außerdem war er über viele Jahre hinweg forstwirtschaftlicher Berater zahlreicher Agrargemeinschaften aus den Gemeinden rund um den Mistelbacher Wald (u.a. Kleinhadersdorf und Ketzelsdorf).

In seiner Freizeit engagierte sich Oberforstmeister Sklenař seit deren Gründung Mitte der 1950er Jahre in der Volkshochschule Mistelbach und wirkte dort als Leiter des Arbeitskreises Vorträge und Obmannstellvertreter. Für seinen Berufstand wenig überraschend war er auch als Waidmann aktiv, und damit ebenso wie seine Vorfahren Mitglied im Mistelbacher Schützenverein bzw. über einige Zeit auch Obmann dieser traditionsreichen Vereinigung. Darüber hinaus übernahm er auch Funktionen im niederösterreichischen Landesjagdverband.41

 

Das mittlerweile abgekommene Grab der Familie Sklenař auf dem Mistelbacher Friedhof (leider unter nicht optimalen Lichtbedingungen aufgenommen)Das mittlerweile abgekommene Grab der Familie Sklenař auf dem Mistelbacher Friedhof (leider unter nicht optimalen Lichtbedingungen aufgenommen)

Am 3. August 1998 starb mit Oberforstmeister Ing. Oskar Sklenař der letzte Vertreter der Mistelbacher Försterdynastie Sklenař.

Bildnachweise:
-) Haus Oberhoferstraße Nr. 99: Thomas Kruspel, 2018
-) Ansichtskarte der Waldschenke: Göstl-Archiv
-) Ansichtskarte der Waldschenke: Jakob, Christa/Steiner, Oskar: Mistelbach in alten Ansichten, Band 2 (2001), S. 67
-) Ansichtskarte Martinsklause (1960er Jahre) aus der Sammlung von Herrn Gerhard Lichtl, digitalisiert von Otmar Biringer
-) Portrait Oskar Sklenař: Wilhelm Mliko – Stadtmuseumsarchiv Mistelbach
-) Sklenař-Grab: Thomas Kruspel, 2018

Quellen:

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Feuerwehrgasse (Frättingsdorf)

In Frättingsdorf kam es erst 1909, und damit vergleichsweise spät, zur Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr – siehe hierzu auch die zeitgenössische Berichterstattung über das Gründungsfest der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf vom 9. Juli 1909 im Beitrag Mistelbach in der Zeitung Teil 1 1903-1909. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits in allen heutigen Katastralgemeinden von Mistelbach zum Teil schon seit vielen Jahren Feuerwehren, mit Ausnahme der besonders nahe gelegenen und eng mit Mistelbach verbundenen Orte Lanzendorf und Ebendorf, wo sich erst in den 1920er Jahren eigene Wehren bildeten. Die späte Gründung erstaunt umso mehr, da es sich doch bei Frättingsdorf um den einzigen Industriestandort unter den Katastralgemeinden handelte, der mit seiner Ziegelfabrik noch dazu einen Industriebetrieb von bedeutender Größe beheimatete bei dem Feuer einen elementaren Bestandteil des Produktionsprozesses bildete. Warum es in Frättingsdorf erst so spät zur Errichtung einer Feuerwehr kam, nachdem die Bezirkshauptmannschaft bereits 1906 die wenigen verbliebenen feuerwehrlosen Orte nachdrücklich zur Errichtung solcher Vereine aufgefordert hatte, ist unklar.1 Die Frättingsdorfer Feuerwehr wurde ab ihrer Gründung von der Familie Steingassner, den Besitzern der Ziegelfabrik, finanziell großzügig unterstützt und Frau Mizzi Steingassner, die Tochter des Firmenchefs, fungierte als Fahnenpatin bei der im Rahmen des Gründungsfests vorgenommenen Fahnenweihe.

Das erste Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf dürfte noch im Gründungsjahr errichtet worden sein und selbiges befand sich an der Kreuzung der heutigen Straßen Laternengasse und Marterlweg. Der damals etwas hinter dem Ort gelegene Standort dürfte wohl aufgrund seiner direkten Lage am Mistelbach und der dadurch einfach sichergestellten Versorgung mit Wasser gewählt worden sein.

Das alte Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr FrättingsdorfDas alte Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr Frättingsdorf

Ende der 1980er Jahren war man innerhalb der Frättingsdorfer Feuerwehr übereingekommen, dass ein den geänderten Anforderungen entsprechendes, modernes Zeughaus benötigt wird. Bald wurden die Planungen konkreter und betreffend die Standortfrage fiel die Entscheidung nach intensiven Diskussionen schließlich zugunsten einer Errichtung hinter dem alten Gemeindehaus an der Verbindungsgasse zwischen der Dorfstraße (Anton Haas-Straße bzw. Holzleitenstraße) und der Hintausstraße (Werkstattstraße) aus. Im Herbst 1990 konnte schließlich mit den großteils in Eigenregie vorgenommenen Arbeiten begonnen werden und im Verlaufe der etwa zweieinhalb Jahre währenden Bauzeit wurde auch die nebenan gelegene alte Gemeindescheune renoviert, die seither als zusätzlicher Lagerraum dient. 2

Das neue Feuerwehrhaus konnte schließlich im Mai 1993 feierlich eröffnet werden3 und im Jahr darauf wurde auch das alte Gemeindehaus abgebrochen und an seiner Stelle ein neues Gemeindezentrum mit Postamt und Nahversorger errichtet.4 Das alte Zeughaus wird seither als Lagerraum durch den Dorfverschönerungsverein genutzt.5

Das 1993 eröffnete neue Feuerwehrhaus von dem sich der Name der Feuerwehrgasse ableitetDas 1993 eröffnete neue Feuerwehrhaus von dem sich der Name der Feuerwehrgasse ableitet

Im Zuge der Einführung von Straßenbezeichnungen in Frättingsdorf beschloss der Mistelbacher Gemeinderat am 6. Mai 2002 der am Feuerwehrhaus vorbeiführenden Straße den Namen Feuerwehrgasse zu geben.6

Wo befindet sich die Feuerwehrgasse (Frättingsdorf)?

 

Quellen:

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